„Keine Zerstörung, keine Flucht! Ökofeminismus ist die revolutionäre Praxis unserer Zeit“, erklärt die Vandana Shiva auf ihrer Konferenz zum Thema Ökofeminismus und die Dekolonisierung von Frauen, Natur und Zukunft. „Wir wissen, dass die Erde lebendig ist. Die alten Traditionen haben stets die Mutter Erde verehrt.“ Die indische Philosophin und Autorin gilt als Vertreterin eines essentialistischen Ökofeminismus. Repräsentantinnen des Ökofeminismus sind all jene Frauen, die sich für die Verteidigung der natürlichen Ressourcen in ihren Territorien einsetzen. Zu den bekanntesten und auch im Ausland wahrgenommenen Vertreterinnen gehören Vandana Shiva, Yayo Herrero, Amaia Pérez Orozco, Alicia Puleo und natürlich Berta Cáceres, Menschenrechtsverteidigerin und Indigene. Cáceres setzte sich für den Schutz der Umwelt in Honduras ein und erhob ihre Stimme für die Rechte der indigenen Ethnie der Lenca. Im März 2016 drangen unerkannte Täter in ihr Haus ein und ermordeten sie.
Begleiterscheinung des Patriarchats: Frauen nehmen Umweltschäden oft als erste wahr
„Der Ökofeminismus zeigt sich in den Diskursen, in den theoretischen Konzepten, im antikolonialen Aktivismus und den basisnahen Ansätzen von Feministinnen, die in ihren Ortschaften aktiv sind, vor allem aber in den Kämpfen etlicher Frauen gegen den Extraktivismus und die Auswirkungen der ökologischen Krise. Wir sagen, dass diese Nähe von Frauen und Natur auf eine sozialen Konstruktion zurückgeht – auf die konstruierten Dichotomien, die das Patriarchat für seinen Machterhalt eingeführt hat“, erklärt Flor Funoll Capurro, Koordinatorin für den Bereich Ökofeminismus der Taller Ecologista de Rosario. Die Umweltorganisation bezieht seit 2016 den Ökofeminismus als Querschnittsperspektive in alle ihre Arbeitsgebiete ein. „Aufgrund der geschlechterbasierten Arbeitsteilung, die uns Frauen soziokulturell die Rolle der Fürsorgenden und Verantwortlichen für Care-Arbeit zuweist, sind wir Frauen sensibler und kümmern uns um das Wohlergehen anderer, der Natur, unserer Territorien und der verschiedenen Lebewesen, die es bewohnen. Deshalb sind Frauen auch meist die ersten, die die vom extraktivistischen Kapitalismus verursachten Probleme wahrnehmen, zum Beispiel die Verunreinigung des Wassers oder Symptome bei unseren Kindern, Tieren und Pflanzen. Aus solchen Gründen haben in Lateinamerika viele Frauen begonnen, sich zu organisieren, in den urbanen Peripherien wie im ländlichen Raum, um gemeinsam für die Verteidigung eines würdigen Lebens im Einklang mit ihrer Umwelt zu kämpfen. Viele haben durch ihr umweltpolitisches Engagement begonnen, die patriarchalen Strukturen zu hinterfragen, die ihr Leben bestimmen. Die Kämpfe und Treffen mit anderen Frauen bedeuten somit auch ein kontinuierliches Empowerment. Auch wenn viele sich selbst nicht als ökofeministisch bezeichnen würden, kann man schon sagen, dass in Lateinamerika die Frauen auf dem Land auf ihre Art sehr wohl ökofeministisch sind.“
Für welche Themen haben sich die Bewegungen in Lateinamerika in den letzten Jahren stark gemacht?
1990: Die Asambleas de Nonogasta in La Rioja und die Verschmutzung durch Gerbereien
Clara Olmedo war eine der ersten, die die Verseuchung der Böden und die Luftverschmutzung, verursacht durch ausströmende Gase aus den Becken der Gerbereien, öffentlich anprangerte. In Nonogasta im Nordwesten des Landes häuften sich Missbildungen, Fehlgeburten und Todesfälle. 30 Jahre später ist der Kampf noch nicht zuende. „Der Gestank liegt immer noch in der Luft, wenn auch viel weniger. Das liegt aber nur daran, dass die Gerbereien gerade nicht in Betrieb sind und nicht etwa daran, dass die Firma irgendwas verbessert hätte, um den Gasausstoß zu vermindern“, kritisiert Clara Olmedo, Sprecherin der Vereinigung Asamblea El Retamo. „Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten und anderer Konflikte ist das Unternehmen derzeit nicht in Betrieb. Sie verkaufen nichts und haben die Vermarktungsketten unterbrochen. Die Produktion wurde heruntergefahren, deswegen hat die Belastung nachgelassen. Aber wenn Curtume wirklich arbeitet, ist der Gestank unerträglich. Verstöße gegen das Umweltrecht sind dann an der Tagesordnung.“ Derzeit muss sich das Unternehmen mit einem Antrag auf präventive Schließung aufgrund ihres unzureichenden Abgasmanagements beschäftigen. Laut Umweltschützer*innen kommen zum Chrom auch noch Sulfide dazu, die die Abgase verursachen. „Die Chromfilter der Firma sind unzureichend, denn es gibt immer noch Chrom in den Abgasen. Das heißt, entweder benutzen sie die Filter nicht, oder die Produktion überschreitet ihre seinerzeit so sehr gefeierte technologische Kapazität bei weitem“, fügt Olmedo hinzu.
2002: Die Mütter von Ituzaingó in Córdoba gegen Agrogifte in der Sojaproduktion
Sofia Gatica, Marcela Ferreyra, Norma Herrera, Vita Ayllon und Julia Lindon sind einige der Frauen aus der Gruppe Madres de Iuzaingó in der Provinz Córdoba. Seit 2002 kritisieren sie öffentlich die Verunreinigung durch die in der Sojaproduktion eingesetzten Agrogifte. Schon 20 Jahre vor der Corona-Pandemie traten die Bewohner*innen aus ihrem Viertel nur mit Masken auf die Straßen. Innerhalb von zehn Jahren starben in dem 5000-Einwohner-Viertel Ituzaingó Anexo 142 Personen an Krebs. Der Verdacht, dass ein Zusammenhang zwischen dem direkten Versprühen von Glyphosat und der menschlichen Gesundheit besteht, wurde zuerst von Frauen geäußert und später auf ihre Initiative wissenschaftlich nachgewiesen. „Die Menschen, die an Krebs starben, wohnten in den Häuserzeilen in der Nähe des Sojafelds. Dort sprühte der Agrarproduzent Francisco Parra unentwegt Glyphosat aus“, erzählt der damals beauftragte Staatsanwalt Carlos Matheu18 Jahre später. Nachdem die Kommune Klage erhoben hatte, wurde der Fall juristisch verfolgt und Parra 2002 aufgrund der nicht zulässigen Anwendung von Agrochemikalien zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Nachdem sich der nächste Prozess im vergangenen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie zunächst verschoben hatte, wies die 12. Strafkammer nun die Klage gegen Parra ab mit der Begründung: „Non bis in idem“: Für den Angeklagten Francisco Parra wurde der Rechtsgrundsatz geltend gemacht, dass niemand für dieselbe Straftat mehrmals verurteilt werden kann. Obwohl das Datum für das Verfahren aufgrund unzulässiger Ackerbesprühung schon feststand, wurde der Vorwurf gegen den einzigen Angeklagten inmitten der Quarantäne vom 12. Strafgericht aufgehoben, trotz aller Beschwerden während der vergangenen 18 Jahre. Ein ungewöhnliches Machtwort.
2004: Beatriz Mendoza und der Fall Matanza-Riachuelo
Im Jahr 2000 bemerkte Beatriz Mendoza, Sozialpsychologin im Gesundheitszentrum von Villa Inflamable, bei den Bewohner*innen starke durch Schadstoffeinwirkung der Erdölstation Polo Petrochímco verursachte gesundheitliche Beeinträchtigungen. Ihre Klage betraf den Nationalstaat, den Bundesstaat Buenos Aires und die Stadtverwaltung sowie 44 Unternehmen. Auf Mendozas Initiative erließ der Oberste Gerichtshof 2008 ein historisches Urteil, das bis heute ihren Namen trägt. Das Gericht forderte die Renaturierung und Wiederherstellung des Flussbeckens des 64km langen Matanza-Riachuelo durch den Nationalstaat, den Bundesstaat Buenos Aires und durch die Stadt. Damit wurden zum ersten Mal in einem Umweltrechtsstreit zum Schutz einer natürlichen Ressource provinzübergreifende Maßnahmen zur Wiedergutmachung der ökologischen Schäden angeordnet. Die Entscheidung des Gerichtshofs führte außerdem zur Gründung der Aufsichtsbehörde für den Matanza Riachuelo (Acumar). In der gesamten Flussregion leben 502.398 Menschen in städtischen Zonen mit hohem bis hin zu sehr hohem Risiko aufgrund der sozialökologischen Schäden, weitere 700 Familien leben am Ufer des Riachuelo. Zur Eindämmung der Umweltverschmutzung im Flussbecken des Matanza-Riachuelo wurde ein integrales Konzept mit 15 Maßnahmen zur Renaturierung eingeführt. Laut den letzten offiziellen Daten aus 2020 lässt sich jedoch weiterhin ein hoher Verschmutzungsgrad feststellen, der nicht den Mindeststandards für ökologische Qualität entspricht. Aufgrund der Beschränkungen im Kontext der Covid-19-Pandemie konnten nicht alle geplanten Kontrollen durchgeführt werden.
2019 in Mendoza: Madres de Agua kämpfen für den Erhalt des Gesetzes 7.722
In Mendoza wehrten sich im Dezember 2019 zahlreiche Umweltinitiativen gegen den Versuch, das Gesetz zum Schutz des Wassers (Ley protectora del agua) zu reformieren. Ihr Leitspruch lautete: „Hände weg vom Wasser!“ und „Hände weg vom Gesetz 7722!“ Eine ganze Woche lang traten mehr als 50.000 Anwohner*innen aller Altersgruppen, Ethnien und politischen Gesinnungen an, um das Wasserschutzgesetz zu verteidigen, das den Einsatz von Quecksilber, Phosphor und anderen Chemikalien im offenen Bergbau verbietet. Unter allen Protestierenden stach besonders eine Gruppe von Frauen hervor, die sich aktiv an den Aufmärschen beteiligte: Dozentinnen, Jugendliche und sogar der Verband der Weinköniginnen schloss sich an und drohte, die Vendimia, ein riesiges und international bekanntes Weinfest, das traditionell Anfang März stattfindet, platzen zu lassen. Am 23. Dezember 2019 wurde der Aufstand mit Tränengas, Gummigeschossen und Festnahmen massiv niedergeschlagen und Akteurinnen durch Polizisten auf Motorrädern verfolgt. So entstand die Gruppe Madres del Agua (Mütter des Wassers): „Wir Mütter sind zusammen mit unseren Kindern aktiv geworden im Vertrauen, dass wir zumindest gehört werden und dadurch auf friedliche Weise protestieren können. Die vielen Jahre des Kampfes haben uns wie Schwestern zusammengeschweißt. Mütter und Kinder im Krieg um das Wasser leisten Widerstand für die Zukunft unserer Kinder und aller Menschen von Mendoza“, berichten die Mütter über die Entstehung ihrer Gruppe. Dank der zahlreichen Demonstrationen und Proteste wurde die Reform des Gesetzes 7722 schließlich zurückgenommen. Ein historischer Triumph!
Übersetzung: Birgit Hoinle