Die Proteste gegen die Neufassung des Sicherheitsgesetzes reissen nicht ab. Kritiker sehen die Bürger- und Medienrechte in Gefahr.

Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber

Als die Nationalversammlung am 24. November über eine Neufassung des französischen Sicherheitsgesetzes abstimmte, hatte es schon längst begonnen. Vier Tage davor hatte die Assemblée nationale die Neufassung in erster Lesung gebilligt, bereits in der Woche davor gab es erste Proteste. Am Ende der Woche gingen Zehntausende auf die Strasse.

Es war ein Protest für Pressefreiheit, gegen Kontrolle und Polizeigewalt. Der strittigste Punkt: Wird die Neufassung Gesetz, darf die Polizei nach Artikel 24 auf Demonstrationen nicht mehr fotografiert oder gefilmt werden. Zumindest, wenn die «psychische oder körperliche Unversehrtheit der Beamten gefährdet» und ihr Gesicht erkennbar ist.

November 2020: «gefährlich für die Grundrechte»

Eine wachsweiche Formulierung, denn im Zweifelsfall schätzen die Gefilmten die Gefahr ein. Wer gegen Artikel 24 verstösst, muss mit Strafe von bis zu 45’000 Euro und einem Jahr Gefängnis rechnen. Weitere Artikel befassen sich mit Drohnen- und Videoüberwachung. Vor der Abstimmung wurde in letzter Minute ein Passus in Artikel 24 eingefügt, der besagt, dass dieser die Presserechte nicht berühren dürfe.

Die Gegner des Gesetzes beruhigte das nicht. Etliche Journalistenorganisationen und NGOs sehen die Pressefreiheit und die Bürgerrechte durch das «Loi sécurité globale» bedroht. Amnesty International nannte das Gesetz «gefährlich für die Grundrechte».

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Artikel 24 im Gesetzesvorschlag zum loi sécurité globale © Assemblée nationale

Möglich, dass Macron an die im Frühjahr 2022 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gedacht hatte und deshalb der Rassemblement-National-Chefin Marine Le Pen in Sachen Sicherheit einen Schritt voraus sein wollte. Oder dass er es einfach nur gut gemeint hatte mit Polizistinnen und Polizisten und sie vor persönlichen Anfeindungen im Stil von «Wer kennt dieses Polizei-A…?» schützen wollte. In diesem Fall war gut gemeint aber eher das Gegenteil von gut gemacht.

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht

Polizeigewalt ist in Frankreich ein immerwiederkehrendes Thema, die Bilanz der Gelbwesten-Proteste spricht diesbezüglich Bände. Am 23. November, dem Abend vor der Abstimmung, räumte die Polizei ein Flüchtlings-Protestcamp auf der Place de la République. Bilder, in denen Menschen von Polizisten mit Schlagstöcken aus ihren Zelten gezerrt wurden, erreichten schnell die sozialen Netzwerke.

Die Bürgermeisterin von Paris wandte sich an den französischen Innenminister Gerard Darmanin, der die Bilder prügelnder Polizisten «schockierend» nannte. In derselben Woche wurde ein brutaler und anscheinend grundloser Polizeiübergriff auf einen schwarzen Musikproduzenten bekannt. Eine Überwachungskamera hatte den Vorfall gefilmt. Nun war auch Macron «schockiert». Am Ende der Woche protestierten Zehntausende gegen das neue Sicherheitsgesetz, es kam zu Ausschreitungen.

Dezember 2020: Der Europarat mischt sich ein

Die Neufassung ging den normalen Weg zum Senat, die Abstimmung war für Januar vorgesehen. Am 15. Dezember 2020 mischte sich der Europarat ein. In einem Schreiben an den Vorsitzenden und an Mitglieder des Rechtsausschusses des französischen Senats forderte die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, den Senat dringend dazu auf, substanzielle Änderungen am Entwurf zum «Gesetz für umfassende Sicherheit» vorzunehmen, um es besser mit den Menschenrechten in Einklang zu bringen.

Januar 2021: Der Senat holt sich Rat

Der Senat bat zunächst die Datenschutzbehörde CNIL (Commission nationale de l’informatique et des libertés) um eine Stellungnahme, die diese am 26. Januar abgegeben hat.

Die Stellungnahme der Datenschützer beschäftigt sich vor allem mit der ebenfalls im Gesetz enthaltenen Ausweitung der Video- und Drohnenüberwachung, welche, stellt CNIL fest, in die Persönlichkeitsrechte eingreife und noch nicht genügend reguliert sei.

Zum Artikel 24 weist sie darauf hin, dass auch das Filmen und Fotografieren von Polizeibeamten eine Verarbeitung personenbezogener Daten sei. Im Einzelnen kommentiert sie:

… [Videoaufnahmen] mit Ausnahme der Verarbeitung durch natürliche Personen in Ausübung rein persönlicher oder häuslicher Tätigkeiten. In diesem Fall betont die Kommission, dass die Verwendung oder Weiterverwendung dieser Aufzeichnungen zu dem alleinigen Zweck, den Strafverfolgungsbehörden zu schaden, keine Verarbeitung zu einem rechtmässigen Zweck im Sinne der RGPD darstellen kann und daher sowohl nach dem geänderten Gesetz vom 6. Januar 1978 als auch nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über „Verletzungen von Persönlichkeitsrechten durch Computerdateien oder -verarbeitung“ strafbar ist.

Mit anderen Worten: Wer Polizisten nur filmt, um ihnen zu schaden, macht sich auch jetzt schon strafbar. Der französische Senat will nun einen eigenen Gesetzesentwurf ausarbeiten.

Gegner fordern die Streichung von Artikel 21, 22 und 24

Die Kritiker des Gesetzes fordern die vollständige Streichung der Artikel 21, 22 und 24 des Sicherheitsgesetzes. Sie sehen die Pressefreiheit in Gefahr und fürchten einen Freipass für gewalttätige Polizisten. Schon jetzt fühle sich die Polizei in gewalttätigem Verhalten bestärkt. Viele von Polizisten begangene Straftaten wären ungestraft geblieben, wären sie nicht gefilmt worden, argumentieren sie. Der Druck auf die Ermittlungsbehörden steigt ebenfalls, wenn solche Aufnahmen im Internet veröffentlicht werden.

Januar 2021: Basis der Demonstranten verbreitert sich

Zwischen Mitte und Ende Januar riefen die Gegner des Gesetzes zu erneuten Demonstrationen auf. Die Teilnehmerzahlen waren zwar niedriger als im November und Dezember, in Paris, Montpellier und anderen Städten demonstrierten jedoch insgesamt mehr als 33’000 Personen.

Neben Gegnern des Gesetzes kamen Demonstranten, die gegen die Corona-Massnahmen protestieren, Gelbwesten und Menschen, die die Einschränkungen der Pandemie einfach satthaben. In Nantes und Perpignan lösten sich die Demonstrationen in Rave-Veranstaltungen auf. Fortsetzung folgt, womöglich.