Der Westen zieht nach dem Putsch in Myanmar Sanktionen in Betracht. Hintergrund ist der Machtkampf gegen China.

Nach dem Putsch am Montag in Myanmar ziehen EU und USA neue Sanktionen gegen das Land in Betracht. Man werde die Wiedereinführung von Zwangsmaßnahmen umgehend prüfen, hatte US-Präsident Joe Biden schon am Montag mitgeteilt. Die EU gab gestern bekannt, sie werde „alle ihr zur Verfügung stehenden Optionen in Erwägung ziehen“, um dafür zu sorgen, „dass sich die Demokratie durchsetzt“. Die Bundesrepublik hatte im Kalten Krieg aus geostrategischen Gründen lange eng mit Myanmars Militärregime kooperiert – Rüstungsexporte inklusive; nach 1990 hatte sie sich, wie der Westen insgesamt, zunächst von dem Land abgewandt und sich erst wieder um bessere Beziehungen bemüht, als China dort geostrategisch wichtige Vorhaben in die Wege leitete – den Bau eines Transportkorridors aus dem Indischen Ozean nach Südwestchina, der es ermöglicht, die von Washington leicht zu sperrende Straße von Malakka zu umgehen. Der Versuch, Beijing in Naypyidaw auszubooten, ist gescheitert; die gestern von den Militärs entmachtete De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi hat die Kooperation mit China zuletzt weiter intensiviert.

Bonn und die Generäle

Die Bundesrepublik hat im Laufe der Zeit recht wechselvolle Beziehungen zu den myanmarischen Militärs unterhalten. Im Kalten Krieg unterhielt sie gute Kontakte zu den Generälen, die sich 1962 an die Macht geputscht hatten – ihr Land war ein wichtiger Verbündeter in der Systemkonfrontation. Die Bundesrepublik war zeitweise größter Handelspartner und stärkster Entwicklungshelfer des Landes außerhalb Asiens; bis 1988 war sie zudem laut dem Myanmar-Experten Andrew Selth seine „bedeutendste Quelle für Waffentechnologie und ein Schlüsselfaktor beim Aufbau einer einheimischen Rüstungsindustrie“.[1] Das Militärregime durfte unter anderem das Sturmgewehr G3 von Heckler & Koch in Lizenz produzieren. Die Beziehungen änderten sich mit dem Ende der Systemkonfrontation. Myanmar hatte mit den tiefen Umbrüchen der Jahre von 1989 bis 1991 seine vormalige geostrategische Bedeutung verloren; die westlichen Staaten gingen nun dazu über, das Regime, das 1988 ein Massaker an seinen Gegnern mit Tausenden Toten angerichtet sowie 1990 die Ergebnisse der damaligen Parlamentswahlen ignoriert hatte, als eine Art Demonstrationsobjekt für ihre menschenrechtlich legitimierte Sanktionspolitik zu nutzen. Sie verhängten im Lauf der Zeit Zwangsmaßnahmen aller Art gegen Myanmar.[2]

Die Burma Road

Die Interessenlage verschob sich in den 2000er Jahren erneut. Im Jahr 2003 hatte China begonnen, systematisch nach alternativen Transportrouten für seine Rohstoffimporte aus Afrika und Mittelost zu suchen. Diese müssen zum Großteil per Schiff die Straße von Malakka passieren; weil aber die Meerenge zwischen dem indonesischen Aceh und Malaysia bzw. Singapur im Konfliktfall leicht von den USA gesperrt werden kann, entwickelte Beijing unter anderem Pläne, eine Transportroute direkt aus dem Indischen Ozean durch Myanmar in die südwestchinesische Provinz Yunnan zu errichten. Historisches Vorbild war die „Burma Road“, die von 1937 bis 1939 aus der damaligen britischen Kolonie Burma bis nach China gebaut worden war, um das Land im Krieg gegen Japan zu versorgen. Nach mehrjährigen Planungen und Bauarbeiten konnten im Jahr 2013 eine Gas-, im Jahr 2017 dann eine Ölpipeline von der Küste Myanmars bis nach China in Betrieb genommen werden; ergänzend wird der Bau einer parallel verlaufenden Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge angestrebt. Myanmars strategische Bedeutung für China, das im Lauf der Jahre zum wichtigsten Wirtschaftspartner des Landes wurde, macht es seit Mitte der 2000er Jahre für die westlichen Staaten in ihrem Machtkampf gegen die Volksrepublik interessant.

Der Deal mit dem Westen

Entsprechend begann Washington, zunächst geheim – im Windschatten von Hilfslieferungen nach dem Zyklon Nargis im Jahr 2008 -, ab Ende 2009 dann auch offiziell, Gespräche mit Myanmars Militärregime aufzunehmen. Die Verhandlungen führten schließlich zu einem Deal, der einerseits eine wirtschaftliche und in gewissem Maß auch politische Öffnung des Landes für den Westen, andererseits eine vorsichtige Demokratisierung vorsah. Myanmars Generäle haben sich dabei stets die politische Kontrolle des Prozesses gesichert; so haben sie sich per Verfassung ein Viertel der Parlamentssitze sowie die Ministerien für Inneres, für Verteidigung und für Grenzangelegenheiten fest zusprechen lassen. Zugleich verfügen sie mit Unternehmenskonglomeraten wie der Myanma Economic Holding Limited (MEHL) über erheblichen ökonomischen Einfluss.[3] Leitfigur der vorsichtigen Demokratisierung war – und ist bis heute – Aung San Suu Kyi, die zu Zeiten der Militärdiktatur insgesamt rund 15 Jahre in Hausarrest verbringen musste, nach dem förmlichen Ende der Diktatur dann aber als „Staatsrätin“ zur De-facto-Regierungschefin wurde. Suu Kyi gilt der Bevölkerungsmehrheit Myanmars bis heute als überaus populäre Führungsgestalt.

„Nicht reformorientiert“

Aus Sicht der westlichen Staaten ist der erhoffte Durchbruch in Myanmar im Machtkampf gegen China bislang ausgeblieben. Trotz anfänglich starken Interesses [4] sind Handel und Investitionen etwa deutscher Firmen in dem Land immer noch gering. Im Frühjahr vergangenen Jahres hat das Bundesentwicklungsministerium beschlossen, seine im Sommer 2012 neu gestartete Kooperation mit Myanmar wieder einzustellen; als Grund wird eine unzureichende „Reformorientierung“ im deutschen Sinne genannt.[5] Auch politisch ist es nicht gelungen, Beijings Einfluss in Naypyidaw zurückzudrängen. So unterzeichneten im September 2018 Vertreter Chinas und Myanmars ein Memorandum of Understanding über den Aufbau des China-Myanmar Economic Corridor (CMEC), eines Verkehrskorridors, der Mandalay, Myanmars zweitgrößte Stadt im Zentrum des Landes, mit der Metropole Kunming in der südwestchinesischen Provinz Yunnan verbinden wird. Der CMEC wird Chinas Neuer Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) zugerechnet. Dabei urteilen Experten, vor allem Aung San Suu Kyi sei, um Myanmars möglichst rasche Entwicklung zu fördern, an einer weiteren Stärkung der Kooperation mit China interessiert.[6] Die Generäle hingegen, heißt es, sorgten sich um allzu großen Einfluss Beijings.

Die nächste Runde im Einflusskampf

Mit ihrem Putsch vom frühen Montagmorgen haben sich Myanmars Generäle wieder die alleinige Macht in Naypyidaw gesichert; Suu Kyi, zahlreiche Politiker ihrer National League for Democracy (NDL) sowie weitere Gegner der Militärs sind inhaftiert oder in Hausarrest. Die westlichen Mächte haben gegen den Putsch protestiert; Außenminister Heiko Maas etwa erklärte am Montag, er „verurteile die Machtübernahme und die damit einhergehenden Verhaftungen durch das Militär in Myanmar auf das Schärfste“.[7] US-Präsident Joe Biden hat mittlerweile eine Neuauflage von Sanktionen gegen Myanmar ins Gespräch gebracht; in Deutschland hat schon am Montag der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen das Land verlangt.[8] Die EU wiederum hat gestern erklärt, sie werde „alle ihr zur Verfügung stehenden Optionen in Erwägung ziehen, um sicherzustellen, dass sich die Demokratie durchsetzt“.[9] Dabei sind unter anderem Sanktionen gegen die Unternehmenskonglomerate der Streitkräfte im Gespräch. Zugleich heißt es aber, man werde darauf achten, Myanmar nicht noch mehr „in die Arme Chinas“ zu treiben.[10] Die Sanktionsfrage wird damit – wie üblich – von machtpolitischen Erwägungen dominiert.

 

[1] S. dazu Ein alter Partner der Militärs.

[2] S. dazu Erfolglose Sanktionen.

[3] Michael Peel: Myanmar: the military-commercial complex. ft.com 01.02.2017.

[4] S. dazu In Chinas Einflusszone (II) und Der Deal der Militärs mit dem Westen.

[5] Rodion Ebbighausen: Deutschland zieht sich aus Myanmar zurück. dw.com 14.05.2020.

[6] Hunter Marston: Has the US Lost Myanmar to China? thediplomat.com 20.01.2020.

[7] Außenminister Maas zur Machtübernahme durch das Militär in Myanmar. Pressemitteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, 01.02.2021.

[8] Putsch in Myanmar: Lambsdorff fordert Sanktionen. presse-augsburg.de 01.02.2021.

[9] EU droht nach Militärputsch in Myanmar mit weiteren Sanktionen. sueddeutsche.de 01.02.2021.

[10] Till Fähnders: Wie ist Myanmars Militärregime beizukommen? faz.net 02.02.2021.

Der Originalartikel kann hier besucht werden