Hanspeter Guggenbühl für die Online-Zeitung INFOsperber
Schlechte Nachrichten über die Folgen der Corona-Epidemie prägten das vergangene Jahr: 2020 starben in der Schweiz 75 000 Menschen und damit rund zehn Prozent mehr als in einem normalen Jahr, zeigt die Todesfallstatistik. Die Wirtschaft, gemessen am teuerungsbereinigten Bruttoinlandprodukt (BIP), schrumpfte um schätzungsweise 3,5 Prozent, obwohl der Staat die Wirtschaft stützte und damit seine Schulden erhöhte. Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit stiegen, während soziale Kontakte abnahmen und die Stimmung im Volk laut verschiedenen Quellen sank. So melden soziale Institutionen eine Zunahme von Depressionen, und in den Medien häuft sich die Wortschöpfung «coronamüde» (in Anlehnung an den SVP-Ausdruck «heimatmüde»).
Einbruch des Verkehrs- und Energiekonsums
Weniger beachtet werden die erfreulichen Folgen für Mensch und Umwelt, welche die Appelle und behördlichen Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Epidemie nach sich zogen. Das liegt auch daran, dass ökologisch relevante Daten nicht so schnell verfügbar sind wie ökonomische. So wird der Bund seine Verkehrs-, Energie- und Umweltstatistiken übers Jahr 2020 erst in einigen Monaten veröffentlichen. Für diejenigen, die nicht so lange warten wollen, hat Infosperber verfügbare Daten zusammengetragen, teils hochgerechnet, teils geschätzt. Die offiziellen Statistiken werden unsere Zahlen im nächsten Sommer mit maximal zwei Prozent Abweichung bestätigen; andernfalls wird der Schreibende im August Asche auf sein Haupt streuen.
Die Resultate zusammengefasst: Der Personenverkehr in der Schweiz sank 2020 gegenüber dem Vorjahr um einen Fünftel (siehe Grafik), der Luftverkehr ins Ausland gar um 70 Prozent. Als Folge davon verminderte sich der fossile Energiekonsum sowie der Ausstoss des klimawirksamen Gases CO2. Verkehrsleistung und Energieverbrauch schrumpften damit viel stärker als die Wirtschaft.
Abweichungen je nach Verkehrsträger
Der Rückgang im Personenverkehr, gemessen an Passagierzahlen oder Personenkilometern (Pkm), betraf zwar alle Verkehrsträger (den auf tiefem Niveau zunehmenden Veloverkehr klammern wir hier aus), aber unterschiedlich stark. Das zeigen die nachfolgenden Daten fürs Kalenderjahr 2020 respektive die Abweichungen in Prozent gegenüber dem Jahr 2019:
- Luftverkehr minus 70 % Die Zahl der Passagiere, die 2020 in Schweizer Flughäfen abflogen oder landeten, sank gegenüber dem Vorjahr um rund 70 Prozent. Diese Zahl basiert auf den Daten des Bundesamtes für Statistik (BST) über die ersten drei Quartale sowie den Angaben des Flughafens Zürich-Kloten über das vierte Quartal. Die Zahl der startenden und landenden Flugzeuge nahm im gleichen Zeitraum um 64 Prozent ab, also etwas weniger stark. Das zeigt: Die Flieger waren 2020 weniger ausgelastet als in den Vorjahren.
- Bahnen minus 38 % Der Personentransport auf den Schweizer Schienen sank 2020 um 38 Prozent unter den (Rekord-)Stand im Jahr 2019. Das lässt sich aus den Quartalserhebungen des Informationsdienstes Litra ausrechnen. Während die Nachfrage also stark abnahm, reduzierten die Bahnen ihr Angebot nur geringfügig; die Züge waren damit um rund einen Drittel weniger ausgelastet als 2019.
- Autoverkehr minus 15 % Die Fahrleistung der Autos in der Schweiz sank 2020 um 15 Prozent. Diese Schätzung basiert auf Stichproben aus den automatischen Strassenverkehrszählungen des Bundes, die der Schreibende gewichtete und hochrechnete. Gleich stark oder eher noch stärker sank die Transportleistung der Autos, gemessen in Pkm. So dürfte der mittlere Besetzungsgrad der Autos. der mit 1,6 Personen schon in den Vorjahren sehr tief war, 2020 eher gesunken als gestiegen sein.
Weniger Verkehr, aber auch weniger produktiv
Der gesamte Personenverkehr (in Pkm) auf Strassen und Schienen in der Schweiz, so lässt sich aus den vorliegenden Zahlen abschätzen, schrumpfte 2020 um 20 Prozent unter das Niveau von 2019. Die Passagierzahlen im Luftverkehr zwischen der Schweiz und dem Ausland sanken wie erwähnt um 70 Prozent. Für den Umweltschutz ist das eine gute Nachricht, denn der Verkehr belastet, gemessen an seiner wirtschaftlichen Wertschöpfung, die Umwelt in Form von Energiekonsum, Raumanspruch und Umweltbelastung überdurchschnittlich stark.
Getrübt wird dieser erfreuliche Befund durch zwei negative Faktoren:
- Die Angst vor dem Coronavirus führte zu einer unerwünschten Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Strasse. So hat der Personentransport auf der Schiene wie gezeigt stärker abgenommen als jener auf der Strasse. Das ist deshalb bedauerlich, weil die Bahn im Transport pro Pkm weniger Raum und Energie beansprucht und die Umwelt generell weniger belastet als das Auto.
- Nicht nur die Menge, auch die Produktivität des Verkehrs hat abgenommen, einerseits weil viele Bahnreisende aufs weniger effiziente Auto umsteigen, andererseits weil der Besetzungsgrad vor allem im Bahn-, aber auch im Luftverkehr deutlich abnahm.
Soviel zum Personenverkehr im Jahr 2020; beim umfangmässig geringeren und hier ausgeklammerten Güterverkehr dürfte der Rückgang deutlich kleiner ausgefallen sein. Zu befürchten ist, dass die von Wirtschaft und Gesellschaft ersehnte «Normalisierung» den Verkehr bald wieder auf das frühere Niveau anheben wird. Etwas länger dürfte es dauern, bis die – ökologisch produktivere – Bahn ihren Anteil am Gesamtverkehr in der Schweiz wieder auf den früheren Stand erhöhen kann. Das heisst: Das Volumen des Verkehrs wird, wenn die corona-bedingte Suffizienz wegfällt, wohl schneller wieder zunehmen als dessen Effizienz.
Zehn Prozent weniger Energiekonsum
Der massive Rückgang des Auto- und Luftverkehrs senkte 2020 auch den inländischen Energieverbrauch. Aufgrund der vorliegenden Daten wagen wir folgende Schätzungen:
- Der gesamte End-Energiekonsum in der Schweiz sank 2020 gegenüber dem Vorjahr um rund 10 Prozent.
- Der Verbrauch von Erdölprodukten allein, die 2019 noch annähernd die Hälfte des gesamten Energiebedarfs deckten, verminderte sich 2020 um rund 15 Prozent und damit überdurchschnittlich. Innerhalb der Erdölprodukte rechnen wir bei den Treibstoffen (Benzin, Diesel und Flugpetrol) mit einem Rückgang von 20 Prozent, beim Heizöl um 3 bis 5 Prozent.
- Der Konsum der übrigen Energieträger sank damit unterdurchschnittlich. Bei der Elektrizität, so lässt sich aus den Daten des Bundesamtes für Energie vom Januar bis Oktober abschätzen, erwarten wir 2020 ein Minus von 3 bis 4 Prozent, beim Holz und Erdgas einen Rückgang um 3 Prozent. Der Bedarf von Erdgas und Holz hängt – wie jener von Heizöl – wesentlich vom Heizbedarf ab, und dieser dürfte 2020 wohl tiefer ausgefallen sein als 2019, weil die Wintermonate 2020 etwas wärmer waren, und weil sich die Steigerung der Energieeffizienz allmählich auswirkt.
Klimaziel: Dank Corona 2020 in Griffweite
Mit dem – temporär – starken Rückgang des Konsums von erdölhaltigen Produkten könnte die Schweiz 2020 ihr erstes Klimaziel knapp erfüllt haben. So verlangt das bisherige CO2-Gesetz: Die Treibhausgasemissionen im Inland sind bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 gesamthaft um 20 Prozent zu vermindern. Im Jahr 2018 lagen die inländischen Treibhausgas-Emissionen erst um 14 Prozent unter dem Stand von 1990, zeigte das neuste, im April 2020 veröffentlichte Inventar. «Unter normalen Verhältnissen sind wir nicht auf Kurs», sagte damals Andrea Burkhardt, die fürs Klima zuständige Chefbeamtin im Bundesamt für Umwelt, gegenüber Infosperber.
Doch dank dem deutlichen Rückgang des inländischen Benzin- und Dieselkonsums (das CO2 aus Flugpetrol wurde aus der Klimapolitik ausgeklammert) könnten die inländischen Treibhausgas-Emissionen im nicht ganz normalen Jahr 2020 um die notwendigen sechs Prozent unter den Stand von 2018 gefallen sein. Womit die Schweiz dank einem unerwünschten Virus ihr erstes zaghaftes Klimaziel doch noch erreicht hätte. Das steht hier bewusst im Konjunktiv. Denn das offizielle Treibhausgas-Inventar der Schweiz übers Jahr 2020 erscheint erst 2022. Und bis dann kann alles wieder ganz anders sein.