Die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten und der Amtsantritt der Biden-Administration bieten einzigartige Möglichkeiten zur Verbesserung der regionalen Sicherheit. Allerdings sind die Hindernisse auf dem Weg zu solchen Fortschritten noch lange nicht abgebaut.

Eine Errungenschaft sind die sogenannten Abraham-Abkommen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) vom 15. September 2020, gefolgt von den erweiterten Normalisierungsvereinbarungen mit Sudan und Marokko sowie der Möglichkeit zum Beitritt weiterer arabischer/islamischer Staaten.

Auch wenn der größte Anreiz für dieses Abkommen die Aussicht auf große U.S.-Waffenverkäufe und eine entstehende Koalition gegen den Iran waren, und trotz der Ablehnung durch die Palästinenser, kann eine Annäherung zwischen Israelis und Araber*innen dazu beitragen, wirtschaftliche Beziehungen zu entwickeln, persönliche Kontakte zu knüpfen und das gegenseitige Vertrauen zu stärken. Ein solcher Fortschritt kann die Aussichten auf Stabilität in der Region und sogar auf Verhandlungen über Rüstungskontrollen nur günstig beeinflussen.

Die Auswirkungen des Abraham-Abkommens auf regionale Sicherheits- und Rüstungskontrollverhandlungen, wie z.B. die jahrzehntelangen Bemühungen um die Einrichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone (im Folgenden „die Zone“), bleiben abzuwarten. Die Abkommen stellen nicht nur den traditionellen arabischen Konsens zur Arabischen Friedensinitiative von 2002 in Frage (die die Normalisierung an die Gründung eines palästinensischen Staates knüpfte), sondern auch die gemeinsame Position zur Zone, welche von Israel verlangte, sich von seinen Atomwaffen zu trennen.

Die Abraham-Abkommen sind nicht so detailliert wie die Friedensverträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994), weil es ein der Geschichte bisher keinen direkten bewaffneten Konflikt zwischen den Unterzeichnerstaaten und Israel gab. Dennoch sind sie ein Signal dafür, dass die Region offenbar über den alten arabisch-israelischen und palästina-israelischen Konflikte hinausgeht und weg von der Verweigerung der meisten arabischen Staaten, Israel anzuerkennen oder Gespräche mit Israel aufzunehmen.

Die Abraham-Abkommen sind nicht so detailliert wie die Friedensverträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994), eben weil es keine Geschichte eines direkten bewaffneten Konflikts zwischen den Unterzeichnerstaaten und Israel gibt. Aber sie sind ein Signal, dass sich die Region offenbar über den alten arabisch-israelischen und palästinensisch-israelischen Konflikt hinausbewegt und weg von der Weigerung der meisten arabischen Staaten, Israel anzuerkennen oder sich auf Gespräche mit ihm einzulassen.

Die Abkommen – insbesondere das Abkommen mit den VAE führen „Sphären gegenseitiger Interessen“ auf (von Investitionen, Handel, Wissenschaft und Technologie, zivile Luftfahrt, bis hin zu Tourismus, Energie, etc.), aber ihre sicherheitspolitische Dimension ist die vorherrschende. Die Unterzeichnerstaaten, zu denen auch Israel zählt, sind bereit eine neue Koalition/Allianz mit den USA einzugehen, um der „iranischen Bedrohung“ entgegenzuwirken: eine Art Sicherheitsgarantie durch Waffengeschäfte und Militärmissionen zur Unterstützung der Verbündeten im Bedarfsfall. Dies wird ebenfalls durch Trumps Verlagerung Israels aus dem Europäischen Kommando des US-Militärs zum US-Zentralkommando, zu dem auch andere Länder des Nahen Ostens gehört, verstärkt.

Diese Entwicklungen wurden mit der al-Ula Versöhnungserklärung zwischen allen Golfstaaten, zur Lösung der Auseinandersetzung zwischen dem „Quartett“ (Saudi Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten) und Qatar, und ihren Widerstand gegen den Iran, noch verbessert.

Wenn man diese drei jüngsten regionalen Entwicklungen zusammen liest, gibt es eine klare Richtung, die von den Golfstaaten, unter der Schirmherrschaft der Vereinigten Staaten, eingeschlagen wurde, um ein Bündnis in der Region zu bilden, einschließlich ihres neuen „Freundes Israel“ gegen den Iran. Bleibt die Frage, ob Bidens Regierung weiterhin in die gleiche Richtung drängen wird und wie dies geschehen könnte, während das ins Wanken geratene Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA) mit seinen weitreichenden Sicherheitsauswirkungen für die Region angegangen wird.

Zurück in die Zone…

Die Abraham-Abkommen haben nicht nur die arabischen Staaten aufgrund der palästinensischen Frage gespalten, sondern sie könnten auch direkte Auswirkungen auf die laufenden Bemühungen um Verhandlungen über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone haben, die 2019 auf der UN-Generalversammlungskonferenz, trotz eines Boykotts durch Israel und die USA, eine neue Wendung genommen haben. Es könnte ein Riss zwischen Staaten kommen, die die Beziehung zu Israel in letzter Zeit normalisiert haben – und damit eingeschlossen Israel als Atomwaffenstaat akzeptiert haben – und denen, die noch immer lautstark dagegen sind.

Es ist klar, dass Israels Atomwaffenprogramm und seine lang gehegte Politik der Intransparenz bei den Verhandlungen über die Abraham-Abkommen nicht auf dem Tisch lag. Es bleibt jedoch der Elefant im Raum. Tatsächlich öffnen die Abkommen die Tür für ein de-facto-Militärbündnis mit dem einzigen Atomwaffenstaat in der Region. Ist dies der Beginn der Verbreitung von Atomwaffen in der Region, während andere Staaten ins Rennen gehen? Wird Israel in ein Militärbündnis eintreten, in dem es Gefahr läuft, seinen militärischen und technologischen Vorsprung zu verspielen?

Seit das Zonenprojekt auf dem Tisch liegt, im Gegensatz zu der Forderung der Araber*innen nach „Abrüstung zuerst“, hat Israel konsequent jegliches Gespräch über nukleare Abrüstung vermieden und argumentiert, dass es Staaten bedürfe, die einen „langen Korridor“ durchlaufen und die Auswirkungen gegenseitiger Anerkennung, Normalisierung und Frieden, sowie der Errichtung einer regionalen Sicherheitsarchitektur wahrnehmen. Natürlich kann Israel mit seinen neuen Verbündeten behaupten, dass die Drohungen des Iran immer noch die Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung rechtfertigen. Die Aussichten auf Normalisierung, ein wiederhergestelltes JCPOA und die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit den Palästinensern könnten jedoch dazu beitragen, dass Israel das Gefühl hat, dass es am Ende des „langen Korridors“ doch Licht geben könnte. Dies könnte sogar durch die internationale Unterstützung für den Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (TPNW) gefördert werden, der Atomwaffen delegitimiert und stigmatisiert. Aber natürlich sind all diese potenziellen Verbesserungen der Art und Weise, wie Israel seine potenziellen Bedrohungen sieht, hypothetisch.

Der Weg nach vorne

Trotz der Herausforderungen, die die Abraham-Abkommen für die laufenden Bemühungen zur Wiederbelebung ernsthafter Verhandlungen über Rüstungskontrolle darstellen, ist diese neue arabisch-israelische Annäherung eine Gelegenheit für einen neuen Versuch, verschiedene Parteien einzubinden und voranzukommen. Es ist an der Zeit die Abraham-Abkommen für das aufzurufen, was nicht gesagt wird, und ihre Unterzeichner aufzufordern, die Verbindung zwischen Frieden, Anerkennung und Normalisierung mit Israel deutlicher zu machen und Israel aufzufordern, sich ernsthaft für die Verhandlungen in der Zone einzusetzen.

Obwohl die Waffengeschäfte, die mit den Abraham-Abkommen zustande kommen, die Sicherheitsaussichten in der Region ernsthaft untergraben, haben sie einen Silberstreif am Horizont: Sie testen die Gültigkeit und Glaubwürdigkeit des israelischen „Langkorridor“-Ansatzes. Israel besteht seit langem darauf, dass es sich nicht auf Abrüstung einlassen kann, bis andere den Korridor hinuntergehen. Die internationale Gemeinschaft und die Zivilgesellschaft können Israel nun jedoch herausfordern, da die Abraham-Abkommen zeigen, dass mehrere Schritte auf dem langen Korridor zurückgelegt wurden und Israel an der Reihe ist, ernsthafte Schritte in Richtung des Zonenprozesses zu unternehmen.

Die Abkommen sollten auch als Gelegenheit gesehen werden, umfassendere regionale Sicherheitsbedenken im Rahmen der Zonenverhandlungen zu erörtern, da sowohl Israel als auch seine neuen arabischen Verbündeten die Notwendigkeit teilen, ihre eigene Sicherheit zu erhöhen oder ihre eigenen Sicherheitsbedenken anzugehen. Israel mit seinem technologischen Vorsprung und seiner nuklearen Abschreckung fühlt sich nach wie vor bedroht und braucht Frieden und Anerkennung durch andere Regionale Staaten, um seine eigene Sicherheit zu erhöhen. Einige arabische Staaten fühlen sich vom Iran und seinen Atom- und ballistischen Raketenprogrammen bedroht und brauchen die USA als Sicherheitsgaranten.

Diese Annäherung (und die erwartete langfristige Normalisierung, die als vertrauensbildende Maßnahme dienen sollte) sollte als Gelegenheit genutzt werden, ernsthafte Verhandlungen über umfassendere regionale Sicherheitsfragen aufzunehmen, die den Iran nicht ausschließen. Das JCPOA ist die beste Garantie, um jegliche iranischen nuklearen Ambitionen in der Region zu stoppen. Wenn Israel und andere arabische Staaten beanstanden, dass es sich nicht mit umfassenderen regionalen Sicherheitsfragen wie ballistischen Raketen oder regionalen Konflikten befasst, ist dies jetzt eine Gelegenheit, multilaterale Verhandlungen über strittige regionale Sicherheitsfragen im Mandatsprozess der UN-Generalversammlung aufzunehmen.

Alle Beteiligten müssen eine entscheidende Rolle spielen: die USA, die P5 und die Europäische Union bei der Gewährleistung der vollständigen Einhaltung des JCPOA durch alle Parteien; Israel nimmt diese historische Gelegenheit wahr, um die regionale Sicherheitsarchitektur zu fördern, die es nach seinen Worten will; die arabischen Staaten, die sowohl von den USA, als auch von Israel Sicherheitsgarantien einfordern, die ein nukleares Wettrüsten in der Region vermeiden würden; und schließlich die Zivilgesellschaft, indem sie die regionale Annäherung nutzt, um ihre Regierungen davon zu überzeugen, dass die Region weniger Waffen und mehr menschliche Sicherheit braucht.

Von Marc Finaud, Tony Robinson und Mona Saleh, die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Jenny Blassauer aus dem ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Marc Finaud (Frankreich/Schweiz) ist Leiter der Abteilung Waffenverbreitung im Geneva Center for Security Policy (GCSP)
Tony Robinson (UK) ist Direktor der Middle East Treaty Organization (METO)
Mona Saleh (Ägypten) ist Doktorand am German Institute for Global and Area Studies (GIGA)