Amnesty International lehnt das Verhüllungsverbot entschieden ab, über das die Schweizer Stimmbevölkerung am 7. März abstimmt. Frauen werden mit dieser Volksinitiative instrumentalisiert, um Stereotype über den Islam zu fördern, Ängste zu schüren und mit immer neuen Gesetzen die Grundrechte von Minderheiten zu attackieren.
«Das Verhüllungsverbot ist keine Massnahme zur Frauenbefreiung. Es handelt sich vielmehr um eine gefährliche Symbolpolitik, die betroffene Frauen ausgrenzt und die Meinungs- und Religionsfreiheit verletzt», sagt Cyrielle Huguenot, Verantwortliche für Frauenrechte bei der Schweizer Sektion von Amnesty International.
«Angesichts der verschwindend kleinen Zahl von Musliminnen, die in der Schweiz ihr Gesicht in der Öffentlichkeit verschleiern, ist das Problem weitgehend konstruiert: Es handelt sich zumeist um zum Islam konvertierte Frauen, die einen Nikab aus freien Stücken tragen. Jemanden aber zur Verschleierung zu zwingen, ist heute schon strafbar. Ein Verhüllungsverbot trifft also die Falschen: Die wenigen Frauen in der Schweiz, die von ihren Männern oder Gemeinschaften zur Vollverschleierung gezwungen werden, drohen selbst kriminalisiert und isoliert zu werden», so Cyrielle Huguenot.
Unverhältnismässig und diskriminierend
Ein Verbot, in der Öffentlichkeit mittels eines bestimmten Kleidungsstücks einer religiösen Überzeugung Ausdruck zu geben, läuft den Menschenrechten auf Religionsfreiheit und freie Meinungsäusserung zuwider. Die Einschränkung dieser Rechte, die auch in der Bundesverfassung verankert sind, müsste durch ein übergeordnetes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden können und verhältnismässig sein.
Der Uno-Menschenrechtsausschuss, der die Umsetzung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte überwacht, hat 2018 in zwei Entscheiden festgehalten, dass Vertragsstaaten, darunter auch die Schweiz, von Personen verlangen können, unter bestimmten Umständen im Rahmen von Identitätskontrollen ihr Gesicht zu enthüllen. Ein generelles Verschleierungsverbot sei jedoch eine zu drastische Massnahme. Die von Frankreich vorgebrachten Argumente, dass dies aus Sicherheitsgründen notwendig und verhältnismässig sei und darauf abziele, die Achtung des Grundsatzes des Zusammenlebens in der Gesellschaft zu gewährleisten, mochten den Ausschuss nicht zu überzeugen. Er kam vielmehr zum Schluss, dass Frauen, die den Vollschleier tragen, durch ein Verbot nicht geschützt, sondern im Gegenteil an den Rand gedrängt werden: Sie drohen auf ihr Zuhause beschränkt und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen zu werden.
Vorurteile werden zementiert
Das Verhüllungsverbot birgt zudem das Risiko Stereotype über bestimmte Bevölkerungsgruppen zu zementieren und Intoleranz zu verstärken. Die vom selben Egerkinger Komitee lancierte Minarettinitiative hat genau dies gezeigt: In der Schweiz wird das Zusammenleben durch solche Volksinitiativen nicht gefördert, sondern beschädigt.
Viele Musliminnen und Muslime in der Schweiz empfindet Verbote religiöser Symbole eher als Ablehnung gegenüber ihren Gemeinschaften und ihrer Religion denn als Massnahme zur Förderung der Integration. Damit werden Konflikte unnötig geschürt.
Aus all diesen Gründen empfiehlt Amnesty International die Initiative «für ein Verhüllungsverbot» am 7. März 2021 zur Ablehnung.