In Cochabamba, der viertgrößten Stadt Boliviens, war und ist Wasser immer auch ein politisches Thema. Lange galt Cochabamba als „Stadt des ewigen Frühlings“ inmitten der Kornkammer Boliviens. Doch inzwischen herrscht hier jedes Jahr monatelang Trockenheit. Da immer mehr Menschen in die Großstadt ziehen, ist Trinkwasser für viele knapp und teuer. Vor zwanzig Jahren entbrannte hier sogar die Guerra del Agua, der Krieg um das Wasser.
Eklatante Unterschiede innerhalb derselben Stadt
Es ist ein kostbares Gut, das Juan aus einem Rohr in den riesigen Tank seines Lastwagens rauschen lässt: Wasser. Sein Laster steht in einer langen Reihe mit anderen Cisternas, dicht an dicht im Norden der Stadt Cochabamba. Hier gibt es grüne Parks mit blühenden Bäumen, hier sprudelt noch Wasser aus Quellen und Leitungen, und hier kann Juan es kaufen und damit den Tank seines Lastwagens füllen. Wenn der Tank voll ist, fährt er ganz ans andere Ende der Stadt in die Zona Sur, um seine Fracht zu verkaufen. Denn im Süden Cochabambas herrscht Wassermangel, die Leitungen der städtischen Wasserversorgung SEMAPA reichen nicht bis dorthin, wo die Stadt besonders schnell wächst. Das Wasser spiegelt die sozialen Unterschiede Cochabambas, der Großstadt im Herzen Bolivien, wider: Im wohlhabenden Norden sprudelt es aus dem Boden, im ärmeren Süden sitzen die Menschen meistens auf dem Trockenen.
Wasser aus dem Brunnen gibt es 1x pro Woche für eine Stunde
Vor mehr als zwanzig Jahren ist María Eugenia Flores mit ihrer Familie nach Cochabamba gezogen, wegen der Trockenheit in ihrem Dorf. Während sie davon erzählt, sitzt sie im Parque La Torre im Stadtzentrum, und hier blühen lilafarben die Jacarandas, es gibt einen Springbrunnen, und in den Häuser am Platz bewässern die Bewohner*innen ihre großen Gärten. Für sie sei Wasser direkt aus dem Wasserhahn und das 24 Stunden lang jeden Tag wie ein schöner Traum, sagt María. „An dem Brunnen in meiner Nachbarschaft bekomme ich nur einmal pro Woche für eine Stunde Wasser. Das reicht einfach nicht. Bei mir in der Zona Sur leben die Menschen sehr dicht aufeinander, in einem Haus leben hier häufig drei, vier Familien. Da reicht so wenig Wasser nicht, und wir müssen auf anderem Weg an Wasser kommen: zum Beispiel indem wir es von den Wasserlastern kaufen.“
Der Handel mit Wasser: ein lukratives Geschäft
Bei María Eugenia Flores ein paar Kilometer weiter im kargen Süden der Stadt fehlen eine Kanalisation für Abwasser und Leitungen für Trinkwasser. Für Wasser müssen sie und ihre Nachbar*innen deshalb sogar viel mehr bezahlen als die Menschen hier im Zentrum und im Norden. Der Preis steht mit Farbe auf die Tanks der Wasserlaster gesprüht: 7 Bolivianos für ein Fass. Das sind mehr als 85 Eurocent für 200 Liter, zehnmal so viel, wie das städtische Leitungswasser kostet. Für die Händler mit den Tankwagen und vor allem die Verkäufer*innen im Norden ist Wasser ein sehr gutes Geschäft. „Das ist soziale Benachteiligung. Wir können es sogar Rassismus nennen, denn bei uns in der Zona Sur leben vor allem indigene Menschen“, erklärt María. „Der Staat und die Stadt räumen den Vierteln im Stadtzentrum Vorrang ein, weil sie sagen, dass dort die Menschen Steuern zahlen. Das tun wir in den ärmeren Vierteln aber auch. Aber das sind die rassistischen Reden hier, wenn die Leute sagen: die Armen zahlen sowieso keine Steuern. Oder: Was brauchen die Armen Wasser, die waschen sich sowieso nicht.“ María ist wütend über diese Benachteiligung. Auch deshalb ist sie vor 20 Jahren mit dabei gewesen, bei der Selbstorganisation und den Protesten für Wasser: Anfang 2000 privatisierte die Regierung Boliviens auf Druck der Weltbank die Wasserversorgung in Cochabamba. Ein internationales Konsortium um den US-Konzern Bechtel übernahm und verdreifachte innerhalb kurzer Zeit den Wasserpreis. Die Menschen wehrten sich mit heftigen Protesten und einem Generalstreik, die Regierung verhängte das Kriegsrecht und schoss scharf. Sechs Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen getötet, fast 200 verletzt. Nach vier Monaten des Aufstands, im April 2000, nahm Boliviens Regierung die Privatisierung zurück. Der Konflikt hat die Stadt geprägt.
„Wasser ist ein Allgemeingut“
Oscar Olivera ist so etwas wie ein Held dieses Wasserkriegs vor zwanzig Jahren. Als Gewerkschaftsführer und Aktivist stand er damals in der ersten Reihe der Proteste gegen die Privatisierung. Heute wolle er gar nicht mehr darüber reden, so Olivera in einem Gespräch an seinem Arbeitsplatz, der Gärtnerei Planta y Flores weit im Westen Cochabambas. Dann tut er es aber doch: „Die Menschen erklärten: Das Wasser ist keine Ware, sondern ein Allgemeingut. Und die Verantwortung dafür soll bei den Menschen liegen. Mit Verantwortung meinen sie nicht Eigentum, sondern die Verwaltung, die Entscheidungen über die Verwendung des Wassers. Darum haben sie wirklich im Wasserkrieg gekämpft, es ging um mehr als um die Tarife der städtischen Wasserversorgung SEMAPA.“ Aber trotz des Aufstands habe sich die Situation nicht wirklich verbessert, so Oscar weiter. Vor 20 Jahren habe etwa die Hälfte der Menschen in Cochabamba einen Anschluss an die Wasserversorgung gehabt; seitdem ist die Stadt kontinuierlich auf fast eine Million Einwohner*innen gewachsen, und mittlerweile sei es sogar deutlich weniger als die Hälfte, die einen Wasseranschluss hat. Als Grund dafür nennt er vor allem die schlechte Verwaltung: Der Staat habe den Menschen die Möglichkeit genommen, ihr Wasser selbst zu verteilen.
„Wenn die Menschen sich nicht organisieren, existieren sie nicht“
Oscar Olivera arbeitet für die Stiftung Fundación Abril, die in den Stadtvierteln ein Netz von gemeinschaftlichen Wassertanks aufbaut und auch an Schulen große Tanks installiert, in denen Regenwasser für die Bäder und die Gärten der Schulen gesammelt wird. „Für mich sind Gemeinschaften von Menschen ohne eine Form der Organisation nicht möglich. Wenn die Leute sich nicht organisieren, existieren sie nicht. Das muss allerdings von unten kommen, muss neu sein, transparent sein wieder das Wasser, und ohne politische Einfärbung. Die Menschen wissen selbst, was sie brauchen“, betont der Aktivist. Wie Oscar Olivera setzt auch María Eugenia Flores wenig Hoffnung in die Regierung in La Paz oder die Stadtverwaltung Cochabamba. In ihrer Not seien die Menschen im Süden der Stadt zu wahren Expert*innen im Sparen und Wiederverwenden von Wasser geworden, erklärt sie. Wichtig sei aber, sich zu organisieren und deutlich zu machen, dass der Zugang zu Wasser für alle ein Recht sei. Und nicht der Verlust eines guten Geschäfts, mit dem sich einige wenige auf Kosten der Allgemeinheit bereichern können. „Das Thema Wasser interessiert die Politiker*innen doch nicht. Jemand hat uns gesagt: Wenn man ein Vorhaben nicht sehen kann, lohnt es sich für Politiker*innen nicht. Und Wasserrohre fallen nicht ins Auge wie ein neuer Platz, ein neuer Park oder ein neues Fußballfeld. Wir bemerken aber, dass das Thema Wasser die Menschen mobilisiert, weil es lebensnotwendig ist, und dass die Leute sich organisieren, um dafür zu kämpfen.“
Ineffizientes, marodes Leitungssystem
Irgendwann, so hofft María, und das verspricht die Stadtverwaltung seit langem, soll Wasser aus dem Stausee Misicuni ganz am anderen Ende der Stadt bis in den Süden Cochabambas fließen. Durch 20 Kilometer lange, riesige Rohre. Im Stausee Misicuni, auf den grünen Hügeln im Norden gelegen, gibt es reichlich Wasser, das einfach nicht genutzt wird. Nur neun Prozent des Wassers kommt bei den Menschen an, weil die Leitungen nicht bis in die Stadt gebaut werden. Und in den alten Wasserrohren, die durch das Zentrum führen, versickert die Hälfte des Wassers, bevor es irgendeinen Wasserhahn erreicht.
Zu diesem Text gibt es auch einen Audiobeitrag bei onda.