Vor anderthalb Jahren erst diagnostizierte der Deutschlandfunk, Portugal habe „kein Problem mit Rechtspopulismus“. Dann gründete sich die Partei Chega! (Es reicht!). Unter der Führung des lauten und charismatischen André Ventura betrat mit der rechtsextremen Partei der Rechtspopulismus nun auch in Portugal die politische Bühne.
Portugals parteipolitisches Spektrum, welches stets von starken sozialistischen, sogar kommunistischen Kräften gekennzeichnet war, erlebt nun eine Konsolidierung beider Extreme. Nur schickt sich Chega! an, die portugiesische Rechte auf Regierungskurs zu bringen und sich neben der Partido Socialista (Sozialistische Partei, eher sozialdemokratisch) und der konservativen PSD (Partido Social Democrata) als Volkspartei zu etablieren.
Betrachtet man die Auftritte des Präsidentschaftskandidaten Ventura bei den Fernsehdebatten für die Präsidentschaftswahlen am 24. Januar, lassen sich zahlreiche Parallelen zur klassischen rechtspopulistischen Programmatik ziehen: polemische Diskreditierung der gesamten Linken als „Kommunisten“ und „Sozialisten“, Ausländerfeindlichkeit, Kampf gegen politische Korrektheit, EU-Skepsis, Hypernationalismus. Auch den Deutschen möge das bekannt vorkommen…
Ähnlich wie bei der als „Tabubruch“ bezeichneter Thüringer Wahl, bei welcher Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, formierte sich bei den Regionalwahlen auf den Azoren im Oktober 2020 eine rechtskonservative Koalition, unterstützt von Chega! und der Iniciativa Liberal (Liberale Initiative). So wie in Thüringen gab es einen (etwas verhalteneren) Aufschrei, jedoch besteht das Bündnis auf den Azoren fort. Trotz aller Analogien zur AfD finden sich aber auch Unterschiede.
Während die AfD offiziell das Grundgesetz befürwortet, strebt Chega! eine Reform der vermeintlich „marxistischen“ portugiesischen Verfassung an, Ziel ist ein präsidentielles Regierungssystem. Unter dem Deckmantel der Demokratisierung, gespeist durch Forderungen nach mehr direktdemokratischen Elementen und einer Verkleinerung des Parlaments, beabsichtigt Chega! eine Destabilisierung des Parlamentarismus – und die damit einhergehende Tendenz zum Autoritarismus.
Außerdem zu benennen sind die eindeutig neoliberalen Züge der Partei, die deutlich über eine Kritik am traditionellen Staatsinterventionismus hinausgehen. So fordert Chega! langfristig eine Abschaffung des öffentlichen Bildungssystems und des – in der Pandemie existenziellen – öffentlichen Gesundheitswesens.
Mit solch radikalen Forderungen dominiert Chega! zusehends den politischen Diskurs, obwohl die Partei mit André Ventura lediglich über einen Abgeordneten in der Assembleia da República, dem portugiesischen Parlament, verfügt. Bei der Parlamentswahl im Jahre 2019 war Chega! nämlich noch nahezu unbekannt und Portugal schien immun gegen die rechtspopulistische Bedrohung.
Vor einigen Jahren noch schien die portugiesische Bevölkerung, traumatisiert von der Finanzkrise und dem auferlegten Sparkurs, zufrieden. Der Tourismus boomte, die Wirtschaft wuchs. Unter Führung eines Linksbündnisses, der Geringonça (Klapperkiste), welche sich als außerordentlich krisenfest und progressiv erwies, hatte sich Portugal, von 2015 an, aus den Austeritätsfesseln der Troika befreit. Im europäischen Gefüge stellte Portugal nicht länger ein Problemkind, sondern eine Blaupause dar. Selbst unter konservativen Kräften stieß dies auf Anerkennung.
Mit der pandemischen Herausforderung, der gestiegenen Vulnerabilität und dem intensivierten Verlangen nach einfachen Lösungen, eröffnete sich jedoch nun ein neuer, turbulenter politischer Zeitabschnitt.
Chega! hat dies erkannt. Und, ja: Venturas aggressive und populistische Rhetorik – geprägt von Tabubrüchen und Simplifizierungen – findet in Portugal große Beachtung. Seine Auftritte erreichen stets eine Rekordzahl an Zuschauern. Auch wenn der amtierende konservative Präsident, Marcelo Rebelo de Sousa deutlich in den Umfragen führt, zeichnet sich ein zweistelliges Abschneiden vom Rechtsextremisten Ventura ab. Unabhängig davon, ob seine Parolen Anklang finden: sie triggern Ängste und Vorurteile, destabilisieren den sozialen Zusammenhalt.
Die durch die Pandemie verstärkte soziale Spaltung in Portugal droht nun also durch eine Politische ergänzt zu werden. Denn sobald Hass als politisches Instrument verwendet wird, Fakten und Wahrheit als alternativ gelten und unsolidarischer Individualismus propagiert wird, zeigt dies Wirkung. Bleibt zu hoffen, dass mit Portugal nicht ein weiteres europäisches Land den Rückwärtsgang einlegt.