Eine Erhöhung der Fahrpreise brachte im Oktober 2019 in Chile das Fass zum überlaufen: Es kam zur Revolte gegen das neoliberale Regime. Über Monate hielten die Proteste an. Millionen Menschen gingen auf die Straßen. Sie forderten aber nicht nur die Rücknahme der ungeliebten Preiserhöhung, sondern eine Gesundheitsversorgung für alle Menschen, würdige Renten, freien Zugang zur Bildung und ein neues Gesellschaftsmodell.
In ihrer aktuellen Reportage “Nach der Revolte” geht die Journalistin Gaby Weber noch einmal auf die Hintergründe der Proteste ein und stellt mögliche Optionen vor, wie es in Chile weitergehen wird.
Ihre Einschätzung: Die Regierung konnte durch Zusagen zwar Zeit gewinnen, aber die Ruhe ist trügerisch. Wird in der neuen Verfassung nicht auf die Hauptforderungen der Bevölkerung eingegangen, wird “Nach der Revolte” ein neues “Vor der Revolte” sein.
Vor rund 30 Jahren ging in Chile die Diktatur zu Ende, seitdem versprechen Berufspolitiker der Bevölkerung Reformen, die die Lebenssituation verbessern sollen. Doch geschehen ist so gut wie nichts. Und noch immer ist die unter General Augusto Pinochet (1) verabschiedete Verfassung gültig. Einen wirklichen demokratischen Neuanfang hat es in Chile nach dem Tod des Diktators also nicht gegeben.
Nach der Revolte
Im Oktober 2019 hatte die Geduld der Bevölkerung ein Ende. Nicht nur die Armen und die Jugend protestierten, auch die Mittelschicht schloss sich den Protesten an, die sich schnell zur Revolte entwickelten. Politik und Staat, unfähig zum Dialog mit den Massen, antwortete mit Repression und Polizeigewalt. Die Reaktion waren brennende Einkaufszentren, abgefackelte Autos und Hunderte zerstörte Polizeistationen.
Die Elite des Landes, den Problemen der von ökonomischen und sozialen Problemen geplagten Bevölkerung entrückt, war entsetzt. Wie konnte das passieren? Das neoliberale Modell Chiles galt schließlich als Vorbild für den gesamten Kontinent.
Die Situation sollte befriedet werden. Erstens mit polizeilicher Repression und zweitens mithilfe der Parteien. Das Volk sollte befragt werden, ob es eine neue Verfassung wünsche, und wenn ja, ob diese durch Politiker oder parteiunabhängige Vertreter ausgestaltet werden sollte. Dieses Plebiszit wurde abgehalten, das Ergebnis war eindeutig: Fast 80 % aller Chilenen stimmten für eine neue Verfassung und für unabhängige Wahlleute. Dann kam Corona. Die angeschlagene Regierung verfügte eine der weltweit härtesten Quarantänen. Es herrscht Ausgangssperre in Chile. Bis heute.
Informationen zur Reportage
Nach der Revolte – Ein Zwischenbericht aus Chile
Chile/Argentinien: 2021
Sprache: Deutsch
Länge: 00:26:48 Minuten
Realisierung: Gaby Weber
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Quellen und Anmerkungen
(1) Augusto Pinochet (1915-2006), ein für politische Morde, Folter und weitere Verbrechen verantwortlicher Militär und General, herrschte als Diktator von 1973 bis 1990 in Chile. Nach einem von den USA unterstützen Militärputsch gegen den demokratisch gewählten marxistisch-sozialistischen Präsidenten Salvador Allende im September 1973 übernahm Pinochet mit einer Militärjunta die Macht im Land. Bis zum 11. März 1990 regierte er Chile diktatorisch und setze ein neoliberales Wirtschaftsmodell im Interesse von Konzernen, Großgrundbesitzern und Kapital um. 1988 wurde Pinochet vom chilenischen Volk aufgrund eines in der Verfassung von 1980 festgelegten Volksentscheides aus dem Amt gewählt. 2001 wurde ein Prozess gegen den ehemaligen Diktator eröffnet. Pinochet wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen für nicht verhandlungsfähig erklärt. Er starb 2006, ohne für seine Verbrecher abgeurteilt worden zu sein.