Am 18. Januar erklärte WHO Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus mit Nachdruck, dass „die Welt am Rande eines katastrophalen moralischen Scheiterns steht“.
Er kritisierte, dass die reichen und mächtigen Staaten der Welt sowie die dominierenden Pharmakonzerne die im März vergangenen Jahres beschlossenen Maßnahmen missachtet haben, wonach alle Menschen Zugang zu den Impfungen und Medikamenten gegen COVID 19 haben sollen und „niemand zurückgelassen werden soll“, wie es in der Vereinbarung heißt.
Bereits vor Fertigstellung der Impfstoffe hatten die 15 reichsten Länder der Welt (das entspricht etwa 14% der Weltbevölkerung) bereits bei privaten Unternehmen, die im Rennen um die Patente weit vorne stehen, 60% der 2021 geschätzt verfügbaren Impfdosen eingekauft, um die Impfungen für ihre Bevölkerung abzusichern. Damit blieben für die übrigen 86% der Weltbevölkerung 40% an Impfdosen. 2021 werden nur etwa 30% der Weltbevölkerung geimpft werden. Raten Sie mal wer? 39 Millionen der Dosen der beiden ersten verfügbaren Impfstoffe (von Pfizer und Moderna) wurden an 49 reiche Länder verteilt, während die ärmsten Länder über gerade mal 25 Dosen verfügen! In Israel wurden bereits mehr als 20% der Bevölkerung geimpft (mehr als 2 Millionen Menschen), aber nur ein verschwindend geringer Teil der Palästinenser (vor allem die Inhaftierten).
Es handelt sich hierbei nicht nur um nationale Egoismen, um Priorisierung der „nationalen Sicherheit“, um eine Furcht vor der Gefahr oder um die Habsucht der Reichen. Nein, es handelt sich um eine gewaltsame Politik der Missachtung des allgemeinen Rechts auf Leben für die Mehrheit der Menschen weltweit. Dies ist ein wahrhafter Bruch des Sozialvertrags der Weltbevölkerung, unter Führung einer zynischen Allianz aus den aktuell bröckelnden und geschwächten Staatsführungen auf der einen Seite und der privaten Macht einflussreicher globaler Oligarchen aus Finanzwelt, Industrie und Militär auf der anderen Seite. Die kaum verhohlene Geringschätzung der chinesischen, russischen und kubanischen Impfstoffe ist nur ein kleines Beispiel dessen.
Der Weg hin zu einer Gesundheit für alle führt über den Bruch dieser Allianz hin zu einer Neuordnung auf Grundlage einer Allianz zwischen den Bürgern, zwischen allen Erdenbewohnern. Bisher haben die Appelle und Vorschläge einiger dutzend Staatschefs und Regierungen, einiger hundert Persönlichkeiten aus der Welt der Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur, die jüngsten Erklärungen von Papst Franziskus zum Vorrang des Rechts gegenüber den „Gesetzen“ des Marktes und der Patente nicht viel bewirkt. Im September und Dezember vergangenen Jahres wurden die Anträge der mehr als 110 der 164 Mitgliedsstaaten der WHO von den allmächtigen Staaten des „Nordens“ zweimal einfach vom Tisch gefegt. Das ist unerträglich.
Unsere Vereinigung ‚Agora des Habitants de la Terre‘ lädt alle Initiativen und Organisationen ein, die sich für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Gleichheit und Brüderlichkeit engagieren, sich mit noch mehr Entschlossenheit und Überzeugung für das Erreichen dreier unmittelbarer und konkreter Ziele einzusetzen.
- Die Zivilgesellschaft muss von den reichsten Staaten fordern, dass diese allen Ländern die Freiheit gewähren, das Recht auf Zwangslizensierung anzuwenden, um damit das Patentrecht auf die Impfstoffe und die medizinischen Behandlungen auszusetzen und so das Recht auf Leben für alle Bürger zu erlangen und zu erhalten. Wir sagen ja zu Impfstoffen als Gemeingut für die Weltbevölkerung. Wir sagen nein zum „Recht“ der alleinigen und absoluten Hoheit privater Unternehmen über die Erkenntnisse der Biowissenschaften und ihrer Technologien. Wissen ist ein Gemeingut der Menschheit, das „Erbe“ der gesamten Weltbevölkerung. Das Aussetzen der Patente muss mittelfristig zu ihrer Abschaffung führen. Nein zum Wettbewerb für das Überleben der Stärksten.
- Die Bürger müssen von ihren Staaten eine umfassende Neuausrichtung der Finanzierung ihrer Gesundheitssysteme erhalten, damit nicht länger öffentliche Gelder der Bürger dafür verwendet werden, die Pharmaunternehmen mindestens doppelt zu bezahlen und somit ihre Profite zu mehren – zum einen während der Konzeptionierung und Entwicklung der Impfstoffe und Medikamente und dann erneut während ihrer Produktion und Vermarktung. Ohne das Geld der Bürger wären die westlichen multinationalen Unternehmen nicht in der Lage gewesen, die jetzt vorliegenden Behandlungen und Mittel zu entwickeln. Wir sagen nein zum Diebstahl öffentlicher Gelder. Die öffentliche Finanzierung im Sinne der Rechte und Verantwortung der Menschengemeinschaft muss Vorzug vor einer Finanzierung haben, die den Interessen der mächtigsten sozialen Gruppen dient. Im Dienst des Gemeinwohls muss der Staat wieder Res Publica werden und sich nicht länger in den Dienst des finanziellen Wohlergehens der mächtigsten Unternehmen und ihrer Interessen stellen.
- Die Bürger müssen die Staaten auffordern, unter Leitung der WHO und frei vom Einfluss der multinationalen Großkonzerne und der „großen“ Staaten, einen gemeinsamen weltweiten Impfnotplan aufzustellen, der im Rahmen einer globalen, gemeinsamen und öffentlichen Gesundheitspolitik steht. Anders gesagt muss, was das Recht auf Leben betrifft, die WHO wieder eine führende Stellung einnehmen. Das gleiche gilt für die UNO, die eine Vorrangstellung über die Welthandelsorganisation und die Weltbank haben muss. Diese führende Stellung bringt mit sich, dass wichtige Änderungen zum Beispiel in der Funktion der Impfstoffinitiativen und Allianzen COVAX, GAVI, CEPI oder der Gates-Stiftung – also typischer Instrumente einer autokratischen Allianz zwischen den reichsten Staaten und den mächtigsten Unternehmen sowie zur Rolle des Sicherheitsrates vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang gehen wir insbesondere davon aus, dass es dringend notwendig ist, einen globalen zivilgesellschaftlichen Sicherheitsrat für die Gemeingüter wie Trinkwasser, Gesundheit und Bildung zu gründen.
Brüssel, 19. Januar 2021
Agora des Habitants de la Terre, Riccardo Petrella, Catherine Schlitz, Pierre Galand, Mady Ledant, Alain Dangoisse, Alain Adriaens, Maria Palatine, Antoinette Brouyaux, Pietro Pizzuti, Christine Pagnoulle, Fabrice Delvaux, Bernard Tirtiaux.
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!