Der uruguayische Linkspolitiker Tabaré Vázquez war vom 1. März 2005 bis zum 1. März 2010 sowie vom 1. März 2015 bis zum 1. März 2020 Präsident Uruguays. International war er für seinen Kampf gegen den Tabakkonsum bekannt. Er starb am 6. Dezember 2020 an Lungenkrebs.
Tabaré Vázquez bleibt im In- und Ausland für seine politische Agenda in Erinnerung. Seine Maßnahmen im Kampf gegen den Tabakkonsum haben dazu geführt, dass Uruguay der erste tabakrauchfreie Staat in Amerika und der siebte weltweit wurde (Dekret 268/005). Diese Maßnahmen wurden vom Gesetz 18.256 (2008) verstärkt, welches unter anderem ein Rauchverbot in öffentlichen und privaten Räumen bedeutet, Werbung in Geschäften einschränkt und jede weitere Form von Werbung, Verkaufsförderung und Sponsoring für Tabakprodukte verbietet.
Tabaré Vázquez, bedeutender Außenpolitiker und zudem Onkologe, zeichnete sich besonders durch seinen Kampf für das Rauchverbot aus. In seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2009 sprach er vor allem über die Notwendigkeit, Tabak-Maßnahmen zum Wohl der Bevölkerung durchzusetzen. Tabakkonsum verursache „weltweit fünf Millionen Todesfälle pro Jahr […] das ist mehr als Alkoholismus, Verkehrsunfälle, AIDS, illegale Drogen, Morde und Selbstmorde zusammen.”
Die einflussreichsten Gesetze auf der politischen Ebene in Uruguay waren jedoch das Ein-Vorlage-Gesetz und das 80/80-Gesetz. Gemäß des Ein-Vorlage-Gesetzes müssen sich die Unternehmen an eine einzige Produktausführung pro Zigarettenmarke halten und dürfen keine irreführenden Bezeichnungen wie „light“, „leicht“ oder „mild“ verwenden (Verordnung des Ministeriums für öffentliche Gesundheit Nr. 514, 2008). Das 80/80-Gesetz verlangt die Verwendung eines Gesundheitshinweises, der 80 Prozent von Vorder- und Rückseite der Packung ausmachen muss, um die schädlichen Auswirkungen des Konsums von Tabakerzeugnissen zu veranschaulichen (Dekret 287/009 und Verordnung 466 von 2009).
Diese beiden Maßnahmen wurden von Uruguay in Übereinstimmung mit den Bestimmungen von Artikel 11 des WHO-Rahmenabkommens zur Eindämmung des Tabakkonsums ergriffen – dem einzigen multilateralen Vertrag, der die Prävention und Kontrolle des Konsums einer Ware regelt, deren Vermarktung legal ist.
Philip Morris vs. Uruguay: Verteidigung der Souveränität
Das Ein-Vorlage-Gesetz und das 80/80-Gesetz sind die Basis für eine Klage von Philip Morris, die der Tabakkonzern 2010 gegen Uruguay vor dem Internationalen Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten, einer zur Weltbank gehörenden Institution, eingereicht hat. In seiner Eingabe argumentierte das Unternehmen, dass die Maßnahmen eine angemessene Benutzung seiner Handelsmarke behinderten – eine Investition, die durch das Abkommen zur Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen zwischen Uruguay und der Schweiz geschützt ist.
Dazu erklärte Vázquez 2016 vor der UN-Vollversammlung: „Jenseits der formalen Argumente, die der Tabakkonzern vorbrachte, lag es ihm hauptsächlich daran, ein kleines Land zu bestrafen, das sich aufgemacht hat, den Tabakkonsum zu begrenzen. Dieses Land ist ein Vorbild für andere Länder, die eine ähnliche Politik umsetzen oder sich darauf vorbereiten. Man kann den Kampf, angesichts der Macht des Tabakkonzerns, der 2019 einen Nettoeinkünfte von 77,921 Mrd. $ verbuchte, gegenüber einem Staat mit einem Bruttoinlandsprodukt von 56,046 Mrd. $ im selben Jahr, mit dem Kampf zwischen David und Goliath vergleichen.
Das Urteil fiel jedoch nicht zu Gunsten der Interessen des Tabakkonzerns aus. Am 8. Juli 2016 kam das Gericht zu dem Schluss, dass „die angefochtenen Maßnahmen eine gültige Form der Staatsgewalt Uruguays zum Schutz der öffentlichen Gesundheit waren“. Das Anerkennen des Rechts auf Regulierung ist eines der stärksten Elemente des Schiedsspruchs und war wahrscheinlich ein wichtiger Meilenstein, der weitere Klagen der Tabakindustrie verhindert hat.
Der Fall Philip Morris vs. Uruguay ist zudem aus zwei weiteren Gründen emblematisch. Erstens war dies das erste Mal, dass ein Tabakunternehmen ein Investor-Staat-Schiedsverfahren in Anspruch nahm. Ausländische Investoren können die Gaststaaten, in denen sie investieren, verklagen, wenn sie einen Verstoß gegen ein Gesetz erkennen, das ihre Investition schützt oder wenn sie durch einen schriftlichen Vertrag ( z.B. ein bilaterales Investitionsabkommen) geschützt sind, der die Anrufung von zuständigen Schiedsgerichten vorsieht. Der Investor ist in der Regel nicht verpflichtet, die inländische Gerichtsbarkeit zu nutzen und die von den Schiedsgerichten erlassenen Schiedssprüche sind nicht anfechtbar.
Tabaré Vázquez‘ Handschrift wird für immer gegenwärtig sein, wenn es um die Verteidigung der öffentlichen Gesundheit geht, was letztlich die Verteidigung der Souveränität ist.
Zweitens ist der Fall Philip Morris vs. Uruguay durch seine Verbindung zum Streit zwischen Philip Morris Asia und Australien über generische Zigarettenverpackungen bedeutsam. Diese Klage wurde abgewiesen, weil das Unternehmen in Hongkong eine Umstrukturierung vorgenommen hatte, um die Bestimmungen des bilateralen Investitionsabkommens mit Australien zu erfüllen; die Umstrukturierung fand jedoch nach Beginn des Schiedsverfahrens statt.
Ungeachtet der obigen Ausführungen hat dieser Fall noch eine weitere Besonderheit: Neuseeland diskutierte ein Gesetz über generische Zigarettenverpackungen, der parlamentarische Prozess wurde ausgesetzt, bis der Schiedsspruch zu Gunsten Australiens bekannt war. Dieses Phänomen wird als „regulatory freeze“ bezeichnet und ist eines der Risiken von Investor-Staat-Schiedsverfahren.
Über Uruguay hinaus: Ein Fußabdruck im internationalen System
Ohne Zweifel geht das Vermächtnis von Tabaré Vázquez weit über die Anti-Tabak-Politik oder die öffentliche Politik an sich hinaus. Aber auf internationaler Ebene hatte der Fall Philip Morris gegen Uruguay, inklusive der Spuren Vásquez‘, Auswirkungen auf das Regelwerk der internationalen Handels- und Investitionsabkommen. Der Einfluss ist sichtbar bei dem Ausschluss von Tabakkontrollmaßnahmen vor Investor-Staat-Schiedsgerichten im Transpazifischen Freihandelsabkommen CPTPP (Comprehensive and Progressive Trans-Pacific Partnership Agreement), der Änderung des Freihandelsabkommens zwischen Singapur und Australien und dem bilateralen Investitionsabkommen zwischen Singapur und Kasachstan.
Öffentliche Gesundheit in Zeiten der Pandemie
In Zeiten der Covid-19-Pandemie weckt der Fall Philip Morris vs. Uruguay erneut das Interesse der internationalen Gemeinschaft. Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Schutz der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheit sind Beispiele für die Geltendmachung des Rechts auf Regulierung; die meisten internationalen Investitionsabkommen wurden jedoch zu einer Zeit abgeschlossen, als der Schutz der Umwelt oder der öffentlichen Gesundheit nicht besonders weit oben auf der internationalen Agenda stand. Heute hingegen hat die Gesundheit weltweite Priorität.
In den kommenden Monaten werden die Staaten eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung von Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit des Impfstoffs spielen, wobei Investor-Staat-Schiedsverfahren möglicherweise ein Risiko für die von ihnen getroffenen Vorkehrungen sein können. Der Fall Philip Morris ist in dieser Hinsicht ein Präzedenzfall für die Anerkennung des Regulierungsrechts im Bereich der öffentlichen Gesundheit; und das zu einer Zeit, in der die Wissenschaft und die organisierte Zivilgesellschaft über die Notwendigkeit nachdenken, neue Verfahren zu begrenzen, die mit Maßnahmen der Staaten zur Eindämmung der gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie begründet werden.
Fazit: Tabaré Vázquez‘ Handschrift wird, wenn es um die Verteidigung der öffentlichen Gesundheit geht, was zuletzt die Verteidigung der Souveränität ist, für immer gegenwärtig sein.
Magdalena Bas Vilizzio hat im Fach Internationale Beziehungen promoviert und ist Assistenzprofessorin für Internationales Öffentliches Recht und Außenhandel an der Universidad de la República.