Eine kritische Würdigung von Christian Kaserer
Für nicht wenige brach vor vierzig Jahren, als John Lennon von einem verrückten Fan vor den Toren seines New Yorker Wohnkomplexes ermordet wurde, eine Welt zusammen. Der Held ihrer Kindheit, Jugend und nicht selten auch Gegenwart wurde ihnen eiskalt für immer entrissen. Was blieb war sein umfangreiches Werk und die Geschichte seines Lebens. Aus ihr wurde im Lauf der Jahre, auch durch geschicktes Marketing, eine Legende gemacht. Sein Todestag ist auch heuer wieder Anlass für unzählige Artikel und Erinnerungen, viele davon ihn panegyrisch in himmlischste Höhen hebend. Lennon hat in seinem Tod erreicht, was ihm zeitlebens – gewiss zum eigenen Wohlgefallen – versagt blieb: Er wird von bürgerlichen wie auch linken Autorinnen und Autoren geradezu als Säulenheiliger verehrt. Unsere Zeitung bemüht sich aus diesem Anlass um eine ausgewogene Gegendarstellung in drei Episoden:
1. Lennon als treibende Kraft der Beatles
Es ist nicht zuletzt Lennons eigenen Interviews zu verdanken, dass er oft als die treibende Kraft hinter der wohl erfolgreichsten Band aller Zeiten gesehen wird. Die 1970er Jahre waren für ihn eine Zeit der Neufindung sowie Neuerfindung und er war, mit Hilfe fragwürdiger Therapeuten, darum bemüht, aus dem Erbe der Pilzköpfe heraus sein gegenwärtiges Ich und dessen Handeln völlig neu zu konstituieren. Damit einher gingen pauschale Verurteilungen seiner Bandkollegen und eine völlig verdrehte Bandgeschichte. Zu diesen bis heute tradierten unwahren Äußerungen zählt etwa die Behauptung, man habe immer im Kollektiv an den Songs von McCartney und Harrison gearbeitet, während Lennons eigene Kompositionen von den anderen stets vernachlässigt worden wären. Das freilich erhöht die Leistungen Lennons für die Beatles enorm und entspricht, wie inzwischen veröffentlichte Outtakes hinlänglich beweisen, keineswegs der Wahrheit. Fakt ist, dass Lennon vor allem in den frühen Jahren als eine Art spiritus rector fungierte und die ausgelaugten Kollegen immer wieder dazu antrieb in schmutzigen Kellern zu spielen, um es eines Tages an die Spitze zu schaffen. Mit dem Voranschreiten der Jahre jedoch geriet Lennons Engagement immer weiter in den Hintergrund und spätestens mit Rubber Soul (1965) kann gesagt werden, dass der Multiinstrumentalist McCartney nicht nur auf, sondern langsam klar überholte. Für Alben wie Sgt. Pepper, Magical Mystery Tour, Let it Be und Abbey Road lieferte er den ausschlaggebenden Impetus und selbst Lennons Avantgarde-Track Revolution 9 hat seinen Ursprung in einer gleichermaßen avantgardistischen Komposition McCartneys. Lennons Rolle für die Beatles ist keineswegs zu unterschätzen, darf allerdings auch nicht zu groß benannt werden. Die Beatles waren ein Kollektiv aus welchem sich Lennon viel früher als alle anderen zurückzog, um sich selbst zu finden.
2. Working Class Hero – der politische Lennon
Für viele Linke ist Lennon eine politische Ikone. Geradezu reflexartig werden Songs wie Imagine oder Power To The People sowie das Album Some Time in New York genannt. Freilich, sie alle sind Zeugnisse eines linken Politikverständnisses und Lennon selbst sang von sich als Working Class Hero. Vergessen werden darf dabei jedoch nicht, dass seine politischen Ansichten wandelbar bis ambivalent waren und er gerade zum Ende seines Lebens hin auch nicht davor zurückschreckte, frühere Positionen zu revidieren. Zu den ersten Zeugnissen von Lennons voranschreitender Politisierung zählt der Beatles-Song „Revolution“. Viele Jahre war der Band vom Manager Brian Epstein verboten worden, sich zu Politik und Krieg zu äußern. So platzte es aus John Lennon 1968 mit diesem Song plötzlich und für seine Kollegen recht ungewohnt direkt heraus.
Obschon der Titel vermuten ließe, Lennon spreche sich für die 68er-Proteste und damit für eine Revolution aus, bleibt das Ergebnis zwiespältig: Er hört die Anliegen der jungen Menschen, er versteht viele davon, bleibt sich allerdings unschlüssig, ob er sich anschließen könne oder nicht. Es werde schon alles gut werden, so Lennons Zusammenschau, welche auf eine göttliche Ordnung, wie er in späteren Interviews selbst angab, rekurriert. John Lennon hatte ein untrügliches Gespür für den Zeitgeist und verstand es, sich zeitgemäß zu inszenieren. Dabei wechselten die Kräfte, welche ihn beeinflussten, stetig. Waren es 1967 und 1968 noch Persönlichkeiten des Peace and Love wie etwa der Drogenguru Timothy Leary und der umstrittene indische Guru Maharishi Mahesh Yogi, so kamen in den späten 60ern und frühen 70ern maoistische und trotzkistische Einflüsse hinzu, die Lennon instinktiv aufnahm und geschickt verwertete. Hinter den plakativen Botschaften der Solokarriere wie etwa All we are saying is give peace a chance – prinzipiell recht dünn, wenn dies alles ist, was man sagt – oder Imagine no possessions verbarg sich also allzu oft also eine kaum vorhandene theoretische Grundlage. Zumal, dies sei erwähnt, nicht wenige Zeilen des Liedes Imagine aus Yoko Onos Federstammten. Der späte Lennon ließ überdies damit aufhorchen, sich für Songs wie Revolution zu schämen und teilte seinen Angestellten unverblümt mit, er würde Ronald Reagan wählen.
3. The Ballad of John and Yoko
Zu den am meisten tradierten Mythen zählt sicher die Liebesgeschichte zwischen John Lennon und Yoko Ono. Beide lernten sich auf Zutun McCartneys in der zweiten Hälfte der 60er Jahre kennen und es entwickelte sich rasch eine Liebesbeziehung, welche Lennon zur Scheidung von seiner ersten Frau Cynthia veranlasste. Ono und Lennon waren von nun an ein Gespann, welches ihre Kunst und seine Musik zu einem Gesamtkunstwerk verschmolz. Vergessen werden darf dabei nicht, dass die Beziehung eine intensive Liebeserfahrung voller Höhen und Tiefen, voll mit Drogen, Sex und Gewalt, ganz im Stile des damaligen Rock’n’Roll, war. Zu den berüchtigsten Episoden kann sicherlich das sogenannte Lost Weekend gezählt werden. 1973 trennte sich Lennon dabei von Ono und ergab sich mit seiner Assistentin May Pang als neuer Partnerin einer 18 Monate andauernden Alkoholeskapade. Daraus gingen einerseits eine Rauferei mit einer Kellnerin, während der Lennon eine unbenutzte Damenbinde auf seiner Stirn trug, sowie das stark gelobte und durchaus persönliche Album Walls and Bridges hervor. Die Jahre seiner Rückkehr zu Yoko Ono waren davon geprägt, sich um den gemeinsamen Sohn Sean zu kümmern, sowie den Haushalt zu schmeißen, während Ono sich um die Geschäfte kümmerte. Ein geplantes Comeback mit den Alben Double Fantasy und dessen Nachfolger Milk and Honey blieb aus bekannten Gründen unvollendet.
John Lennon war vieles und ist heute vor allem eine Projektionsfigur. Die einen sehen in ihm den Helden ihrer Kindheit und schreiben mit romantisierendem Duktus über ihn. Manche erkennen in ihm geradezu einen politischen Säulenheiligen und bauen ihre Texte zu einer Hagiographie aus. Andere wiederum glauben in ihm einen Heuchler, vielleicht sogar einen politischen Feind zu erkennen und geben sich einer damnatio memoriae hin. Eine Person, bei der öffentliches und privates Leben so nah beieinander lagen und zugleich so widersprüchlich sind, verführt geradezu zu solchen einseitigen und apodiktischen Urteilen. Solche Jahrestagen machen dies wieder einmal deutlich. Zwei Dinge sollten dabei jedoch nicht vergessen werden: John Lennon ist nicht nur wunderbare Musik zu verdanken, sondern auch die Politisierung einer ganzen Generation.