2020 ist ein Jahr voller Herausforderungen. Neben einer globalen Pandemie, ist das Jahr auch geprägt von Polizeigewalt, Rassismus und Black- Lives- Matter- Protesten. Es führt uns die wesentlichen Probleme unserer Gesellschaft vor Augen, wie kaum ein anderes Jahr. Warum wir diesen Weckruf nicht länger ignorieren sollten, liest du hier.
Von Sandra Czadul
Der Klimawandel – ein soziales Problem
Der Klimawandel wird oft als Umweltproblem abgetan. Dabei sind seine Folgen weitreichender und die Herausforderungen vielschichtig. Er betrifft die Wirtschaft, die Umwelt und stellt uns vor technische Herausforderungen. Vor allem ist er aber auf sozialer Ebene ein Desaster. Denn die Auswirkungen der Klimakrise sind zwar global zu spüren, doch vor allem bevölkerungsreiche Länder des globalen Südens trifft die Klimakrise besonders hart.
Essentielle Güter wie klare Luft, sauberes Wasser und Lebensmittel sind auf dieser Welt nicht fair verteilt. Der Klimawandel könnte die Ungleichheit zwischen armen und reichen Ländern weiter verstärken. Eine Ungleichheit, die wir schon viele zu lange hinnehmen. Ein Kontinent wie Afrika produziert beispielsweise zwei bis drei Prozent der globalen CO2 Emissionen und ist gleichzeitig am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen. Denn Dürre, Hitze, Fluten, unfruchtbarer Boden und Landrutsch sind schon heute die Realität der afrikanischen Bevölkerung.
Klimagerechtigkeit ist eine Notwendigkeit
Dabei sind vor allem reiche und industrialisierte Länder verantwortlich für den menschengemachten Klimawandel. Ein wichtiger Bestandteil des Paris Protokolls ist deshalb die Klimagerechtigkeit. Aus der Perspektive der Klimagerechtigkeits-Bewegung ist der Klimawandel auch als Ergebnis von sozialer Ungleichheit und eines wachstumsorientierten Wirtschaftssystems anzuerkennen.
Bei Klimagerechtigkeit geht es darum, allen Gemeinschaften den gleichen Schutz vor Umwelt- und Klimagefahren zu ermöglichen. Klimagerechtigkeit bedeutet auch, strukturelle Ungleichheiten zu begreifen, alle Beteiligten und Betroffenen in den Entscheidungsprozess zu involvieren und Führungsrollen fair zu verteilen. Rassismus und der Klimawandel sind eng verbunden, und müssen gleichermaßen bekämpft werden.
Umweltrassismus und wie er Leben beeinflusst
Nicht nur der Klimawandel trifft bestimmte Bevölkerungsschichten stärker als andere. Auch in Sachen Umweltverschmutzung sind vor allem BIPoC (Black Indigenous People of Color) stärker betroffen als Weiße Menschen. Umweltrassismus ist eine Form des systemischen Rassismus, bei dem BIPoC aufgrund von öffentlichen Maßnahmen dazu gezwungen werden, sich in der Nähe von stark befahrenen Straßen, Giftmüllanlagen, Kläranlagen oder Kraftwerken anzusiedeln. Diese Menschen sind überproportional häufig mit Gesundheitsgefahren durch gefährliche Schadstoffe belastet.
Eine Studie der National Academy of Sciences ergab, dass Schwarze und hispanische Gemeinden in den USA mehr von Luftverschmutzung betroffen sind, als sie verursachen. Weiße US-Amerikaner_innen hingegen profitieren von besserer Luft und stoßen gleichzeitig die meisten Schadstoffe aus.
Untersuchungen haben außerdem gezeigt, “dass Nachbarschaften, die von diskriminierenden Wohnpolitiken geprägt waren, die als „Redlining“ bekannt sind, mehr Pflaster, weniger Bäume und höhere Durchschnittstemperaturen aufweisen. Das ist eine Kombination, die zu tödlichen Hitzekrankheiten führen kann”.
Hurrikan Katrina als erschütterndes Beispiel
Die Auswirkungen des Klimawandels, wie extreme Wetterbedingungen, sind verheerend genug. Vor allem zerstören Ereignisse, wie Hurrikan Katrina, Existenzen und unterscheiden nicht zwischen Hautfarbe, Religion oder Sexualität. Der Unterschied ist allerdings, dass Weiße Menschen öfter die finanziellen Ressourcen, aber auch Unterstützung haben, um mit Tragödien wie diesen verhältnismäßig besser umzugehen. Denn das Health Policy Institute in Washington hat in einer Studie herausgefunden , dass 30 Prozent der Schwarzen Einwohner von New Orleans kein Auto zur Verfügung hatten, als Hurrikan Katrina eintraf. Eine Evakuierung war für diese Menschen kaum möglich.
Luftverschmutzung als Todesursache
Es gibt zahlreiche Beispiele für Umweltrassismus. Eines davon ist der Fall von dem neunjährigen Mädchen Ella Kissi-Debrah aus London. Sie lebte in der Nähe einer der verkehrsreichsten Straßen der Großstadt, der South Circular Road. Im Jahr 2013 starb sie und eine Untersuchung aus dem Jahr 2014 ergab, dass die Todesursache auf ein akutes Atemversagen infolge eines schweren Asthmaanfalls zurückzuführen war.
Im Jahr 2018 wurde dann in einem Bericht festgestellt, dass die Luftverschmutzung in ihrer Wohngegend, drei Jahre vor ihrem Tod, ständig die vorgeschriebenen EU-Grenzwerte überschritten hatte und somit Ursache für dieses Atemversagen gewesen sein könnte. Laut der Weltgesundheitsorganisation, sterben jedes Jahr sieben Millionen Menschen wegen Luftverschmutzung. Weitere Studien ergaben, dass vor allem Schwarze Gemeinden häufiger in Gebieten mit starker Luftverschmutzung leben.
Die Wurzeln des Wohlstands
Rassismus ist nicht nur ein trauriger Teil unserer Geschichte, sondern auch der Gegenwart. Diese Form der Ausgrenzung, Erniedrigung und Ausbeutung ist für viele BIPoC noch immer präsent und begleitet uns als Gesellschaft schon sehr lange, obwohl es aus wissenschaftlicher Sicht gar keine „Menschenrassen“ gibt,
Die Einteilung in „Rassen“ hat seit jeher vor allem einer Bevölkerungsschicht genutzt: Der Weißen. Schon mindestens seit der Kolonialisierung dient das Konzept der „Rassentrennung“ zur Abgrenzung, um gesellschaftliche, finanzielle und politische Interessen durchzusetzen und Unterdrückung und Sklaverei zu legitimieren.
Der westliche Wohlstand ist vor allem möglich, weil die Großmächte Europas viele Teile dieser Erde gewaltsam eroberten, Kosten ausgelagert haben und Menschen ausgebeutet wurden. Damit ist Ausbeutung die wirtschaftliche Grundlage für unseren heutigen Wohlstand. Gleichzeitig ist sie auch die Ursache für Armut, da wertvolle Ressourcen an die Kolonialmächte gingen und Kolonien nicht daran beteiligt wurden.
Noch heute steht Profitmaximierung an erster Stelle und Menschenrechte kommen für einige viel zu oft viel zu kurz. Beispiele dafür finden sich in der Textilindustrie oder beim Raubbau seltener Erden. Heute lebende Menschen haben zwar nicht aktiv am Ursprung des Konstrukts der sozialen Ungleichheit mitgewirkt. Doch es ist unser Erbe und damit geht auch Verantwortung einher. Es ist die Verantwortung es besser zu machen, soziale Ungleichheit und Rassismus zu bekämpfen und jene zu unterstützen, die auf Kosten der industrialisierten Länder leiden.
Wer sitzt am Hebel?
Wenn man sich die Regierungschefs dieser Erde ansieht, erkennt man schnell ein Muster. Vor allem jene in den größten Machtpositionen sind Weiß und männlich. Nicht umsonst war es etwas Besonderes, als Obama zum ersten Schwarzen Präsidenten der USA gewählt wurde.
Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt, das BIPoC nur 12 % der Führungspositionen von untersuchten Nichtregierungsorganisationen und Umweltorganisationen ausmachten. Gründe dafür gehen, laut Interviews aus der Studie, mit unbewusster Voreingenommenheit einher und das, obwohl Umweltorganisationen seit Jahren den Wert von Diversität betonen. Männer hingegen besetzen laut dieser Studie 76,2 Prozent der Führungsrollen. Ethnische Minderheiten sind in der Umwelt Belegschaft also stark unterrepräsentiert. Warum das ein Problem ist, zeigt folgendes Beispiel:
Neben Greta Thunberg gibt es viele andere junge Menschen, die für eine bessere Zukunft laut werden und Klimagerechtigkeit und Handlungen fordern. Dazu gehört auch Vanessa Nakate, eine Aktivistin aus Uganda, die 2020 beim World Economic Forum in Davos teil nahm. Gemeinsam mit Greta Thunberg, Loukina Tille, Luisa Neubauer und Isabelle Axelsson wurde sie von der Associated Press fotografiert. Doch in der Berichterstattung war von der Präsenz der jungen Aktivistin nicht die Rede, und auf dem Foto war sie nicht zu sehen. Nachdem bekannt wurde, dass sie absichtlich weggeschnitten wurde twitterte die junge Aktivistin folgendes:
Die Verantwortlichen entschuldigten sich daraufhin und haben das ursprüngliche Foto hochgeladen. Gerade bei Klimafragen haben die Stimmen von Menschen wie Vanessa Nakate besondere Bedeutung. Denn sie sind schon heute stärker von Umweltkatastrophen betroffen, und wir brauchen ihre Erfahrungen und Teilnahme. Denn die Herausforderung Klimakrise fordert uns alle und nur gemeinsam können wir sie bewältigen.
Wie sich Umweltrassismus in Zeiten von Corona auswirkt
Eine Harvard Studie, die im April 2020 veröffentlicht wurde, ergab, dass Luftverschmutzung zu mehr COVID-19 Todesopfern führt. Weitere Studien sind zur Erkenntnis gekommen, dass sSchwarze US-Amerikaner_innen am stärksten von Kraftwerksverschmutzung betroffen sind und, dass mehr als 68 Prozent im Umkreis von verschmutzenden Kohlekraftwerken leben. Die Corona-Pandemie, verschärft die Situation, wie das folgende Beispiel zeigt:
Die 36-jährige sSchwarze Britin Kayla Williams litt im März 2020 unter Husten, hohem Fieber, starken Brust und Bauchschmerzen. Ihr Mann rief daraufhin die Rettung, da Verdacht auf COVID-19 bestand. Die Rettung kam, führte Tests durch und empfahl der Patientin „Selbstpflege“. Laut the guardian kam bei den Tests heraus, dass Kayla COVID-19 hatte. Ihr Ehemann erzählte im Interview, dass die Rettung sagte, dass das Krankenhaus Kayla nicht nehmen würde, weil sie nicht Priorität habe. Einen Tag später war Kayla tot.
Kein Platz für Rassismus
Es ist notwendig den Klimawandel als das anzusehen was er ist: ein globales gesellschaftliches Problem. Technische Lösungen können uns zwar bei der Bewältigung der Klimakrise helfen, doch ansetzen müssen wir auch in den Tiefen unserer Gesellschaft.
Niemand sucht sich Herkunft oder Hautfarbe aus und trotzdem bestimmen sie über Leben und Tod. Das obwohl die Natur an sich nach Diversität strebt, um Krankheiten vorzubeugen und die beste Anpassung an die Umwelt zu ermöglichen. Zu oft berücksichtigen die menschlich geschaffenen Systeme nicht die Regeln der Natur und der Klimawandel ist die Rechnung, die wir dafür zahlen.
Wir alle tragen zu Krisen wie dem Klimawandel oder Rassismus bei. Das Gute ist: Wir können uns entscheiden welchen Beitrag wir leisten. Wir können uns für eine gerechtere Welt und gegen Ausbeutung einsetzen. Wir können Zivilcourage zeigen, indem wir bei Ungerechtigkeit einschreiten. Wir können künstlich geschaffene Konstrukte von Identität hinterfragen und brechen und solidarisch mit jenen sein, die darunter leiden. Wir können gemeinsam neue Systeme schaffen, in denen Gerechtigkeit herrscht. Denn klar ist: In einer funktionierenden Gesellschaft ist kein Platz für Rassismus und den Klimawandel bewältigen wir nur gemeinsam.