Das Recherche-Netzwerk «investigativ.ch» hat dem Seco einen Schmähpreis für die Verhinderung von Transparenz zugesprochen.
Tobias Tscherrig für die Online-Zeitung INFOsperber
Seit fünf Jahren zeichnet das Recherchenetzwerk investigativ.ch die grössten Informationsverhinderer der Schweiz mit dem Schmähpreis «Goldener Bremsklotz» aus. Der Negativ-Preis gilt als Rote Karte für Informationsverhinderer. Er soll nicht nur Einzelfälle anprangern, «investigativ.ch» will damit für gute politische Rahmenbedingungen kämpfen, in denen Journalistinnen und Journalisten ihrer Arbeit nachgehen können. Das Recherchenetzwerk zeigt mit dem Schmähpreis Recherchehindernisse und ihre Folgen auf und will Informationsverhinderung zum Gegenstand der Debatte machen.
Keine Auskunft über Corona-Kredite
In diesem Jahr vergab «investigativ.ch» aber nicht einfach nur einen Schmähpreis für Informationsverhinderung, vielmehr verlieh das Schweizer Recherche-Netzwerk für Journalistinnen und Journalisten 2020 einen «Corona-Sonder-Bremsklotz», der die grösste Informationsverhinderung in Zusammenhang mit der aktuellen Gesundheitskrise «auszeichnet».
Der Preis geht an das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das sich – trotz einer eindeutigen Empfehlung des Öffentlichkeitsbeauftragten des Bundes – hartnäckig weigerte, Daten über die gesprochenen Corona-Kredite herauszugeben. Die Umweltorganisation «Greenpeace» hatte Zugang zu Daten über die Kreditvergabe an 100’000 Firmen verlangt. Denn immerhin haben Schweizer Banken Corona-Kredite in der Höhe von rund 17 Milliarden Franken ausbezahlt. Eine historisch hohe Summe, für die der Bund fast vollumfänglich bürgt – weswegen die Daten von hohem öffentlichem Interesse sind. Trotzdem weigerte sich das Seco, Transparenz herzustellen und rückte die angeforderten Daten selbst in pseudo-anonymisierter Form nicht heraus.
Dabei wollte «Greenpeace» nur erfahren, wie diese Corona-Kredite verteilt wurden. «Bei solch gigantischen Summen an Steuergeldern muss die Öffentlichkeit erfahren, ob das Geld auch in Branchen fliesst, die klimaschädlich sind», sagte Florian Kasser von Greenpeace im «Beobachter».
Öffentlichkeitsbeauftragter des Bundes ignoriert
Das Seco argumentierte, es sei nicht im Besitz der entsprechenden Daten. Diese befänden sich im IT-System der Bürgschaftsorganisationen, welche die Corona-Kredite verwalten. Dabei handle es sich um Organisationen, die privatrechtlich organisiert seien und deshalb nicht dem Öffentlichkeitsgesetz unterstünden.
Also wandte sich «Greenpeace» an Adrian Lobsiger, den Öffentlichkeitsbeauftragten des Bundes. Dieser befand die Argumentation des Seco als «nicht überzeugend» und empfahl, die Daten in «pseudo-anonymisierter Form» herauszugeben. Damit war das Seco aber «nicht einverstanden». Zwar gestand es ein, die angeforderten Daten in der Zwischenzeit zu haben – im Rahmen der Missbrauchsbekämpfung bei den Krediten seien sie der Finanzkontrolle und damit auch dem Seco zur Verfügung gestellt worden. Das Gesuch von «Greenpeace» verletze aber das Bankgeheimnis. Kasser kommentierte das im «Beobachter» mit den Worten: «Mit fadenscheinigen Argumenten ignoriert das Seco die Empfehlung des Öffentlichkeitsbeauftragten.» Und Martin Stoll, Geschäftsführer von Öffentlichkeitsgesetz.ch doppelte in derselben Publikation nach: «Obwohl ein Zugang zu den Daten möglich wäre, ohne die Rechte der Betroffenen zu verletzen, verweigert das Amt den Zugang. Solche Geheimniskrämerei ist deplatziert.» Der Verwaltung müsse bewusst sein, dass das öffentliche Interesse an einer Aufarbeitung der Corona-Krise gross sei.
Das Seco lehnt die Entgegennahme des Schmähpreises ab und wiederholt gegenüber «investigativ.ch», man sei zum Zeitpunkt des Gesuchs nicht im Besitz der angefragten Daten gewesen. Und da Firmengeheimnisse betroffen seien, hätte man die Daten auch dann nicht herausgeben dürfen, wenn man sie gehabt hätte.
Auch Daniel Koch war nominiert
Wie «investigativ.ch» schreibt, sei die Wahl des Seco zwar überraschend. Der Fall zeige aber exemplarisch, wo auch Schweizer Medienschaffende in ihrem Recherche-Alltag auflaufen würden. Sie seien immer wieder mit einer «ganz normalen, unspektakulären Informationsverhinderung» konfrontiert.
Für den «Corona-Sonder-Bremsklotz» waren neben dem Seco auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG), die Eidgenössische Zollverwaltung und Daniel Koch nominiert. Das BAG schafft es bis heute nicht, «maschinenlesbare Daten zeitnah zu veröffentlichen», begründet «investigativ.ch» die Nominierung. Die Eidgenössische Zollverwaltung erreichte die Nominierungs-Plätze, weil sie Bussen ohne Rechtsgrundlage verhängt hatte und sich dann weigerte, das entscheidende Dokument herauszurücken. «Mr. Corona» Daniel Koch wurde nominiert, weil er in der Maskenfrage und bei seinem Wechsel ins Beraterbusiness «höchst intransparent» kommunizierte.
Die bisherigen PreisträgerVor dem Seco ging der «Goldene Bremsklotz» bereits an:
- das Bundesamt für Landwirtschaft
- den PR-Berater Sacha Wigodorovits
- die Nationalratspräsidentin Christa Markwalder (FDP)
- das Bundesstrafgericht
- den Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor
- den millionenschweren Industriellen Jørgen Bodum
Allerdings haben nur zwei der bisherigen Preisträger den Schmähpreis persönlich entgegengenommen und stellten sich an der jeweiligen Generalversammlung von «investigativ.ch» den kritischen Fragen von Journalistinnen und Journalisten.