Seit Beginn des bewaffneten Konflikts, der am 4. November 2020 zwischen der Zentralregierung Äthiopiens und der halbautonomen Provinz Tigray, die an Eritrea und den Sudan grenzt, begann, wird ein größerer Ausbruch befürchtet. Hunderte von Menschen wurden bereits getötet, und die Vereinten Nationen haben vor einem massiven Flüchtlingsstrom gewarnt. Einzelheiten sind schwer zu bestätigen, da die Zentralregierung alle Kommunikationsmittel abgeschnitten hat.
Äthiopien ist eine föderale Republik, die in 10 halbautonome Provinzen gegliedert ist. Diese sind weitgehend nach ethnischen Gesichtspunkten organisiert. Die ethnischen Tigrayaner machen etwa sechs Prozent der geschätzten 110 Millionen Bürger aus. Die Tigrayaner haben jedoch in den letzten drei Jahrzehnten eine wichtige Rolle in der nationalen Politik gespielt und befinden sich in einem Land mit einer stagnierenden und unorganisierten Wirtschaft in relativ komfortabler Lage. Darüber hinaus verfügt Tigray über schätzungsweise 250.000 gut ausgebildete Militärtruppen, von denen einige durch die Schlacht im Krieg mit Eritrea abgehärtet sind. Daher könnte ein bewaffneter Konflikt mit der Zentralregierung lang und blutig verlaufen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, hat eine Deeskalation der Kämpfe und den Auftakt der Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts gefordert. Bis jetzt gibt es jedoch keine Anzeichen für Verhandlungsbereitschaft.
Der Konflikt entspringt einem klassischen Problem bei sehr unterschiedlichen föderalen Regierungen: der Aufteilung der politischen und wirtschaftlichen Macht zwischen der Zentralregierung und den Provinzen oder Staaten. Die Zentralregierung wird von Abiy Ahmed geführt, der 2018 an die Macht kam. Die Führung von Tigray hat sich kritisch geäußert und erklärt, dass die Zentralregierung die Macht zentralisieren wolle und Tigray vernachlässigt habe. Einige der Führer der anderen Provinzen stimmen dem zu und fordern ebenfalls mehr Autonomie.
Die Spannungen spitzten sich im September 2020 zu, als die Wahlen für das Parlament von Tigray gegen den Willen der Bundesregierung abgehalten wurden. Diese wollte wegen der COVID-19 Pandemie alle Wahlen verschieben. Daher bezeichnete die Zentralregierung die Wahlen als „illegal“. Tigray antwortete daraufhin, dass sie die Unabhängigkeit beanspruchen und aus der äthiopischen Föderation austreten wollen, eine Möglichkeit, je nach Auslegung der äthiopischen Verfassung. Daraufhin begann die Zentralregierung, die Städte Tigrays mit Kampfjets anzugreifen.
Offensichtlich ist Krieg nicht der beste Weg, um mit den Machtspannungen innerhalb föderaler Strukturen umzugehen. Aber wir haben die Gewalt gesehen, die aus denselben Problemen im ehemaligen Jugoslawien und aus dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion entstanden ist. In dieser Phase müssen wir den Aufruf des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu einem Waffenstillstand und zur Aufnahme von Verhandlungen in guter Hoffnung unterstützen.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!