Entwicklungsländer wollen Unternehmen auf Menschenrechte verpflichten. Die Schweiz blockt ab – auch letzte Woche wieder.

Markus Mugglin für die Online-Zeitung INFOsperber

Die Initiative schade dort am meisten, wo geholfen werden soll und sie sei neokolonialistisch. Die Vorwürfe sind happig. Erhoben werden sie von der Grünliberalen Nationalrätin Isabelle Chevalley im Abstimmungskampf zur Konzernverantwortung. Und mit dem geradezu anti-imperialistischen Kampfruf «runter vom hohen Ross des Weltpolizisten» macht Elisabeth Schneider-Schneiter, CVP-Nationalrätin und Handelskammer-Frau beider Basel, mobil gegen die Initiative. Die sich als Anwältinnen der «Verdammten dieser Erde» aufspielenden Nationalrätinnen Chevalley und Schneider-Schneiter ignorieren allerdings, was sich seit sechs Jahren immer im Herbst im nahen Genf am UNO-Sitz abspielt. Gerade letzte Woche von Montag bis Freitag wieder, wenn auch weitgehend virtuell. Diskutiert wurde über einen UNO-Vertrag, der transnationale Unternehmen rechtlich verbindlich auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichten will. Auch die Medien wollten es nicht zur Kenntnis nehmen, obwohl die Wahrnehmung der parallel zu den hiesigen Debatten laufenden Diskussionen auf UNO-Ebene manch nationale Verirrungen blossstellen würde.

Afrika gab den Ausschlag

Gestartet wurde das Vorhaben bereits 2014. Die afrikanischen Staaten machten es möglich, darunter auch Burkina Faso, das die Grünliberale Isabelle Chevalley jetzt gegen die Konzernverantwortung einspannt. Dieses westafrikanische Land machte zusammen mit neun weiteren Staaten Afrikas die Lancierung des Vetragsprozesses mit dem Ziel rechtlich bindender Menschenrechtsauflagen für Unternehmen erst möglich. Sie stellten die Hälfte aller Ja-Stimmen für die damals von Südafrika und Ecuador gemeinsam eingebrachte Resolution. Unterstützt wurden sie von sechs asiatischen Ländern (inklusive China), Russland und Kasachstan sowie Kuba und Venezuela als einzige Länder aus Lateinamerika. Unterlegen waren insbesondere die europäischen Länder, die USA und Japan.

An der Frontstellung arme gegen reiche Länder hat sich seit 2014 nichts geändert. Gewachsen ist die Unterstützung in Lateinamerika. Laut Michael Nanz, Co-Präsident der Nicht-Regierungsorganisation FIAN Schweiz für das Recht auf Nahrung, der als Beobachter an den alljährlich in Genf stattfindenden Sessionen teilnimmt, sprechen sich aus Lateinamerika längst nicht mehr nur Kuba und Venezuela für das Vorhaben aus. Vergangene Woche hätten sich auch Argentinien, Chile, Ecuador, Mexiko und Panama dafür engagiert. Dagegen positioniert hat sich unter Lateinamerikas Staaten einzig Brasilien.

Schweiz verweigert sich

Geradezu als Sonderling spielt sich die Schweiz auf. Da der Bundesrat gegen die Konzernverantwortungsinitiative ist, lässt er seine Diplomaten regelmässig ohne Mandat in Genf anreisen. Sie äussern sich aber doch – letztes Jahr beispielsweise «skeptisch in Bezug auf ein allfälliges Abkommen». Letzte Woche versuchte sich die Delegation mit Verweis auf einen «engen Dialog» mit den Unternehmen zu rechtfertigen, – als ob das eine Alternative zu einem rechtlich verbindlichen Vertrag wäre. Und wie stets in den letzten Jahren verweigerte die Schweiz erneut ihre Teilnahme an den Verhandlungen.

Die Diskussionen in der UNO zielen in die gleiche Richtung wie die Konzernverantwortungsinitiative. Laut dem für die diesjährige Session überarbeiteten Abkommensentwurf 1) sollten die Staaten die Unternehmen zu wirksamen Sorgfaltsprüfungen verpflichten. Sie müssten die Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt in der gesamten Wertschöpfungskette und damit auch exterritorial erfassen, inklusive die Aktivitäten von Tochterunternehmen. Die tatsächliche Kontrolle von Unternehmen wäre Gradmesser dafür, wer für angerichtete Schäden haftbar gemacht werden könnte. Und würden Unternehmen ihren Sorgfaltsprüfungspflichten nicht nachkommen, drohten Sanktionen. Besonderes Gewicht legt der Abkommensentwurf auf die Klagerechte der Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Über die im hiesigen Abstimmungskampf heftig umstrittene Beweislastumkehr wird auch im UNO-Kontext debattiert.

Vorwurf Neo-Kolonialismus kehrt sich gegen die Schweiz

Die von den Entwicklungsländern in der UNO angestossene Debatte und jene in der Schweiz laufen also zum Verwechseln ähnlich. Der Vorwurf des «Neo-Kolonialismus» von Mitte-Politikerinnen wie Chevalley und Schneider-Schneiter ist deshalb geradezu absurd. Auch die neuste Stellungnahme der Afrikanischen Koalition zur Rechenschaftspflicht von Unternehmen (African Coalition on Corporate Accountability ACCA) macht das klar. Das länderübergreifende Bündnis afrikanischer Nicht-Regierungsorganisationen wertet einen rechtsverbindlichen UNO-Vertrag vielmehr als Chance, sich gegen neokolonialistische Praktiken grosser Konzerne zur Wehr zu setzen. Ein rechtlich bindender Vertrag böte die Möglichkeit, der «Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen ein Ende zu setzen und den Opfern Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen», hält das ACCA-Bündnis in ihrer vor der neusten UNO-Session publizierten Erklärung fest.

Die Entwicklungsländer finden aber noch immer kein Gehör bei den reichen Ländern. Zu ihrem Nachteil tun sich sogar neue Bruchlinien auf: Die Grossmächte China und Russland, die 2014 noch für die Lancierung des Vertragsprozesses gestimmt hatten, haben die Front gewechselt. Ihnen scheint zu missfallen, dass auch staatlich kontrollierte Unternehmen der Menschenrechtspflicht unterstellt werden sollten. Zur Nein-Front gewechselt hat auch das von Bolsonaro geführte Brasilien. Und noch immer blockieren die Europäer, obwohl die EU einen Vorschlag für die verbindliche Verankerung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltsprüfungspflichten angekündigt hat. Doch erst 2021 soll es so weit sein. Deshalb verhielten sich die EU-Staaten erneut passiv abwartend. Einzig Frankreich hat über den Hinweis auf das eigene Gesetz über die Sorgfaltsprüfungspflicht Sympathie für den Vertragsprozess angedeutet. Ob die EU im nächsten Jahr die Frontseite wechselt, ist die grosse Unbekannte. Sicher ist aber, dass der Vertragsprozess weitergeht und im nächsten Jahr intensiviert werden soll.

Wie sich die Schweiz dann verhält, dürfte vom Ausgang der Abstimmung über die Konzernverantwortung abhängen. Bei einem Nein würde sie wohl ihren Verweigerungskurs fortsetzen. Ein Ja böte die Gelegenheit, mit den Entwicklungsländern über eine künftige Ordnung zur Menschenrechtspflicht der Unternehmen ins Gespräch zu kommen. Es wäre die Chance «vom hohen Ross» der Gesprächsverweigerung zu steigen.

1) Informative Zusammenfassungen und Einschätzungen hier und hier