Frankreich und die Niederlande ziehen in Betracht, US-Internetkonzerne „notfalls zu zerschlagen“. Deutschlands Widerstand dagegen schrumpft.
In der EU wächst die Bereitschaft zu harten Schritten gegen die Dominanz US-amerikanischer Internet- und Hightech-Konzerne. Dies geht aus Berichten in Wirtschaftsmedien hervor. Demnach drohen Frankreich und die Niederlande in einem Positionspapier, das sie jüngst gemeinsam vorgelegt haben, US-Internetriesen „notfalls zu zerschlagen“. Das Papier ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Niederlande bisher im Kampf gegen die US-Internetmonopole gewöhnlich bremsten. Während sie auf die jahrelang von Frankreich vertretene Linie einzuschwenken scheinen, man müsse die Marktmacht von Konzernen wie Google oder Amazon brechen, deutet sich auch in der Bundesrepublik ein Kurswechsel an. Berlin hatte in der Sache bislang ebenfalls gebremst: Die Bundesregierung war bemüht, etwaige US-Gegenmaßnahmen gegen die deutsche Exportindustrie zu vermeiden, für die die Vereinigten Staaten zuletzt der bedeutendste Absatzmarkt waren. Allerdings beginnt sich dies in der Covid-19-Pandemie zugunsten Chinas zu verschieben. Nun droht die Trump-Administration mit einem neuen Handelskrieg.
Zerschlagung der „Gatekeeper“
Innerhalb der EU wächst die Bereitschaft, hart gegen US-Internet- und Hightech-Konzerne vorzugehen, die eine beherrschende Stellung auf dem europäischen Markt errungen haben. Ein jüngst publiziertes, gemeinsames Positionspapier der Regierungen Frankreichs und der Niederlande verlangt Berichten zufolge sogar, US-Internetkonzerne „notfalls zu zerschlagen“.[1] Es fordere die EU-Kommission auf, konsequent gegen monopolartige Strukturen auf dem IT-Sektor und auf den Internetmärkten vorzugehen, die nahezu ausschließlich von US-Unternehmen dominiert werden, heißt es im „Handelsblatt“. Es gehe dabei um „Big-Tech“ und um „Gatekeeper-Plattformen“, etwa Amazon, die ihre eigenen, monopolartigen Marktstrukturen im Netz geschaffen haben. Etliche der US-Internet-Plattformen seien zu mächtig geworden, wird die niederländische Wirtschaftsstaatssekretärin Mona Keijzer zitiert. Der auf Digitales spezialisierte deutsche Europaabgeordnete Axel Voss (CDU) stimmt diesem Vorstoß grundsätzlich zu; er bezeichnet Konzernzerschlagungen zwar als „Ultima Ratio“, wendet allerdings ein, es gebe inzwischen „Hinweise“, in der „europäischen Digitalwirtschaft“ habe sich womöglich ein „Marktversagen“ entwickelt, das harte Maßnahmen notwendig machen könne. Im vergangenen September forderte der französische Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton bereits sogar den Ausschluss von US-Konzernen vom europäischen IT-Markt.
Der Digital Services Act
Der gleichfalls auf Digitales spezialisierte deutsche Europapolitiker Tiemo Wölken (SPD) pflichtet der Einschätzung seines konservativen Kollegen bei, die Marktmacht der US-Konzerne verzerre den „Wettbewerb auf dem digitalen Binnenmarkt“. Allerdings sei man sich in der EU nicht klar darüber, wie man die Stellung europäischer IT-Unternehmen stärken könne. Es sei „sehr schwer, objektive Kriterien zu entwickeln, welche Firmen strenger überwacht werden sollen“, erklärt der Binnenmarkt-Sprecher der CDU im Europaparlament, Andreas Schwab. Im Gespräch sei beispielsweise eine „Wettbewerbsbehörde für die Digitalwirtschaft“. Derzeit arbeite die EU-Kommission fieberhaft an einem Digital Services Act, einem Bündel von Maßnahmen und Regeln, mit denen Brüssel der „Marktmacht der amerikanischen Internetgiganten“ begegnen wolle. Bis zum Dezember sollen die Grundzüge des protektionistischen Maßnahmenpakets, das die derzeit US-dominierte Digitalwirtschaft für Wettbewerber aus der EU öffnen soll, dem Europaparlament und den EU-Staaten zur Diskussion vorgelegt werden, Die Vorschläge zielten darauf, „Wettbewerbsverzerrungen und Desinformation“ zu verhindern sowie einen „fairen Umgang mit Werbung und Nutzerdaten“ zu gewährleisteten, berichtet das „Handelsblatt“.
„Zugang zu Daten“
Tatsächlich zielen Paris und Den Haag den Berichten zufolge mit ihren Vorschlägen nicht nur darauf ab, die US-Internetgiganten daran zu hindern, „ihre eigenen Angebote auf Kosten kleinerer Wettbewerber durchzusetzen“. Vor allem sollen sie dazu bewegt werden, ihre Nutzerdaten ihren EU-Konkurrenten zur Verfügung zu stellen. Es gehe um den „Zugang zu Daten, zu Dienstleistungen, Interoperabilität“, wird der französische Digital-Staatssekretär Cédric O zitiert; dies seien „effiziente Instrumente“, um Marktabschottung zu vermeiden und den EU-Verbrauchern Wahlfreiheit zu garantieren. In diesem Zusammenhang fordert das niederländisch-französische Positionspapier einen „effizienten und abschreckenden Sanktionsmechanismus“. Die protektionistischen Bestrebungen der EU richten sich dabei zuvörderst gegen die „großen Vier“ der US-Digitalwirtschaft (Amazon, Apple, Facebook, Google), doch kursieren Berichten zufolge in Brüssel Unternehmenslisten, auf denen rund 20 US-Konzerne zu finden sind, die von den neuen EU-Regelungen betroffen wären.[2] Die EU-Kommission streitet dies freilich ab.
Frontverschiebungen in der EU
Der aktuelle französisch-niederländische Vorstoß ist bemerkenswert, weil Den Haag bislang im EU-Monopolkampf gegen die US-Internetriesen gewöhnlich bremste. Der Hintergrund: Die Niederlande ziehen mit ihrer Steuergesetzgebung zahlreiche ausländische Unternehmen an, darunter US-Konzerne, auf deren Interessen sie Rücksicht nehmen. Frankreich hingegen geht schon seit Jahren gegen die US-Internetriesen vor, nicht zuletzt mit seiner Digitalsteuer (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Deutschland wiederum nimmt in der Sache traditionell eine vorsichtige Haltung ein: Die deutsche Exportindustrie ist, weil der US-Absatzmarkt große Bedeutung für sie hat, sehr anfällig für protektionistische Vergeltungsmaßnahmen. Allerdings hat sich die Haltung Berlins jüngst mit der Verabschiedung eines ersten Entwurfs für ein neues Wettbewerbsrecht geändert. Die Gesetzesnovelle soll dem Bundeskartellamt neue Befugnisse verschaffen, Sanktionen gegen Konzerne mit einer „überragenden marktübergreifenden Bedeutung“ zu erlassen. Dies wiederum verschaffe der EU-Kommission „Rückenwind“ bei ihren protektionistischen Bestrebungen, heißt es.[4] Der Berliner Sinneswandel dürfte auf die protektionistischen Tendenzen der Trump-Administration zurückzuführen sein sowie auf den pandemiebedingten Einbruch der deutschen Exporte in die USA, die im August um 21 Prozent unter dem Volumen des Vorjahresmonats lagen. Eine langfristige Erholung auf den Stand vor der Krise gilt als eher unwahrscheinlich.
Transatlantischer Steuerstreit
US-Kommentatoren urteilen zu den Vorstößen in der EU, die Union wolle „sich selbst das Recht geben“, US-Technologiekonzerne „aus Europa hinauszuwerfen“.[5] Neben den Optionen, eine Zerschlagung der US-Unternehmen durchzuführen oder sie gar vom EU-Markt auszuschließen, sei ein Bewertungssystem im Gespräch, das Konzernen Punkte für ihre Steuermoral und für die Entfernung „illegaler Inhalte“ vergeben solle, heißt es. Das meinungsbildende „Wall Street Journal“ urteilt, den Hintergrund der Auseinandersetzungen bilde ein jahrelang schwelender, immer noch ungelöster Streit zwischen Brüssel und Washington um die Besteuerung der Internetriesen.[6] Das vorläufige Scheitern der multilateralen Verhandlungen darüber werde insbesondere die Beziehungen zwischen der EU und den USA auf eine harte Belastungsprobe stellen. Die Spannungen seien so stark, dass Washington bereits drohe, neue Strafzölle zu erlassen, sollte Brüssel in Eigenregie Steuern gegen US-Internetkonzerne verabschieden. Bislang beharrt die Trump-Administration auf einer Ausnahmeregelung, die es US-Konzernen ermöglichen soll, die – für sie günstigen – geltenden Steuerregelungen beizubehalten. Den Streitwert des Machtkampfs beziffert die OECD auf rund 100 Milliarden Euro, die im Rahmen einer Steuerreform international neu verteilt würden – zu Lasten der USA und mancher Steueroasen. Hinzu kämen weitere 100 Milliarden Euro an neuen Einnahmen aus einer globalen Mindeststeuer. Sollte der Streit zu einem Handelskrieg zwischen USA und EU eskalieren, rechnet die OECD mit Verlusten in Höhe eines Prozents der globalen Wirtschaftsleistung – dies mitten in einer die Wirtschaft ohnehin massiv einbrechen lassenden Pandemie.
[1] Hans-Peter Siebenhaar: Frankreich und Niederlande wollen Digitalkonzerne notfalls zerschlagen. handelsblatt.com 15.10.2020.
[2] Till Hoppe, Hans-Peter Siebenhaar: Europa plant härteres Vorgehen gegen Big-Tech-Unternehmen. handelsblatt.com 12.10.2020.
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