Eindrückliche TV-Reportage dokumentiert die immer unverfrorener agierenden Rechtsextremen und die Neonazi-Nähe von Teilen der AfD.
Jürg Müller-Muralt Für die Online-Zeitung INFOsperber
«Vor einigen Jahren hätte ich gesagt: Wir sind nicht die Weimarer Republik. (…) Doch mittlerweile mache ich mir ernsthafte Sorgen um die Demokratie in unserem Land.» Dies sagt Stephan Kramer, Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, in einer kürzlich ausgestrahlten Reportage des deutschen Privatsenders ProSieben.
«Rechts. Deutsch. Radikal.»
Wer sich die rund zweistündige Sendung ansieht, weiss danach, wovon der Verfassungsschützer spricht. Mit seiner TV-Dokumentation «Rechts. Deutsch. Radikal.»hat der Reporter Thilo Mischke einen Recherche-Coup gelandet. Anderthalb Jahre war Mischke unterwegs in der rechtsextremen Szene. Er hat Veranstaltungen besucht, mit Exponenten und Experten gesprochen, zwischenhinein auch einmal undercover recherchiert. Herausgekommen ist eine Reportage mit Tiefenschärfe, wobei Einordnungen und Analysen nur am Rande vorgenommen werden. Aber das ist in diesem Fall kein Mangel: Das zusammengetragene Material spricht für sich.
«Man geht aus der Deckung»
Man sieht die bekannten Bilder: Zusammenkünfte, Lager, Aufmärsche der Rechtsextremen, Rechtsrock-Konzerte und natürlich viele tätowierte Neonazis. Das allein wäre noch nicht viel Neues. Schockierender wird es da, wo öffentliche Demonstrationen mit aufgepeitschten, hassverzerrten, Parolen brüllenden «Normalbürgerinnen und -bürgern» gezeigt werden. «Man geht aus der Deckung, man ist selbstsicherer», sagt Verfassungsschützer Stephan Kramer. Die Reportage zeigt Bilder eines neuen Selbstverständnisses der Rechtsextremen, die sich als Sprachrohr der Volkswut sehen, was Hand in Hand geht mit einer beklemmenden neuen Normalität.
Die Sehnsucht nach ganz rechts
Es sind aber vor allem die Gespräche des Reporters mit einzelnen Vertretern, die äusserlich eher ruhigen, unspektakulären Szenen, die hängen bleiben. Thilo Mischke versteht es in seiner direkten Art, Menschen zum Sprechen zu bringen. Etwa da, wo Mischke einen jungen 17-Jährigen trifft, der als einer der Hoffnungsträger der Rechtsextremen gilt und unbedingt eine rechte Revolution will. Manchmal ringt der Reporter sichtlich um Fassung, wenn er der Frage nachgeht, woher diese Sehnsucht nach ganz rechts herkommt. Im Gespräch mit dem jungen Mann zum Beispiel, als dieser sagt: «Unser Leitspruch lautet: Für das Leben sein.» Mischke hakt nach: «Für jedes Leben?». «Ja klar, für jedes Leben», antwortet der Mann. «Auch für jüdisches Leben?» Antwort: «Kein Kommentar». Man kann also auch so eine lupenreine nationalsozialistische Gesinnung kundtun.
Die Nähe zur AfD
Wirklich brisant wird die filmische Dokumentation vor allem dort, wo es um die Nähe von Rechtsextremen zur Alternative für Deutschland (AfD) geht. Zwei Vertreter der neonazistischen Kleinstgruppierung «Die Rechte» in Dortmund stellen klar, die AfD sei für sie keine Konkurrenz. Sie sehen vielmehr ein arbeitsteiliges Vorgehen und seien «dankbar» für die AfD, denn «sie öffnet das Fenster weit in die bürgerliche Mitte hinein. (…) Die Ränder gehen ohnehin ineinander über.»
Der Reporter gibt sich in den Gesprächen nie neutral. So fragt er die zwei Dortmunder, was denn mit ihm als klarem Gegner ihrer Ideologie geschehen würde, sollten sie jemals an die Macht kommen. Dann werde es ihm halt «nicht mehr so wohl sein in Deutschland», befanden die beiden Herren vielsagend. Aber, je nach Lage, liessen sie vielleicht auch noch ein bisschen Meinungsfreiheit zu.
Die umgepolte Youtuberin
Der Höhepunkt der Dokumentation folgt gegen das Ende. Es geht um eine junge Influencerin und Youtuberin, die im Netz mit ihren offen fremdenfeindlichen Filmen zu einem Aushängeschild der extremen Rechten geworden ist, sich der AfD nahe fühlte und auch entsprechend umworben wurde. Doch während der Dreharbeiten geschieht etwas, das schwer einzuordnen ist: Die junge Frau sagt ziemlich unvermittelt, unter Tränen und vor laufender Kamera, dass sie sich von den Extremisten ausgebeutet und missverstanden fühle. Sie war dann etwas später gar bereit mitzuhelfen, die AfD zu entlarven, indem sie sich mit einem hohen AfD-Funktionär trifft und diesem absolut menschenfeindliche Äusserungen entlockt. Im Film wird der Name nicht genannt, aber es handelt sich um den Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Lüth, der noch vor der Ausstrahlung entlassen wurde, nachdem er wegen einer anderen heiklen Äusserung bereits im Mai freigestellt worden war.
Die Ungeheuerlichkeiten des AfD-Pressesprechers
Das Gespräch wurde im Februar 2020 heimlich mitgeschnitten und gefilmt. Da das Mikrofon im Rücken des AfD-Mannes offenbar nicht richtig funktionierte, wurde die männliche Stimme nachgesprochen und mit dem Schriftzug «Gedächtnisprotokoll» unterlegt. Das ist zwar heikel, doch ProSieben hat auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung versichert, dass dem Sender «eidesstattliche Erklärungen von Menschen vorliegen, die das so mitgehört hätten». Mittlerweile hat auch Christian Lüth seine heimlich mitgeschnittenen Äusserungen gemäss deutschen Medien bestätigt und als «unentschuldbar» bezeichnet. Rechtsextrem seien er oder die AfD aber nicht. Zudem bezeichnete er seine Aussagen als «ironisch». Im Originalton lautet diese «Ironie» wie folgt:
Christian Lüth: «Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich scheisse, auch für unsere Kinder. Aber wahrscheinlich erhält uns das. Wenn jetzt alles gut laufen würde, dann wäre die AfD bei drei Prozent. Deshalb müssen wir uns eine Taktik überlegen zwischen: Wie schlimm kann es Deutschland gehen? Und: Wieviel können wir provozieren? Und dazwischen müssen wir kommunizieren. Sehr schwierig.»
Die Influencerin: «Vor allem klingt das so, als ob es in deinem Interesse wäre, dass noch mehr Migranten kommen.»
Christian Lüth: «Ja, weil dann geht es der AfD besser. Wir können nachher immer noch alle erschiessen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal! Aber jetzt, wo die Grenzen immer noch offen sind, müssen wir dafür sorgen, solange die AfD noch ein bisschen instabil ist und ein paar Idioten da antisemitisch rumlaufen, müssen wir dafür sorgen, dass es Deutschland schlecht geht.»
Eine schwere Belastung für die deutsche Demokratie
Dieses Gespräch ist für Alexander Gauland, einer der beiden Fraktionschefs der AfD im Bundestag und Ehrenvorsitzender der Partei, verheerend. Denn dokumentiert ist auch, dass Lüth und Gauland während dieses Gesprächs miteinander kurz telefonierten. Die beiden standen sich also sehr nahe. Auch die NZZ berichtete am 02.10.2020, dass Gauland bei der Medienarbeit voll auf Lüth gebaut habe. Die Öffentlichkeit, so schreibt die NZZ, «fragt sich nun doch mit Recht, ob die Fraktionsspitze, die eng mit Lüth zusammenarbeitete, wirklich nicht wusste, wes Geistes Kind ihr Sprecher war.»
Die ganze Dokumentation, nicht nur dieses heimlich aufgezeichnete Gespräch, unterstreicht den nicht mehr ganz neuen Befund eindrücklich, dass zwischen neonazistischen und anderen rechtsextremen Gruppierungen und Teilen der AfD nur noch graduelle Unterschiede bestehen. Dass eine solche Partei 88 von 709 Abgeordneten des Deutschen Bundestags und 282 von insgesamt 1868 Parlamentssitzen in den Bundesländern stellt, ist für die Demokratie in Deutschland eine schwere Belastung.