«Abhängigkeiten werden in Kauf genommen». So steht es wörtlich in einem VBS-Papier. Und auf «Helvetisierungen» wird verzichtet.
Christian Müller für die Online-Zeitung INFOsperber
Mein Kollege Niklaus Ramseyer bezichtigte in seinem Artikel vom 8. September hier auf Infosperber die VBS-zuständige Bundesrätin Viola Amherd, den USA gegenüber «treuherzig» und strategiepolitisch «unbedarft» zu sein. Grund genug, um im Verteidigungsdepartement, in der Schweiz VBS genannt, nochmals nachzufragen, wie es denn mit der Abhängigkeit der Schweizer Luftwaffe von den USA wirklich sein wird.
Das VBS gab Antwort und verwies auf ein Schriftstück, von dessen Inhalt ich bisher noch in keiner Zeitung lesen konnte. Das Papier heisst: «Anforderungen an die Beschaffung eines neuen Kampfflugzeugs (NKF) und eines neuen Systems der bodengestützten Luftverteidigung grösserer Reichweite (Bodluv GR)». In diesem Papier gibt es das Kapitel 3: «Sicherheitspolitische Anforderungen». Und dort gibt es unter Position «3.1 Vorgaben» den Punkt 5:
- «Die Interoperabilität mit Nachbarstaaten und Teilnehmerstaaten der Partnerschaft für den Frieden (*) muss insbesondere in den Bereichen taktische Datenübertragung (Tactical Data Link), Funk (insbesondere gesicherte Sprachübermittlung: Secure Voice), Freund-Feind Erkennung (IFF: Identification Friend or Foe) und Präzisionsnavigation (Satellitennavigation GPS bzw. Galileo) bestehen, auch wenn deshalb Abhängigkeiten in Kauf genommen werden müssen.»
«Auch wenn deshalb Abhängigkeiten in Kauf genommen werden müssen.»
Die Schweiz kauft also ausgerechnet für den denkbar schlimmsten Fall, nämlich für den Kriegsfall, Kampfmittel, mit denen wir von den USA oder einer transatlantischen militärischen Organisation klar und heute schon einkalkuliert abhängig sein werden. Es ist deshalb auch ziemlich egal, ob diese Jets von den USA oder einem EU-Land gekauft werden.
Im gleichen Papier die Position 4: «Rüstungspolitische Anforderungen»:
- «1. Beschaffung und Instandhaltung erfolgen gemäss den Grundsätzen des Bundesrates für die Rüstungspolitik nach dem Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsprinzip.»
- «2. Für die Beschaffung sowohl des neuen Kampfflugzeugs als auch der bodengestützten Luftverteidigung gelangt das Einladungsverfahren (Government to Government wie auch direkt mit den Herstellern) zur Anwendung.
- «5. Abgesehen von minimal erforderlichen Anpassungen (z.B. Integration in die eigenen Führungssysteme) ist auf Helvetisierungen zu verzichten, d.h. die Systeme (Kampf-flugzeuge und Bodluv GR) entsprechen grundsätzlich der Konfiguration, wie sie im Herstellerland im Einsatz steht bzw. eingeführt werden soll und wie sie für den Export freigegeben wird.»
Auch hier also die Bestätigung: Der Kauf der Kampfflugzeuge wird primär mit den ausländischen Regierungen verhandelt und getätigt, nicht primär mit den Herstellern der Kampfjets. Es lebe die schweizerische Unabhängigkeit!
Der 27. September wird ein historischer Tag werden
In weniger als drei Wochen müssen wir Schweizer und Schweizerinnen zu mehreren Vorlagen an der Urne Ja oder Nein sagen. Die grösste Schweizer Partei, die SVP, empfiehlt erneut, mit ihrer «Begrenzungsinitiative» zu Europa auf Distanz zu gehen. Ihr geistiger Vater, Christoph Blocher, bestätigt, dass ein Ja die Kündigung aller bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU zur Folge haben kann. Die gleiche Partei SVP aber empfiehlt den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern ein Ja zum Kauf von neuen Kampfjets, die uns, vom zuständigen Departement der Regierung schriftlich bestätigt, in militärische Abhängigkeit bringt.
Die Schweiz, ein kleines aber wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas. Mit Verweis auf seine Souveränität gibt es hier nicht einmal eine Diskussion über einen Beitritt zur EU, obwohl sie, die Schweiz, fast alles, was die EU vorgibt, freiwillig nachvollzieht. Und obwohl sie, die Schweiz, dort als Mitglied politisch mitreden könnte und sogar ein Veto-Recht hätte (wichtige EU-Beschlüsse müssen einstimmig erfolgen). Aber ausgerechnet dort, wo es um Sein oder Nicht-Sein dieser Schweiz geht, um die militärische Verteidigung im Falle eines Angriffes, geht sie, diese neutrale Schweiz, mit der NATO ins Bett.
Die Bundesrätin hat also nicht unrecht, wenn sie sagt, die Typenwahl sei irrelevant.
Ich kann nur wiederholen, was ich schon am 29. August hier geschrieben habe: Die politische Schizophrenie dieser Schweiz ist programmiert.
(*) Die «Partnerschaft für den Frieden» / «Partnership for Peace» ist die nachwachsende Schwesterorganisation der NATO. Wer sie im Internet sucht, landet auf der Website der Nato: nato.int.
Siehe dazu auch:
«Das VBS im Griff von Experten und Lobbyisten», (von Niklaus Ramseyer auf Infosperber)
«Darum braucht die Schweiz keine neuen Kampfjets» (von Christian Müller auf Infosperber)
«Neutrale Schweiz – aber im engen Verbund mit der NATO?» (von Christian Müller auf Infosperber)
«So schaffte sich die NATO ihren notwendigen Feind» (von Christian Müller auf Infosperber)