Am heutigen Samstag, 19. September, sind in Berlin mehrere Tausend Menschen für die Streichung des Paragraphen §218 aus dem Strafgesetzbuch und damit die Entkriminalisierung von ungewollt Schwangeren und Ärzt*innen auf die Straße gegangen.
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung setzte bei einer Kundgebung mit 1000 Teilnehmenden am Pariser Platz unter dem Motto „Leben. Lieben. Selbstbestimmt.“ ein deutliches Zeichen für sexuelle Selbstbestimmung und gegen fundamentalistische Kräfte, Abtreibungsgegner*innen und Rechte, die zeitgleich beim sogenannten Marsch für das Leben durch Berlin zogen. Viele weitere Personen, die an der Kundgebung teilnehmen wollten, wurden nach eigenen Aussagen durch die Polizei am Zugang für die gesamte Dauer daran gehindert.
„Dieses Jahr hat uns natürlich auch die Coronakrise vor besondere Herausforderungen gestellt. Wir haben uns gegen einen Demonstrationszug und für eine bunte Kundgebung entschieden, um die Sicherheit und Gesundheit aller Teilnehmenden zu gewähren. Dennoch haben die Geschehnisse der vergangenen Monate gezeigt, wie wichtig unser Kampf gegen konservative, fundamentalistische und rechtsextreme Kräfte ist, die europaweit und weltweit auf dem Vormarsch scheinen,“ so Ines Scheibe, Mitgründerin des Bündnisses und selbst in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig. „Hier und weltweit hat die anhaltende Pandemie die Situation für ungewollt Schwangere weiter verschärft und gezeigt, dass nur die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu einer flächendeckenden, gesicherten Gesundheitsversorgung führen kann.“
Über die Verschärfung entstandener Versorgungsprobleme bei ungewollten Schwangerschaften in Deutschland sprach deswegen auch Christiane von Rauch von Doctors for Choice Germany und Urszula Bertin von Ciocia Basia informierte über den Versorgungsnotstand für ungewollte Schwangere aus Polen.
Der Aktionstag kündigt auch ein bitteres Jubiläum an: Im nächsten Jahr wird es den Paragraphen 218, der Schwangerschaftsabbrüche und Ärzt*innen kriminalisiert, 150 Jahren geben. Ebenso lange währt der Kampf für seine Streichung. Mit einer großangelegten Fotoaktion startete das Bündnis daher ebenfalls seine Kampagne „150 Jahre Widerstand gegen §218“.
Einblicke in die Geschichte des Widerstands gab Gisela Notz, Historikerin und Mitglied im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, in ihrem Redebeitrag. Warum sich Gewerkschaften für die Streichung von §218 einsetzen sollten, erklärte Brigitte Schero, Mitglied im Präsidium des Verdi-Gewerkschaftsrates.
Über die Stigmatisierung und Diskriminierung von queeren Menschen in Deutschland sprach Jamie Kerner von der Rechtshilfe für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen und eine Vertreterin der Freien Ungarischen Botschaft schilderte die Situation der LGBTQ* Community in Ungarn.
Den Zugang zu reproduktiven Rechten von Geflüchteten thematisierten Binta von Space2Grow und der Redebeitrag von Women in Exile.
Für bunte Abwechslung sorgte ein vielfältiges Unterhaltungsprogramm: Mit dabei waren das senegalesische Trommlerduo um Yoro, polnische Rapper*innen der Gruppe Do3xsuka und SKET vom Theater X. Außerdem begeisterten die Seifenblasenkünsterlin Pippifax und Luftartistin Xilian besonders die jungen Zuschauenden.
Auch das queerfeministische Bündnis What the Fuck rief zeitgleich zu einer Ralley in Berlin Mitte auf. Unter dem Motto „Feminism is not a Crime“ schlossen sich mehrere Tausend Menschen an. Dem standen beim sogenannten „Marsch für das Leben“ 2500 Demonstrant*innen gegenüber, der zeitgleich in Berlin-Mitte stattfand.
„Sie nennen sich Lebensschützer, doch das ist reine Heuchelei. Mit ihren Positionen riskieren sie weltweit das Leben von ungewollt Schwangeren, die keinen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbruch haben. Oder sorgen mit LGBTIQ freie Zonen für lebensbedrohliche Bedingungen von queeren Personen – wie wir in anderen Ländern leider schon beobachten können“, so Silke Stöckle, Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. „Dem diskriminierenden Schweigemarsch konnten wir ein lautes, kinderfreundliches und buntes Programm entgegensetzen.“
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung ist ein breites Bündnis aus Beratungsstellen, verschiedenen feministischen und allgemeinpolitischen Gruppen, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien sowie Einzelpersonen. Seit seiner Gründung 2012 organisiert es Proteste gegen den jährlich stattfindenden, bundesweiten Marsch für das Leben. Neben der Streichung des Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch fordert das Bündnis eine geschlechter- und kultursensible Sexualaufklärung für alle sowie eine angemessene Unterstützung für jene, die sich für ein Kind entscheiden, damit sie ihre eigene Lebensplanung aufrechterhalten können.