Der COVID-Virus trifft die direkte Demokratie in der Schweiz im Herzen. Mit der Pandemie sind Unterschriften-Sammlungen unsicherer, aufwendiger und teurer geworden. Die Rede ist bereits von einem «Initiativ-Sterben». Stark betroffen sind auch Referenden, bei denen der Zeitdruck sehr hoch ist.

Um vor der drohenden Demokratiekrise zu warnen, hat die Stiftung für direkte Demokratie – die WeCollect betreibt – einen offenen Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommargua veröffentlicht.

Frau Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga
Eidgenössisches Departement für
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
Bundeshaus Nord
3003 Bern

Basel, 28. August 2020

 

Offener Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga: COVID-19 bedroht unsere direkte Demokratie.

Sehr geehrte Frau Bundespräsidentin

Das COVID-19-Virus ist nicht nur eine akute Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung und das Funktionieren der Wirtschaft, sondern trifft auch unsere direkte Demokratie im Herzen. Die unterzeichnenden Bürgerinnen und Bürger sind sehr besorgt über die negativen und teilweise noch nicht absehbaren Folgen der Pandemie für die Volksrechte.

Unterschriftensammlung: unsicherer, aufwendiger und teurer

Mit den notwendigen Schutzmassnahmen im öffentlichen Raum ist die Unterschriftensammlung für Volksinitiativen und Referenden unsicherer, aufwendiger und teurer geworden. Daher schieben Komitees bereits geplante Projekte auf oder sehen davon ab. So wurde wegen COVID-19 im letzten halben Jahr keine einzige nationale Initiative lanciert.

Im Falle von Referenden ist die Lage noch prekärer: Die knappe Sammelfrist von 100 Tagen führt dazu, dass angesichts der Unsicherheit, ob die erforderlichen Unterschriften unter den stark erschwerten und nicht vorhersehbaren COVID-19-Bedingungen fristgerecht gesammelt werden können, auf Referendumsbegehren verzichtet wird. Es ist bereits jetzt absehbar, dass gegen Gesetze, die das Parlament während der Pandemie verabschiedet, weit weniger häufig das Referendum ergriffen und darüber abgestimmt werden wird.

Die Unterzeichnenden bitten Sie daher, sehr geehrte Frau Bundespräsidentin, dem Bundesrat dringliche Massnahmen zu unterbreiten, um – in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen – die Volksrechte zu schützen und die COVID-19-bedingt gestiegenen Hürden für Initiativen und Referenden zu senken. Wir schlagen hierzu drei Massnahmen vor:

1. Bescheinigung der Unterschriftenlisten nach Einreichung

Als wirksame Sofortmassnahme könnte eine Erleichterung bei der aufwändigen Bescheinigung der Unterschriften eingeräumt werden. Auf Bundesebene müssen die Unterschriftenlisten vor der Einreichung durch das Komitee bei über 2’000 Gemeindekanzleien bescheinigt werden. Dieses Erfordernis führt dazu, dass ein Teil der gesammelten Unterschriften nicht in der Frist von 100 Tagen bescheinigt werden kann.

Referendumskomitees sollte es vorübergehend ermöglicht werden, Unterschriftenlisten ohne Bescheinigung bei der Bundeskanzlei einzureichen, die die Bescheinigung danach ihrerseits selbst einholt. Das System «Bescheinigung nach Einreichung» hat sich in verschiedenen Kantonen wie Zürich, Basel-Stadt, Basel-Land, Genf, Schwyz, Appenzell-Ausserrhoden, Obwalden und Freiburg bewährt.

2. Elektronische Unterschrift anerkennen

Eine weitere unterstützende Massnahme wäre, für eine befristete Zeit Unterschriften auf Touchscreens als rechtmässig anzuerkennen. Diese Form der elektronischen Unterschrift, die wir von der Schweizerischen Post kennen, würde den Bürgerinnen und Bürgern erlauben, digitale Unterschriftenbogen von Volksinitiativen und Referenden einfacher, sicherer und kostengünstiger auf persönlichen Geräten wie Smartphones und Tablets zu unterzeichnen und den Komitees ohne Portokosten zu retournieren. Ebenso könnten qualifizierte elektronische Unterschriften (Art. 14 II bis OR, in Verbindung mit ZertES) als rechtsmässige Unterschrift für Volksinitiativen und Referenden anerkannt werden.

3. Pilotprojekte für E-Collecting starten

Das digitale Unterzeichnen von Initiativen und Referenden ist seit 2011 ein fester Bestandteil der «Vote électronique»-Strategie des Bundesrates. Um die Digitalisierung der direkten Demokratie mit der COVID-19-Erfahrung voranzutreiben und E-Collecting möglichst bald einzuführen, bitten die Unterzeichnenden den Bundesrat, gestützt auf Art. 27q der Verordnung über die politischen Rechte, entsprechende Pilotprojekte mit den Kantonen zu starten und so das nötige Wissen und die Erfahrung aufzubauen.

Mit bestem Dank für Ihre Aufmerksamkeit und im Vertrauen, dass der Bundesrat und das Parlament in Zusammenarbeit mit den Kantonen griffige Massnahmen zum Erhalt der Volksrechte erlassen werden, verbleiben wir mit freundlichen Grüssen

Sophie Fürst, Claudio Kuster, Lucy Koechlin, Marco Kistler und Daniel Graf
Stiftung für direkte Demokratie

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