Eine Verurteilung könnte ihn für viele Jahre ins Gefängnis bringen
Kolumbiens Ex-Präsident Álvaro Uribe befindet sich seit dem 4. August 2020 unter Hausarrest. Ihm wird Bestechung von Zeug*innen und Verfahrensbetrug vorgeworfen. Die Anordnung des Hausarrests ist der Höhepunkt eines Prozesses, der 2012 begonnen hat. Der Regierungsskandal ereignet sich zu einem Zeitpunkt, an dem die Covid-19-Pandemie das Land fest im Griff hat.
Am 4. August dieses Jahres ordnete der Oberste Gerichtshof Kolumbiens Hausarrest für den Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez an. Es ist das erste Mal in der kolumbianischen Geschichte, dass ein Ex-Präsident verhaftet wird. Uribe war von 2002 bis 2010 Kolumbiens Regierungspräsident. Er gilt noch immer als einer der einflussreichsten Politiker*innen des Landes und Hardliner der Rechten. Die Meinungen über ihn spalten das ganze Land. Die einen rühmen ihn für sein Vorgehen gegen die FARC, seine Politik rief eine politische Bewegung, den Uribismo, ins Leben. Die anderen werfen ihm vor, die Paramilitärs mit aufgebaut zu haben und Schuld an massiven Menschenrechtsverletzungen zu tragen.
Gegen Uribe laufen schon seit Jahren Ermittlungsverfahren, doch noch nie musste er sich vor Gericht verantworten. Er wird auch der „Teflon-Präsident” genannt, da alle Anschuldigungen an ihm abperlen. Doch nun ist er unter Hausarrest gestellt, um die Gefahr der Justizbehinderung zu verringern, so die Richter*innen, die den Arrest anordneten. Bis zu einem Jahr könnte er dort verbleiben müssen, auch wenn noch keine formelle Anklage gegen ihn erhoben wurde.
José Miguel Vivanco, geschäftsführender Direktor der Americas Division von Human Rights Watch, äußert sich positiv über die Festnahme. „Ich gratuliere dem Obersten Gerichtshof zu seinem verantwortungsvollen Handeln bei der Anordnung des Hausarrests von Uribe“, so Vivanco. „Das Gericht zeigt, dass niemand – auch nicht der Mächtigste – über dem Gesetz steht. Die richterliche Unabhängigkeit muss respektiert werden.“
Alles begann damit, dass der Senator Iván Cepeda der sozial-demokratischen Partei Demokratischer Alternativer Pol (PDA) im Jahr 2012 der Staatsanwaltschaft und dem Kongress eine Akte vorlegte, in der es um Uribes angebliche Verbindungen zum Paramilitarismus geht. Fotografien und Zeug*innenaussagen sollen beweisen, dass in den neunziger Jahren auf einem Grundstück im Besitz der Familie Uribe eine paramilitärische Gruppe entstand. Damals war Álvaro Uribe Gouverneur von Antioquia, einem Verwaltungsgebiet im Nordwesten Kolumbiens.
Mehr und mehr Stimmen fordern Duques Rücktritt
Als Cepeda 2014 den Fall erneut vor den Kongress brachte, versuchte Uribe die Geschichte umzudrehen. Der Ex-Präsident nutzte die Besuche Cepedas in den Gefängnissen, die dieser machte, um mit den inhaftierten Paramilitärs zu reden, um zu behaupten, dass Cepeda selbst versuche, die Zeug*innen zu manipulieren. Vier Jahre später verkündete das Gericht, dass es keinen Grund zur Ermittlung gegen Cepeda gebe. Es gab jedoch Beweise gegen Uribe, die Anlass zur Untersuchung waren.
Konkret geht es im laufenden Fall um Juan Guillermo Monsalve, ein vermeintliches Mitglied einer paramilitärischen Gruppe. Uribe soll Monsalve dazu gebracht haben, eine Aussage zurückzunehmen, die den Ex-Präsidenten in Verbindung mit der Aufstellung einer paramilitärischen Gruppe bringt. Auch soll Uribe in verschiedene Massaker verwickelt gewesen sein, die von Paramilitärs durchgeführt wurden. Wird er schuldig gesprochen, könnte er für sechs bis acht Jahre in Haft kommen.
Die Inhaftierung von Uribe könnte auch den amtierenden Präsidenten Iván Duque schwächen. Dieser ist stark von seinem Vorgänger Uribe abhängig. Es ist weithin bekannt, dass Duque die Wahl 2018 nicht ohne die Hilfe und Zustimmung des ehemaligen Präsidenten gewonnen hätte. Uribe erhoffte sich durch Duque das Wiederaufleben des Uribismo und die Stärkung der von ihm gegründeten Partei Demokratisches Zentrum (CD). Doch in den vergangenen Monaten sank die Beliebtheit von Duque in der Bevölkerung. Seine Umfrage- werte lagen im Februar nur noch bei 23 Prozent. Der Präsident hat es versäumt, der Polarisierung der Bevölkerung entgegen zu wirken. Auf Demonstrationen Ende vergangenen Jahres forderten mehr und mehr Stimmen seinen Rücktritt.
Schon seit Jahren wird gegen Uribe ermittelt
Duque zeigt sich auf Twitter solidarisch mit Uribe. In einer Videoansprache sagt er: „Als Kolumbianer tut es weh, dass ein vorbildlicher Beamter, der den höchsten Posten im Staat besetzt hat, sich nicht in Freiheit und mit der Unschuldsvermutung verteidigen darf.“ Nach der Inhaftierung Uribes stellten Duque und seine Anhänger*innen außerdem die Unabhängigkeit der Richter*innen in Frage.
Uribe trat inzwischen vom Amt als Senator zurück, das er seit 2014 ausübte. Am 18. August gab er bekannt, dass er sein Mandat abgeben werde. Er warf dem Obersten Gerichtshof in dem Schreiben zusätzlich vor, dass seine Festnahme nicht rechtmäßig gewesen sei. Auch will er sich weiterhin für eine Reform und Entpolitisierung des Justizwesen einsetzen. Der Senat hat indes seinen Rücktritt als Senator abgesegnet. Das hat unter anderem zur Folge, dass nun die Generalstaatsanwaltschaft und nicht mehr der Oberste Gerichtshof in dem Verfahren ermittelt.
„Wenn man nicht mehr die Funktion eines Kongressabgeordneten inne hat, wie zum Beispiel jetzt, wo der Rücktritt angenommen wurde, behält das Gericht nur noch die Zuständigkeit für diejenigen Tatsachen, die sich auf die Funktion eines Kongressabgeordneten beziehen“, erklärt der Anwalt Uribes, Jaime Granados, gegenüber dem Fernsehsender NTN24. Im Falle Uribes seien die vermeintlichen Verbrechen nicht im Bezug zu seiner Funktion als Senator geschehen, so das Statement des Obersten Gerichtshofes zur Entscheidung.
Zusätzlich gibt es derzeit ungefähr 400 Klagen gegen den Beschluss des Obersten Gerichtshofs, Uribe unter Hausarrest zu stellen. Viele von Uribes Anhänger*innen kritisieren den Arrest im Hinblick darauf, dass sich viele FARC Kämpfer*innen durch das Friedensabkommen 2016 nicht vor der Justiz verantworten mussten. Die ersten 177 dieser Klagen wurden bereits abgelehnt.
Der Skandal entfaltet sich, während die Corona-Pandemie das Land fest im Griff hat. Das neuartige Virus verschärft die strukturelle Ungleichheit im Land. Arbeitslosigkeit und Armut steigen, die Wirtschaft wird noch weiter geschwächt. Zudem nehmen häusliche Gewalt und Xenophobie im Land zu, es gibt einen Anstieg an Morden. Der Ex-Präsident Uribe befindet sich währenddessen auf seinem Anwesen El Ubérrimo im Norden Kolumbiens. Nach einer überstandenen Covid-19 Infektion Anfang August muss er darauf warten, wie es in seinem Fall weitergehen wird.