Als Frau und mexikanische Krankenschwester bestimmt das Thema der Gewalt gegen Frauen die Art und Weise, in der ich die Welt betrachte, aber noch viel mehr die Art, nach der ich in dieser für Frauen unsicheren und gewalttätigen Welt lebe.
In Mexiko schafft das bloße Frausein schon ungleiche Bedingungen: da man in diese nach Geschlecht geteilten Kategorien hineingeboren wird, entwickelt man automatisch eine bestimmte Art zu leben und sich gemäß der Stigmata und Vorstellungen einer patriarchalen Gesellschaft wie der mexikanischen zu verhalten.
Frausein, ist nirgendwo auf der Welt leicht. Aber als Frau in einer höchst gewalttätigen Gesellschaft wie der mexikanischen schwimmt man in einem Ozean voller möglicher Aggressionen, die von Übergriffen auf der Straße bis zum Mord (als letzte Option der Gewaltspirale) reichen.
Generell gilt, dass man von dem Moment an, in dem man geboren wird, Emotionen, Gefühle und Verhaltensweisen entwickelt, die zur mexikanischen Vorstellung einer Frau passen. Viele von uns Frauen erleben zu Hause Gewalt, ganz zu schweigen von einigen indigenen Gemeinschaften, in denen die Praxis des Austauschs von Frauen gegen Vieh oder Landanteile noch immer Gang und Gäbe ist. Diese Praktiken beinhalten, dass eine Frau zu einem bestimmten Stück Land dazu gehört und das Recht Frauenkörper zu enteignen und zu beschädigen, wird akzeptiert, weil es als „traditionelle Praktik oder als Brauch“ des Herkunftsortes gilt.
Außerdem wird Gewalt in den Fernsehserien, auf den Straßen, in den Schulen und im Kontakt mit anderen Frauen reproduziert. Kurz gesagt, sie heftet sich an unsere Fersen, wohin wir auch gehen. Zum Beispiel wenn man heranwächst und der Körper andere Formen annimmt, die den sexualisierten Schönheitsstandards entsprechen, wird die Straße plötzlich zu einem unsicheren Ort und man spürt die Blicke der Männer allen Alters auf sich. Einige Frauen sagen, dass diese Männer sie mit ihren Blicken förmlich ausziehen. Das kann man nicht verstehen, bis man es am eigenen Leib erlebt hat. Man fühlt sich wirklich nackt, umgeben von Einsamkeit und ohne zu wissen, was vor sich geht.
Zu all diesen Emotionen kommen noch die berühmten „Komplimente“ hinzu, die von der sonst so malerischen und traditionellen spanischen Sprache zu unbequemen, aggressiven Äußerungen werden und damit all unsere Sinne, Ängste, unsere Art zu handeln und in der Gesellschaft zu leben, beeinträchtigen. Denn genau wegen solcher Übergriffe möchte man schließlich bestimmte Kleidungsstücke nicht mehr tragen, nicht mehr an einer Gruppe von Männern vorbeigehen, sondern lieber unsichtbar werden.
Wie schon gesagt, findet Gewalt überall statt und so begegnen wir als Krankenschwestern ihr selbstverständlich auch. Bei der Arbeit gehören Übergriffe zum Alltag für Frauen. Viele von uns mussten sich schonmal unangemessene Bemerkungen anhören oder wurden sogar von männlichen Patienten angefasst.
Außerdem werden wir mit Belästigungen am Arbeitsplatz durch Vorgesetzte und Behörden konfrontiert, während wir nach einem Ausweg, nach besseren Arbeitsbedingungen suchen. Es lässt sich sogar feststellen, dass die Art und Weise, wie Männer mit Frauen sprechen, oft anders ist, als wenn sie mit Männern sprechen: Ich habe Fachkräfte und berufstätige Männer zu Krankenschwestern und Ärztinnen „Herzchen, Süße, mein Mädchen, Schätzchen“ usw. sagen hören, die sich dadurch die Dominanz und Macht über den weiblichen Körper aneignen. Ohne Zweifel sind dies Gewohnheiten, die das Bild des großen mexikanischen Machos akzeptieren, reproduzieren und verherrlichen.
Laut Rita Segato, gibt es in Mexiko eine Pädagogik der Grausamkeit. Kurz gesagt, die mexikanische Gesellschaft hat ihre eigenen Methoden, Kompetenzen, Fähigkeiten und Haltungen für den Umgang mit der Reproduktion von Gewalt gegen Frauen entwickelt. Es ist angesichts dessen wohl kaum verwunderlich, dass es keine rechtliche Kategorie gibt, um Feminizide zu bestrafen oder um konkrete Ermittlungselemente für deren Aufarbeitung einzuführen, die das Konzept der häuslichen Gewalt gegenüber dem Feminizid entmystifizieren würden. Des Weiteren gibt es keine Unterstützungen für die Angehörigen der Opfer und es wird bewusst verhindert, dass sich die Haltung der Gesellschaft dahingehend verändert, dass Frauen nicht mehr für ihren eigenen Tod verantwortlich gemacht werden.
Es klingt hart, aber die mexikanische Gesellschaft drängt förmlich auf Nachrichten über Frauen, die ermordet wurden, und sie zieht immer ihre eigenen Schlüsse, indem sie den Mord mit dem berühmten Thema „Verbrechen aus Leidenschaft“ rechtfertigt oder schlimmer noch versichert, dass Männer unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen nicht wissen, was sie tun. Das letztendliche Ziel besteht darin, diese Pädagogik der Grausamkeit und Gewalt gegen Frauen und ihre Körper aufrechtzuerhalten, denn für Mexiko sind wir nichts anderes als Objekte der Fortpflanzung, der Unterwerfung, des Gehorsams und des Christentums – wir sollten unser Leiden akzeptieren, bloß weil wir Frauen sind – was, wie gesagt, auch eine Konstruktion ist, die für die Beherrschung jener Körper geschaffen wurde, die sich von den „männlichen“ Körpern unterscheiden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir uns als Krankenschwestern nicht um die Gesundheit unserer Patienten kümmern können, ohne all diese gewaltsamen Strukturen zu verstehen und zu hinterfragen, die wir nur aus der Geschlechterperspektive heraus betrachten und analysieren können. Schlicht und einfach deshalb, weil die Konzeption und das Bild der Krankenpflege unter einem sexistischen und heteronormalen Paradigma konstruiert wurde, müssen wir genau dort – an den Wunden und Stigmata – ansetzen, um unseren Beruf zu verändern und zu modernisieren.
Von Karla Mijangos und übersetzt aus dem Spanischen von Luna Jakob vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!