Vom Kampf gegen Apartheid bis hin zur Forderung von Gleichberechtigung für Frauen und LGBTs
Am 9. August 1956 marschierten 20.000 Frauen aller Ethnien durch die Straßen von Pretoria, Südafrika um Apartheid anzuprangern. Sie standen vor dem Gewerkschaftsgebäude, dem Regierungssitz, protestierten gegen Apartheit und sangen: „Du schlägst eine Frau, Du schlägst einen Fels.” Der Frauenmarsch erschütterte Südafrika in einer Zeit, in der die Aktionen von Frauen gegen Apartheit weitgehen übersehen wurden. Um an den Mut der Frauen zu erinnern wird seit 1995 jeden August der Frauenmonat im Land gefeiert.
Insbesondere für südafrikanische Frauen mit schwarzer Hautfarbe dauerte der Kampf für Gleichberechtigung weitaus länger an als das Ende der Apartheit in den Neunzigerjahren. Was bedeutet der Frauenmarsch für Frauen, die nicht nur gegen Apartheid, sondern auch für ihre Rechte als Frauen oder Lesben kämpften? Als der August sich dem Ende zu neigt, spricht Philippa Stewart mit Phumi Mtetwa und Beverly Ditsie, zwei Frauen, die an vorderster Front der Lesben-, Schwulen- und Transgenderbewegung in Südafrika stehen.
Phumi Mtetwa
Auf die Frage, warum der August wichtig ist, zögert Phumi Mtetwa nicht mit der Antwort.
„Geschichte ist wichtig”, unterstreicht sie.
Mtetwas Überzeugung nach kann die Notwendigkeit, sich an diesen Tag zu erinnern, gar nicht überbewertet werden: „Die Verdienste der Frauen zur Abschaffung von Apartheit werden völlig außer Acht gelassen. Wir müssen die Geschichte sehr genau in Erinnerung halten.”
Mtetwa meint deshalb, dass der August in Südafrika nicht nur von feiernden Frauen handeln, sondern auch den Frauen, die heute noch in diesem Land gegen Ungerechtigkeit kämpfen, Anerkennung zollen sollte.
„Die Mehrheit der Frauen in Südafrika heute sind geprägt von der Ungerechtigkeit und davon, was das Land durchgemacht hat. Womit wir jetzt konfrontiert werden, ist die Frage danach, wie man die Feierlichkeiten auf der einen Seite mit der tatsächlichen Realität der Frauen, von Transsexuellen und auch von Lesben abstimmen kann.”
Die Intersektionalität dieser Aussage, die die Rechte der LGBT mit Frauenrechten und dem Kampf gegen die Apartheid auf eine Stufe stellt, ist ein Thema, welches jede von Mtetwas Antworten und ihr gesamtes Leben wie ein roter Faden durchzieht.
„Ich bin eine schwarze, lesbische Frau aus einfachen Verhältnissen, die in einem Township groß geworden ist“ – einem armen, städtischen Gebiet. „Ich bin damit aufgewachsen, all diese Identitäten in mir zu tragen, das tue ich immer noch.“
Während ihres Aktivismus gegen Apartheid in den späten Achtzigerjahren outete sich Mtetwa, die damals noch ein Teenager war vor ihren engsten Vertrauten. Damals konnte sie nicht einschätzen, wie deren Reaktion darauf aussehen würde.
„Es gab damals eine gewisse Hierarchie unter den „Kämpfen“. Im Grunde war es gar nicht so wichtig, dass man nun eine Frau oder lesbisch war. Der eigentliche Hauptkampf fand zunächst einmal gegen eine Apartheidsregierung, ein unterdrückendes System statt und es ging nicht direkt darum, mit wem es uns gestattet war zu schlafen.”
Ihre erste organisierte Widerstandshandlung war ein Mietboykott. Man ging von Tür zu Tür, sprach mit den Ältesten der Haushalte und überzeugte sie, keine Miete mehr für staatliche Immobilien zu zahlen und so die Apartheid weiter zu finanzieren – das System, welches sie unterdrückte.
Während dieser Zeit lebte sie neben einem Friedhof und verbrachte zahllose Wochenende auf Beerdigungen von ermordeten Aktivist*innen. Oft wurden die Versammlungen an den Gräbern durch Polizeischüsse unterbrochen, die mehr Tote zur Folge hatten, die dann die darauffolgende Woche zu beerdigen waren.
„Es war ein Teufelskreis und vermittelte den Schwarzen ganz klar, dass ihr Leben nahezu wertlos war.”
Sich als Lesbe zu outen stellte in diesem Kontext schon eine gewisse Herausforderung dar, wie Mtetwa es gelinde beschreibt. Es fiel in eine Zeit, in der das Misstrauen und die Angst vor Verrätern innerhalb der Bewegung sehr hoch war und sie fühlte den Druck, zu beweisen, dass sie nicht eine Hand von Idealen anderen gegenüber bevorzugen würde.
„Ich denke, die Vernehmungen hatte viel damit zu tun, wo meine Prioritäten lagen. Würde ich gegen ein weißes System der Unterdrückung von Schwarzen kämpfen, wenn ich als Homosexuelle Teil einer als weißen Subkultur betrachteten Gruppe war?”
Trotz des Drucks macht Mtetwa weiterhin ihre Arbeit.
1991 schloss sie die Highschool ab und zog nach Johannesburg um. Dadurch gewann sie gleichzeitig etwas mehr Freiheit durch die Anonymität, die ihr zuvor im Township, in dem sie aufgewachsen war, nicht zugestanden wurde. Dort traf sie auch reihenweise auf Widerstand gegen das Apartheidssystems, der offen gegenüber der LGBT Community war.
1994 wurde sie Mitbegründerin der Nationalen Koalition für Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben, die sich für die Aufnahme von sexueller Orientierung in die südafrikanische Verfassung nach dem Apartheidssystems einsetzt. Jetzt fungiert sie als regionale Kodirektorin von Just Associates, einer feministischen Gruppe, die Bewegungen aufbaut.
„Für mich ist Feminismus eine Vision der Gesellschaft und wir haben diese Vision noch nicht realisiert.“
Ihre Arbeit durchzieht der Wunsch, die ökonomischen Ungerechtigkeiten zu beheben, welcher ihrer Beobachtung nach jede Gruppe, mit der sie arbeitet, betreffen.
„Ich kann nun heiraten, denn Lesben können nun heiraten. Was jedoch bringt das, wenn Lesben keinen Job finden können? Oder sich kein Haus leisten können? Die Gründe, weiterhin im Widerstand zu arbeiten, werden nicht ausgehen, bis ich eine Realität sehe, in der es keine Gewalt, keine Unterdrückung, keine versteckten Machtsysteme mehr gibt.”
Nach 32 aktiven Jahren ist Mtetwa überzeugt, dass es eine der größten Herausforderungen ist, die Leute davon abzuhalten, sich weiterhin in separat agierenden Einzelgruppen zu treffen. Das hat nämlich zur Folge, dass sich deren Identitäten aufteilen und dass man die Rechte der verschiedenen Gruppen als unterschiedlich betrachtet. Der Frauenmonat August ist eine Möglichkeit, die Sichtbarkeit der Probleme von Frauen zu verdeutlichen und darüber hinaus aufzuzeigen, wo sie sich überschneiden.
„Wir sprechen in diesem Land stets von der geschlechtsspezifischen Gewalt, aber es gibt auch unsichtbare Formen der Gewalt gegenüber Lesben, Transsexuellen oder gegenüber behinderten Frauen.” Diese unsichtbare Gewalt beinhaltet systematische Unterdrückung – zum Beispiel die staatliche Kriminalisierung von Sexarbeit – Armut und dass ihre Stimmen in allen Angelegenheiten gehört werden und nicht nur in denen, die sie unmittelbar betreffen.
„Als eine lesbische Frau mit schwarzer Hautfarbe sollte ich z.B. genauso einen Platz am Tisch einnehmen können, wenn über die Umstrukturierung der Wirtschaft diskutiert wird.“
Beverly Ditsie
52 Jahre nachdem die Großmutter von Beverly Ditsie 1956 durch die Straßen von Pretoria marschierte, nimmt ihre Enkelin 2018 die gleichen Straßen, um ein Ende der Gewalt gegen Frauen und die LGBT Community zu fordern. Zu dieser Zeit war sie 47 Jahre alt und hatte sich bereits die meiste Zeit ihres Lebens als Aktivistin engagiert.
Ditsie saß trotzig vor dem Gewerkschaftsgebäude und wartete darauf, dass Präsident Cyril Ramaphosa herauskäme und ihre Forderungsliste entgegennähme.
„Er wollte nicht herauskommen.”, sagt sie und die Entschlossenheit in ihren Auggen deutet darauf hin, dass es eine Willensfrage war, die Ramaphosa niemals gewinnen konnte.
Zwei Jahre später, sagt Ditsie, seien einige ihrer 24 Forderungen „gelegentlich am Rande erwähnt“ worden, aber bei keiner von ihnen sei wirklich etwas unternommen worden.
Die Frustration über das verlorene Potential Südafrikas ist auch spürbar, wenn Ditsie über August und den Frauenmonat spricht.
„Zu dieser Zeit [1956] wurde das System erschüttert. Das war nie zuvor geschehen. Tausende von Frauen marschierten auf den Straßen und forderten: ‘Genug!’”
„Jetzt aber wurde diese Aktion und der Widerstand durch Ansprachen und oberflächliche Feierlichkeiten ersetzt, die bei weitem nicht genug sind, um die von Frauen und der LGBT Community angestrebten Veränderung zu bewirken.“
„Wir sterben.” sagt sie. Im letzten August alleine wurden in Südafrika 30 Frauen von ihren Partnern ermordet.
„Wir haben eigentlich eine sehr feministische Verfassung in diesem Land.”, sagt Ditsie, “Die Realität aber passt nicht zur Verfassung. Weil wir eine hervorragende Verfassung haben, will man glauben, dass diejenigen, die verfassungsrechtlichen Schutz benötigten, auch Zugang dazu haben. Die Wirklichkeit jedoch sieht anders aus.”
Ditsies Aktivismus begann lang vor dem Marsch 2018. Das Mädchen, welches in Soweto während der Apartheid in den Achtzigerjahren aufgewachsen war, erkannte im Alter von ungefähr 12, dass sie lesbisch war.
„Ich war so aufgeregt, so erleichtert, dass ein Wort existierte, um mich zu beschreiben. Wenn es ein Wort hierfür gab, bedeutete das gleichzeitig, dass ich nicht die Einzige war, dass ich nicht alleine war.“
Völlig überwältigt vor Glück, beeilte sie sich, es ihrer Familie zu erzählen.
„Gut, wir wissen, wie das ausgeht!” fügt die ironisch an. Trotz dieses Rückschlags hat sie sich darüber hinaus entschieden, sich auch gegenüber ihrem besten Freund zu outen, der im Haus gegenüber lebte. „Er hat zuerst nicht wirklich etwas gesagt.“, erinnert sich Ditsie, „Monate später aber kam er zu mir und sagte, dass auch er schwul sei.“
Von diesem Zeitpunkt an begann sie Leute zu finden, die so waren wie sie. Eine Gruppe von älteren schwulen Jungen aus der nahegelegenen Schule kamen vorbei und sie verbrachten die ganze Zeit miteinander.
Ditsie spricht voller Freude über die Zeit, als sie möglichst extravagant gekleidet die Straßen von Soweto rauf- und runterstolzierte. „Der springende Punkt war es zu verwirren.”, sagt sie schmunzelnd. „Wir liebten es, wenn die Leute nicht unterscheiden konnten, ob wir Jungens oder Mädchen waren.“
Im Alter von 13 Jahren wusste sie noch nicht, dass das, was sie tat, auch eine politische Komponente hatte. Ähnlich wie bei Mtetwa stand in der Hierarchie, der von ihr ausgetragenen Kämpfe, der Kampf gegen die Apartheidregierung an allererster Stelle. Andere Angelegenheiten, wie die Rechte der LGBT wurden als zweitrangig betrachtet.
Dann aber traf sie Simon Tseko Nkoli, einen offen schulen Antiapartheidsaktivisten, der bereits aufgrund seiner Arbeit die Todesstrafe wegen Hochverrats riskiert hatte. Nkoli bestand damals darauf, dass der Kampf der LGBT nicht von der Antiapartheid-Bewegung zu trennen sei. Durch ihn schließlich entdeckte sie ihre Identität als Aktivistin.
Mit der Zeit gewann Ditsies Rolle in der Bewegung immer mehr an Bedeutung. Sie wurde neben Nkoli Mitgründerin der Schwulen und Lesben Organisation von Witwatersrand (GLOW). Als 1990 die Antiapartheidsdebatten ernsthaft begannen, führte sie den ersten Pride March in Südafrika.
Die Rechte von Homosexuellen standen in ihrem Leben an vorderster Front, was aber GLOW anbelangte schienen Frauenrechte und die Rechte der Lesben weniger wichtig als andere Angelegenheiten.
1995 wurde Beverly zur Frauenkonferenz der Vereinten Nationen in Beijing eingeladen. Das war eine hervorragende Möglichkeit Teil der Geschichte auf globalem Niveau zu sein, aber Nkoli sagte ihr, dass das nicht Teil der Mission von GLOW sei. Sie nahm dennoch an der Konferenz teil und wurde damit die erste offen lesbische Frau, die das getan hat. Danach sollten zwei Jahren vergehen, bis sie sich erneut mit Nkoli versöhnen sollte.
Die Höhepunkte von Ditsies Aktivismus scheinen Hand in Hand mit Tiefpunkten und Frustration zu gehen, da Regierungen und Führungspersonen sich nicht ausreichend für Frauen, LGBT und wirtschaftliche Gleichberechtigung einsetzten.
„Am Ende kommt nichts zu den einfachen Leuten durch.“, stellt sie fest, „Wir haben noch so einen langen Weg vor uns.“
Ditsie erinnert sich an die Euphorie über das Ende der Apartheid, dass sie sich zum ersten Mal frei gefühlt hat, nur damit das Pendel in die andere Richtung zurückschlägt. Lesben, Transgender und Frauen haben heute erneut mit der täglichen Gewalt zu kämpfen.
„Nun ist man aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder seines Geschlechts nicht sicher.“
Das Gleiche passierte mit dem Pride March, den sie führte. Am Ende hat sie mitangesehen, wie die Politik des Stolzes – der Kampf für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit – durch eine Party ersetzt wurde und das zu einem Zeitpunkt, als sie wusste, dass es noch viel Arbeit zu tun gab: Es wurden nach wie vor und sogar mit zunehmender Tendenz lesbische Frauen tätlich angegriffen oder sogar getötet. Die transgeschlechtlichen Frauen starben zu diesem Zeitpunkt förmlich.
Um eines dieser Probleme anzugehen, so Ditsie, müssen die Menschen verstehen, dass das Problem nicht isoliert, sondern als Teil eines umfassenderen Systems der Unterdrückung existiert.
Trotz alledem aber hat sie Hoffnung.
„Ich liebe die Art und Weise, wie junge Menschen denken. Wenn ich 90 bin, möchte ich die Frau sein, die an generationenübergreifenden Diskussionen teilnimmt, die sich damit befassen, wie wir das Problem lösen können. Das ist es, was mir Hoffnung gibt.”
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Chris Hoellriegl vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!