Seit 2011 versuchen die USA und EU-Staaten, Machthaber Baschar al-Assad zu stürzen. Heute muss das zerstörte Land zerstört bleiben.
Joshua Landis für die Online-Zeitung INFOsperber
Red. Joshua Landis ist Professor für Internationale Beziehungen und Direktor des «Center for Middle East Studies» an der University Oklahoma, USA. Landis spricht fliessend Arabisch, Französisch und Englisch. Seine Familie lebte zuerst in Saudi-Arabien und im Libanon.
Seit 2011 unterliegt das Regime al-Assads Sanktionen der USA. Im Dezember 2019 verfügte nun Präsident Donald Trump weitere einschneidende Sanktionen, die sämtliche syrischen und nicht-syrischen Akteure betreffen, die mit dem Assad-Regime Handel treiben oder humanitäre Hilfe leisten. Diese stark erweiterten Sanktionen sind seit Mitte Juni dieses Jahres in Kraft.
Diese verschärften Sanktionen werden die Kerninteressen der USA verfehlen und vor allem zu einer weiteren Verelendung der syrischen Bevölkerung führen, einen Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur vereiteln und die syrische Wirtschaft weiter strangulieren.
Implikationen der erweiterten Sanktionen
Die erweiterten Sanktionen zielen auf das Bauwesen, die Elektrizitätsversorgung und den Ölsektor ab, alle essentiell, um Syrien wieder auf die Füsse zu bringen. Zwar sagen die USA, dass sie die Ölanlagen im Nordosten des Landes «schützten», gleichzeitig verweigern sie nicht nur der syrischen Regierung den Zugang zu den Anlagen für Unterhalt und Reparaturen, sondern ebenso anderen Firmen weltweit – ausser im Falle von wenigen Ausnahmen, zum Beispiel für eine US-Firma, die Reparaturen eines Lecks vornehmen sollte. Es fliesst aber weiterhin Öl aus und in die Flüsse Khabour und Euphrat hinein. Die verstärkten Sanktionen treffen also nicht nur die Bevölkerung, die nun mit nur ein bis zwei Stunden Elektrizität pro Tag auskommen muss, sondern vergiften auch die Umwelt.
Wenn Hilfsorganisationen ausserhalb der USA humanitäre Hilfe leisten wollen, sind die Bedingungen, welche die syrische Regierung erfüllen müsste, absichtlich vage und unklar gehalten. Das schreckt humanitäre Akteure ab, ihre Ziele weiterzuverfolgen. Als Nichtregierungsorganisation oder Businessunternehmen riskieren sie, sich versehentlich zu verstricken in einem komplexen, kaum durchschaubaren gesetzlichen Geflecht, mit fatalen Folgen für ihr Weiterexistieren.
Über ein Drittel der syrischen Bevölkerung lebt in absoluter Armut
Wenn die syrische Bevölkerung daran gehindert wird, ihr Land wiederaufzubauen und externe Hilfe zu erhalten, wird das gemäss dem Welternährungsprogramm zu massenweisem Verhungern oder einem weiteren Exodus grosser Teile der Bevölkerung führen. Noch 2011 lag die absolute Armut bei unter einem Prozent der Bevölkerung. 2015 betraf die absolute Armut bereits 35 Prozent der Bevölkerung. Als im Spätfrühling dieses Jahres auch noch der Libanon dem Staatsbankrott entgegenging, geriet die syrische Wirtschaft, welche tiefe und langwährende Verbindungen mit der libanesischen Wirtschaft hat, ausser Kontrolle. Die Krise im Libanon trug wesentlich dazu bei, dass die Lebensmittelpreise innerhalb eines Jahres um über 200 Prozent in die Höhe schossen.
Umgang mit notorischer Korruption
Ohne die syrische Regierung sind weder Nothilfe noch Wiederaufbau möglich, und diese ist notorisch korrupt. Aber auch Saudi-Arabien ist korrupt. Wer auch immer mit den Saudis Handel treibt, muss informelle «Beiträge» an die königliche Familie in die Kosten einberechnen. Wer mit Regierungen in dieser Region Handel treibt, wer schwache Staaten vor dem Zerfall bewahren will, muss staatliche Korruption als unvermeidliche Transaktionskosten akzeptieren, so bedauerlich das ist. Das gilt auch für oppositionelle Gruppierungen. So plünderten von den USA unterstützte Milizen im Kampf um Aleppo über tausend Fabriken bis auf die Grundmauern aus. Jegliche Hilfe wird damit umgehen müssen, dass Hilfe abgezweigt und für andere Zwecke missbraucht wird. Das ist enttäuschend, allerdings ist in Anerkennung dieser Tatsachen eine gewisse Hilfe doch möglich.
Syrien – ein Morast
Gemäss dem US-Sonderbeauftragten für Syrien, James Jeffrey, soll mit einer Politik der verbrannten Erde das Land in einem Morast («quagmire») versinken, der unweigerlich auch auf Russland übergreifen werde. Damit soll auch das bestehende Regime unter Druck gesetzt werden, wie ihn Japan durch die USA nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr. Ein bankrott gemachtes syrisches Regime soll Assad dazu zwingen, als einzigen Weg zum Weiterbestehen die UNO-Resolution 2254 anzunehmen, die politische Reformen in Syrien bezweckt. Um den Druck auf Assad zu erhöhen, billigten die USA auch israelische Luftangriffe auf syrisches Territorium und die Ausbeutung syrischer Rohstoffe durch die Türkei und sie blockierten die wirtschaftlich wichtige Landverbindung zu Bagdad.
Die Vorstellung, dass ein solcher Morast, den die USA mit ihren verschärften Sanktionen in Syrien bezwecken, Russland «irgendwie» in den Morast mitziehen würde, knüpft an die eigenen Erfahrungen des Vietnam-Kriegs an, der auf Seiten der USA 58’000 Todesopfer forderte, die Glaubwürdigkeit der USA schwer beschädigte und den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft schwächte.
Doch diese historische Erfahrung der USA ist nicht einfach auf Russland zu übertragen. Russland kann den starken Mann Syriens über Wasser halten, ohne auch nur einen Bruchteil des schrecklichen Preises zu zahlen, den die USA in Vietnam zahlten. Assad an der Macht zu halten, ist Russlands grösster aussenpolitischer Erfolg seit der Annexion der Krim. Ausserdem würden die USA gar nichts gewinnen, wenn Russland in einen Morast gezogen würde. Weder würde dies die amerikanische Position in der Region verbessern noch syrische Leben retten oder die Bedrohung verringern, die Russland für die amerikanische Demokratie darstellt.
Genau genommen ist quagmire eine irreführende Bezeichnung für einen gescheiterten Staat. Und in gescheiterten Staaten ist die Bevölkerung Hunger, Krankheiten, Armut und den Übergriffen von Kriegsherren ausgesetzt.
Warum Sanktionen nicht wirksam sind
Die Trump-Administration insistiert, dass Sanktionen wirken, und benebelt damit die düstere Realität. Denn es gibt wenig Nachweise, dass Wirtschaftssanktionen je ihr Ziel erreicht hätten. Selbst sorgfältig geplante Sanktionen können das Gegenteil ihrer beabsichtigten Ziele bewirken. Sie können Machthaber stärken, die sie eigentlich schwächen wollten, und die Gesellschaft und Bevölkerung strafen, die sie schützen wollten. Das zeigen die Irak-Sanktionen Mitte der 90er Jahre. Hunderttausende Iraker starben, überproportional betroffen waren Frauen und Kinder. Und die breite Mittelschicht zerfiel. In Tat und Wahrheit bekommen in Regimes unter Sanktionen diejenigen zuerst zu essen, die über Waffen verfügen. Assad wird seine unmittelbare Macht über bäuerliche Haushalte nicht verlieren – trotz aller Sanktionen aus Washington.
Statt Demokratie drohen Anarchie und Chaos
Zwar streben die USA angeblich keinen Regimewechsel in Syrien mehr an. Befürworter härterer Sanktionen dürften aber nach wie vor darauf abzielen. Mit Assads erhofftem Abgang und einer Zukunft in Freiheit und ohne Unterdrückung sollen in dieser Logik auch die Leiden der sanktionsgeplagten Bevölkerung zu «rechtfertigen» sein. Kritische Stimmen befürchten hingegen als Folge eines Staatskollapses eine weitere Phase von Krieg und ein Jahrzehnt von Anarchie. Die Befürworter von Sanktionen können keine Beispiele aufzählen, wo ein Sturz von autoritären Regimes über Sanktionen zu einer Stärkung von Menschenrechten geführt hätte. Die Sanktionskritiker hingegen verweisen auf Libyen und Irak und auf das blutige Chaos, das dort nach dem Sturz von Diktatoren ausbrach.
Assad und seine Unterstützer haben den Bürgerkrieg trotz aller Widerwärtigkeiten gewonnen. Sie brachen nicht zusammen, als Rebellengruppen ihr gesamtes nationales Sicherheitsteam in der frühen Phase des Kriegs zerstörten; sie brachen nicht zusammen, als sie Palmyra, Idlib, halb Aleppo, die Ölfelder, den Nordosten oder den Südosten verloren; und sie widerstanden den tatkräftigen Anstrengungen der USA, die Opposition zu bewaffnen und auszubilden. Wenn neun Jahre brutaler Gewalt, welche rund 100’000 regimetreuen Alawiten (einen von 25) das Leben kosteten, Assad und sein Militär nicht besiegen konnten, so wird ein umfassendes wirtschaftliches Embargo das Regime kaum aus dem Senkel heben.
Tatsache ist, dass anhaltende Sanktionen weder Assad einem gerechten Urteil zuführen und noch weniger die syrische Bevölkerung schonen werden.
Einst waren die USA überzeugt, dass demokratische Regierungsführung und gesellschaftliches Wohlergehen auf den Pfeilern eines freien Markts und einer starken Mittelschicht beruhen, und sie handelten entsprechend. Doch heute scheint die Trump-Administration die Welt vom Gegenteil überzeugen zu wollen: dass Verarmung und Handelsbarrieren zu Freiheit und Fortschritt führe. Je früher die USA die zunehmende Bestrafungspolitik gegenüber Syrien überdenken, umso eher werden sie in der Lage sein, einen konstruktiven Beitrag zur Entwicklung der gesamten Region zu leisten. Assad wäre wohl zu einigen Konzessionen bereit, um dem Sanktionsregime zu entgehen. Aber dass er zurücktreten könnte, gehört nicht dazu.
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Dieser Artikel erschien zuerst in Syria Comment. Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung aus dem Englischen von Marianne Huber Glünz.