Früher als üblich begann um 9.50 Uhr auf dem Pantheon-Platz die Gedenkfeier zum 75. Jahrestag des Bombenangriffs auf Hiroshima.
Erst danach zeigten die Ballettmädchen von Paola Iorio ihre Choreografien. Auf dem Platz vor dem Pantheon haben sich in diesem Jahr mehr Filmteams, weniger Tourist*innen aufgestellt und die Zuschauer*innen am Rande waren überwiegend italienisch. Es traten weniger Redner*innen auf, dafür mehr und unerwartete institutionelle Präsenz: Ettore Rosati, Vizepräsident des Parlaments.
Athos De Luca zeichnete – wie es so seine Art ist – die großen Linien des Ereignisses nach. Er erinnert mahnend an die Rüstungsausgaben und führte weitere Gäste ein: Herr Sudura von der japanischen Botschaft, Eco Misumi die Sängerin, Ettore Rosati, stellvertretender Vorsitzender der Abgeordnetenkammer, Carla Fracci mit ihrer kleinen Tanzgruppe, Fabrizio Barboni, Schauspieler, Filippo Ongaro, Vertreter von Save the Children. Mich (Patrizia Sterpetti) hat er nicht extra erwähnt, aber auch ich habe geredet.
Herr Sudura sagte auf Italienisch, dass in Coronazeiten der Frieden wie die Gesundheit nicht garantiert sei – die Krankheit belege dies. In kritischen Zeiten sei vor allem Solidarität gefragt. Als 2019 der neue Kaiser sein Amt angetreten habe, hatte er im Oktober sofort vom Frieden gesprochen. Der Papst habe Hiroshima und Nagasaki besucht. Japan sei eben das einzige Land auf der Erde, das bisher von Atombomben getroffen wurde.
Ettore Rosati wurde grundsätzlich und feierlich: Italien unterstütze die atomare Nichtverbreitung und Japan sei ein historischer Verbündeter. Heute gäbe es weniger Tourist*innen, aber immer noch gibt es viel Aufmerksamkeit.
Carla Fracci war extra aus Mailand gekommen und las feierlich ein Gedicht begleitet von großem Applaus. Die schöne Stimme von Eco Misumi intonierte zwei an den Himmel gerichtete Lieder: “Le libellule rosse” (Rote Libellen) und “Questa strada” (Diese Strasse).
Die schöne Stimme verwandelte die Melodien in Opfergaben an den Himmel auf der Piazza del Pantheon.
Die kleinen Tänzerinnen (in diesem Jahr keine Jungen) führten eine einfache Choreographie in weißer Kleidung auf: In der ersten Reihe tanzte eine Solotänzerin, die auf eine Schar von Tänzerinnen und Tänzern traf, die ihr weiße Tauben auf der Altarbühne überreichten.
Dann las der Schauspieler Fabrizio Barboni ein Gedicht über diesen tragischen Morgen in Hiroshima vor, die Stimme machte die Düsternis der Atomkatastrophe unüberhörbar.
Im Namen von WILPF Italien sprach ich (Patrizia Sterpetti) von Friedensfrauen, prominenten Aktivistinnen wie Beatrice Fihn und Susy Snyder. Sie stünden für ICAN, die weltweite Koalition gegen Atomwaffen. Wenn man an Hiroshima erinnere, dürfe man die Augen nicht verschließen vor der aktuellen nuklearen Präsenz in der Welt. Es gebe einen Ausweg über den Atomwaffenverbotsvertrag, der im Juli 2017 in New York von 122 Staaten in der UN Generalversammlung beschlossen wurde. 40 Staaten haben ratifiziert, 82 unterzeichnet. Bei 50 Ratifizierungen müssen die 9 Nuklearstaaten (U.S.A. Russland, China, U.K., Frankreich, Indien, Pakistan, Israel, Nordkorea) sich danach orientieren.
Verschiedene Länder lagern amerikanische Sprengköpfe über NATO-Abkommen innerhalb ihrer Territorien: Holland, Belgien, Deutschland, Italien und an den europäischen Grenzen die Türkei.
Von den 180 Sprengköpfen besitzt Italien die höchste Anzahl, nämlich 70: 50 in Aviano und 20 in Ghedi. Und, auch wenn Italien 1975 den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet hat, ist es gebunden an Verträge von 1951 mit den USA; außerdem unterliegt das Thema seit 1954 der militärischen Geheimhaltung.
Italien verfüge über eine besonders große Zahl an Bauwerken des UNESCO Kulturerbes und trotzdem lagerten hier 70 nukleare Sprengköpfe. Italien bestellt neue F35 Bomber, die in der Lage sind, nukleare B61 Sprengköpfe zu transportieren – und das entziehe einem Land mit dramatisch zurückgehender Geburtenrate auf Grund ökonomischer Fehlentwicklungen dringend benötigte Ressourcen. Die Einschreibungen an Universitäten gehen zurück, die Schulen verkommen, Brücken stürzen ein, Zentren zur Gewaltverhütung werden nicht mehr finanziert, psychische Krankheiten werden nicht angemessen behandelt – schlimmer noch als Ausländer*in. Drogenhandel blüht und Abhängigkeiten verschärfen sich vor allem da, wo Armut sich ausbreitet. Und anstatt hier zu investieren, kaufe man F35 Bomber – ein Skandal!
Daher der Appell: Wir müssen uns zusammenschließen und die Abschaffung der Atomwaffen fordern, sonst finden auch wir uns eines Tages mit den Augen auf den Handflächen wieder – wie das in Hiroshima passiert ist.
Filippo Ongaro von “Save the Children” hat dieses Jahr den Preis bekommen, den das Komitee “Terra e Pace” jedes Jahr für eine NRO vergibt. Er erinnerte in seiner Rede an die Kinder, die oft das erste Opfer im Konflikt sind. Athos De Luca unterstrich, wie wichtig es ist, in Kultur statt in Waffen zu investieren. Zu wenig werde z.B. in Tanz, Begeisterung und Ausdruckskraft auch der Kinder investiert. Ihre Performance konnte in diesem Jahr nur unter besonderen Schwierigkeiten geprobt werden.
Am Ende der Zeremonie wandten wir uns als Friedensfrauen nochmal an Ettore Rosati “Wird denn Italien nun den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen? Schnell antwortet er: “Sicher, wenn das Parlament zustimmt!” (Aber wenn es nicht auf die Tagesordnung kommt, wie soll das Abkommen angenommen werden?)
Wir fragen nochmal nach: ”Aber die Atombomben der Türkei? Seine Antwort: “Man darf nicht alles einfach so glauben!”
Wir beglückwünschten Carla Fracci und ihr Engagement, wir machten Fotos, sie drückte erneut ihre Trauer darüber aus, wie wenig sich Italien für den Tanz und die atomare Abrüstung einsetzt.
Patrizia Sterpetti, Präsidentin von Wilpf Italien, übersetzt aus dem Italienischen von Heidi Meinzolt vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!