Soziale Sicherheiten und Schutzräume stärken.
Die Corona-Krise in Deutschland trifft diejenigen besonders hart, die schon vorher an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Ein Bericht über den Zugang zu Hilfen für wohnungslose und drogengebrauchende Menschen während der Pandemie.
Soziale Sicherheiten und Schutzräume stärken
Schon vor Corona galt: das Leben auf der Strasse birgt die Gefahr, auf vielen Ebenen krank zu werden. Eine einseitige Ernährung und mangelnde Sauberkeit aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten oder auch Ressourcen tragen dazu bei, dass obdachlose Menschen häufiger krank werden. Menschen, die unregelmässigen Zugang zu wärmenden Orten oder Medikamenten haben, leiden oft unter hartnäckigen Erkältungskrankheiten, Hautproblemen und schlecht heilenden Wunden, die dringend versorgt werden müssen.
Ein Teil der wohnungslosen Menschen gebraucht zudem legale und illegalisierte Drogen. Sie gehören damit zu einer besonders vulnerablen Gruppe – ein Zustand, der sich während der Coronakrise weiter zugespitzt hat. Vielen war es während der Einschränkungsmassnahmen weder möglich, sich das erforderliche Geld für den Konsum zu besorgen, noch, an die benötigten Substanzen zu kommen. Eine weitere gefahrvolle Folge für Einzelne: einen unbegleiteten Entzug durchstehen zu müssen. Dies ist eine ausserordentliche körperliche und psychische Belastung, die unter Umständen auch zum Suizid führen kann.
Vor dem Hintergrund der zahlreichen Gefahren für Leib und Leben der Betroffenen muss ihr Zugang zu Gesundheitsangeboten dringend gewährleistet sein. Drogengebrauchende und Wohnungslose haben das Recht, auch und insbesondere zu Ausnahmezeiten durch das Gesundheitssystem aufgefangen zu werden. Diese soziale Sicherheit war zwischenzeitig aber nicht garantiert. Davon erzählt auch ein Sozialarbeiter aus der Drogenhilfe: „Wir wussten am Anfang nicht, ob wir (Wohnungslosenhilfe und Drogenhilfe, Anm. Red) weiterarbeiten können, ob wir als systemrelevant eingestuft werden oder nicht. Wir haben uns natürlich auch Sorgen gemacht um die Klienten.“ [1]
„Du kannst ja einem Obdachlosen schlecht sagen, er soll nach Hause gehen“
Soziale Widersprüche und Diskriminierung nehmen in Krisenzeiten zu. Daraus entstehende Ängste, aber auch sozialdarwinistische Verhaltensweisen werden leicht auf dem Rücken (wohnungsloser) Drogengebraucher*innen ausgetragen. Die fehlenden Möglichkeiten, eine eigene Wohnung als Schutzraum aufzusuchen oder an Schutzausrüstung zu kommen, werden den Betroffenen zum doppelten Verhängnis. Sie werden als Menschen mit hohem Infektionsrisiko stigmatisiert, wodurch die soziale Ausgrenzung zunimmt.
Gleichzeitig wird ihnen der Zugang zu überlebensnotwendigen Hilfen eingeschränkt, weil übliche Unterstützungsstrukturen wenig oder gar nicht zur Verfügung stehen (können). In Gespräch mit dem re:volt magazine bringt Niels die Situation von ihm und anderen Betroffenen auf den Punkt: „Du kannst ja einem Obdachlosen schlecht sagen, er soll nach Hause gehen, sonst wird er verhaftet“.
Trotz, und auch gerade wegen der widrigen Bedingungen für prekarisierte Menschen haben die Hilfsbereitschaft und die Solidarität zugenommen. Zahlreiche Menschen beteiligten sich aktiv an Hilfsstrukturen oder wurden anderweitig aktiv. Auch auf der Ebene der Institutionen gab es Verbesserungen, die hoffentlich auch noch nach der aktuellen Krisenzeit Bestand haben werden: In der sonst von Fremdbestimmung und Paternalismus geprägten Substitutionsbehandlung [2] wurden die Regeln gelockert. Dies betraf auch einige Berliner Substituierte, wie Andreas von der Selbsthilfe Organisation „Junkies Ehemalige Substituierte [JES)“ berichtet.
In den konkreten Fällen wurden die Vergabekriterien für die sogenannte Take-Home-Regelung gelockert, damit Patient*innen nicht mehr täglich in die Praxis kommen müssen. Auch die rassistische Benachteiligung von nicht-versicherten migrantischen Drogengebrauchenden wurde an einigen Orten durchbrochen und temporäre Hilfen geschaffen Gesundheitspolitisch muss jetzt dafür gesorgt werden, dass die durch den Ausnahmezustand gelockerten Massnahmen erhalten bleiben. Zwischenzeitig wurden zum Beispiel. die Kosten für eine Substitutionsbehandlung nicht-versicherter Menschen schnell und unbürokratisch durch soziale Träger übernommen. Inzwischen ist es wieder sehr schwierig und nur zu bestimmten Bedingungen möglich eine Kostenübernahme zu bekommen.
Hier gilt es anzusetzen und diese Rückschritte nicht zuzulassen. Auch deshalb wird es am 21. Juli anlässlich des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebrauchende Aktionen geben. Der Gedenktag sollte in diesem Jahr eigentlich Probleme der Substitution ins Zentrum rücken, berichtet Andreas. „Migrant*innen haben oft keinen Zugang zu Substitution, das sollte thematisiert werden. Aber was dieses Jahr nun alles thematisiert werden soll, wissen wir noch nicht genau. Corona steht im Vordergrund, und wir werden aktuell gut daran erinnert, wie drogengebrauchende Menschen stigmatisiert werden, weil es durch Corona nun noch deutlicher wird.“
Kein Schritt zurück
Die Krise wird dadurch auch zur Chance für erfolgversprechende Kämpfe um Selbstbestimmung sowie für eine vorurteils- und repressionsfreie Drogenpolitik. Gesundheitspolitisch braucht es jetzt gesellschaftliche Solidarität und fortschrittliche soziale Träger die dafür Sorge tragen und Forderungen an die Gesundheitspolitiker*innen stellen, dass die durch den Ausnahmezustand gelockerten Massnahmen erhalten bleiben und weiter im Sinne der Adressat*innen ausgebaut werden. Gesellschaftlich bleibt zu hoffen, dass Solidarität mit den Marginalisierten und Prekarisierten weiter gestärkt wird und auch nach der Krise nicht nachlässt.