Die Gesetzgebung im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche ist ein hervorragender Lackmustest, um zu überprüfen, wie ernst es ein Land mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau meint. Während einige Staaten zumindest diese Minimalhürde bereits überwunden haben, kämpfen vornehmlich Frauen in einigen Regionen noch immer dafür, wenigstens über ihren eigenen Körper entscheiden zu dürfen. In Mexiko könnte sich die Lage in den nächsten Jahren womöglich verbessern – noch gibt es dort keine einheitliche Regelung zur Abtreibung.
Frauen sind in allen Ländern der Erde den Männern gegenüber noch nicht vollends gleichgestellt. Das ist selbst in eher fortschrittlichen Ländern wie Deutschland der Fall. Doch in vielen Staaten sieht die Situation sogar noch düsterer aus. In Europa kann als herausragendes Negativ-Beispiel Polen genannt werden: Dort wird das Recht von Frauen auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung immer weiter eingeschränkt. Für Menschenrechtler*innen, Feminist*innen und viele mehr ist dies Grund genug, um kollektiv dagegen aufzubegehren.
Die politische Lage in Mexiko
In Übersee hat in den letzten Wochen und Monaten vor allem die Bevölkerung von Mexiko diesbezüglich für Aufsehen gesorgt. Dort gingen am letztjährigen internationalen Aktionstag für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs tausende Menschen, vor allem jüngere Frauen, auf die Straßen. Mit Slogans wie „Abtreibung Ja, Abtreibung Nein – das entscheide ich“ und grünen Halstüchern, dem Symbol für die Legalisierung der Abtreibung in Süd- und Lateinamerika.
Auf politischer Ebene sticht in Mexiko vor allem Senatorin Martha Lucía Mícher mit Erfolgen in puncto Paritätsgesetzen hervor. Ihrer Ansicht nach müssen Frauen eine feministische Agenda vertreten, um strukturellen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten entgegenzuwirken und vorzubeugen. Das gelte ihr zufolge vor allem für Veränderungen im politischen, sozialen und kulturellen Bereich.
Dabei sei es wichtig zu betonen, dass die Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter in der Verantwortung aller liege. Männer müssten demnach zur Einsicht gelangen, dass auch sie von der Gleichstellung von Frauen profitierten und nicht – wie rechtsgerichtete Ideologien auf der ganzen Welt einem weismachen wollen – unter dem Fortschritt von Frauen zu leiden hätten.
Die mexikanische Legislative hat in diesem Kontext mit der Verbesserung der Anerkennung der Hausarbeit, der Optimierung des Zugangs von Frauen zu einem gewaltfreien Leben und der Bildung eines nationalen Pflegesystems, welches die Verteilung der Arbeiten verbindlich regelt, einen großen Sprung nach vorne geschafft.
Rechtliche Reformbestrebungen
Doch Schwangerschaftsabbrüche sind auch in Mexiko noch immer nicht vollständig entkriminalisiert. Während in einigen Bundesstaaten Abtreibungen unter bestimmten Umständen bis zur 12. Schwangerschaftswoche erlaubt sind, sind sie in anderen fast vollständig verboten. Nun hat sich jedoch vor wenigen Tagen der oberste mexikanische Gerichtshof zu Wort gemeldet: Der erste Urteilsentwurf beinhaltet eine Passage, die die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion gegenüber Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen möchten, als „eine diskriminierende Barriere für den Zugang von Frauen zur Gesundheit darstellt„.
Dabei würden, so das Gericht, die Unterschiede zwischen den biologischen und reproduktiven Fähigkeiten von Männern und Frauen in unzulässiger Weise ausgeklammert. Solange es diese Barriere gebe, könnten Frauen und Männer in Mexiko nicht als gleichgestellt betrachtet werden. Weiterhin wird von den Autor*innen des Entwurfs angemerkt, dass die aktuelle Handhabung gemäß des Strafgesetzbuches, welche selbst dann eine strafrechtliche Verfolgung vorsieht, wenn Frauen sich über Schwangerschaftsabbrüche informieren und aufklären lassen wollen, gleichbedeutend mit der Infantilisierung von Frauen sei.
Deren Entscheidungsfähigkeit werde mit dem aktuell geltenden Wortlaut im Gesetzestext kategorisch in Frage gestellt, wodurch Geschlechterstereotypen und Diskriminierung befördert würden. Auch werde das Recht auf freie Persönlichkeitsentwicklung und auf Privatsphäre massiv verletzt, wenn staatlich vorgegeben werde, wie Frauen ihr Leben gestalten und welche gewünschten medizinischen Eingriffe sie vornehmen lassen dürfen. In den ersten zwölf Schwangerschaftswochen, also vor Entwicklung des Fötus, liege die Entscheidung innerhalb der Privatsphäre von Frauen, wie es in einem entsprechenden Satz aus dem Entwurfspapier lautet.
Ob die finale Version dann auch noch derart eindeutig auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau durch die Entkriminalisierung von Abtreibungen abzielt, bleibt abzuwarten. Ebenso bleibt fraglich, ob sich im Parlament eine Mehrheit dafür findet. Denn die Bestrebungen, Frauen, die über ihren eigenen Körper entscheiden möchten, zu stigmatisieren, sind breit angelegt.
Noch befinden sich ungefähr 120 Frauen wegen Abtreibung in Haft. Mit welch enormem Aufwand der mexikanische Staat Recherchen zu potenziellen Schwangerschaftsabbrüchen betreibt, lässt sich an den 622 Untersuchungen erkennen, die allein 2019 angestrebt wurden. Und katholische Gruppierungen stemmen sich noch immer mit aller Kraft gegen jegliche Maßnahmen, den Frauen bei in Erwägung gezogenen Abtreibungen mehr Rechte zu gewähren.