Ann Pettifor: Green New Deal. Warum wir können, was wir tun müssen.
Green Deal oder Green New Deal? Ann Pettifor will das Finanzsystem wieder unter öffentliche Kontrolle bringen.
Mithilfe des EU-Budgets sollen Investitionsrisiken privater Investoren absichert werden, sodass sie mehr Gelder in klimafreundliche Wirtschaftsbereiche stecken. Von der Leyens Green Deal will mit dieser „Hebelung“ privater Investitionen in der nächsten Dekade bis zu 280 Milliarden Euro ausserhalb der EU- und Staatsbudgets für den Klimaschutz aktivieren.
Pettifor, die den Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn beriet und Vorsitzende des Netzwerks „Policy Research in Macroeconomics“ ist, sieht private Investoren nicht als Lösung des Klima-Problems an. Ganz im Gegenteil: Sie hat das (internationale) Finanzsystem als Ursache der Klimakrise ausgemacht. Die deregulierten, globalisierten Finanzmärkte seien der Motor der fossilen Konsumgesellschaft. Sie lenken Billionen-Summen in klimaschädliche Industriezweige, allen voran die Förderung fossiler Energien wie Öl, Gas und Kohle. Zudem befeuern die Finanzmärkte über die Kreditvergabe einen klimaschädlichen Massenkonsum, der das Klima zu zerstören drohe.
Doch die Finanzmärkte richten laut Pettifor nicht nur einen immensen Schaden an. Gleichzeitig nehmen die Finanzmärkte den Staaten die notwendige Handlungsfreiheit, um den Umbau ihrer Wirtschaft und Infrastruktur zu einem nachhaltigen System zu finanzieren. Pettifor fordert die Staaten auf, die Finanzmärkte zu regulieren und den Interessen des Gemeinwesens unterzuordnen.
Laut Pettifor müssten die Staaten hunderte Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, um den Green New Deal zu finanzieren. Durch erhöhte Steuerzahlungen seien solche Summen nicht aufzubringen. Doch im bestehenden Finanzsystem sei auch eine so grosse Kreditaufnahme nicht möglich. Denn Investoren, Banken und Spekulanten würden zuerst hohe Zinsen für Staatsanleihen verlangen. Steigt die Verschuldung durch die massiven Investitionen in den Umbau der Ökonomie zu stark an, würden die Finanzakteure die Staaten unter Druck setzen, die Kreditaufnahme zu begrenzen.
Die Finanzakteure würden massiv Kapital aus Ländern abziehen, die sich für die Umsetzung eines Green New Deals entschieden, so Pettifor. Dadurch würde die Währung dieser Länder an Wert verlieren und die Zentralbank müsste die Zinsen erhöhen, um der Kapitalflucht Einhalt zu gebieten. Das wiederum würde Unternehmen schaden, da deren Kreditaufnahme teurer würde. Es käme zu Arbeitsplatzverlusten und das Wachstum würde ausgebremst. Diese Macht der Finanzmärkte wurde bei der Bekämpfung der letzten Finanzkrise deutlich.
Investoren zogen ihre Anlagen aus den südlichen, höher verschuldeten Euro-Ländern ab und zwangen ihnen somit eine Sparpolitik auf. Gleiches würde laut Pettifor Ländern wiederfahren, die massiv neue Schulden zur Finanzierung eines Green New Deal aufnähmen. Schon das Drohpotenzial der Kapitalflucht sei laut Pettifor gross genug, um die Staaten vor einer hohen Kreditaufnahme für den Green New Deal abzuschrecken.
Um diese Blockademacht der Finanzmärkte zu überwinden, will Pettifor das Finanzsystem wieder unter öffentliche Kontrolle bringen. Die Staaten müssten grenzüberschreitende Finanzströme regulieren, um die Kapitalflucht bei einer höheren öffentlichen Verschuldung verhindern zu können. Die Euro-Länder müssten zudem die Zuständigkeiten der Europäischen Zentralbank (EZB) erweitern. Derzeit ist die EZB nicht befugt, die Staatshaushalte der Euro-Länder direkt zu finanzieren.
Dadurch steigt die Abhängigkeit der Euro-Länder von den Finanzmärkten. Die Akteure der Finanzmärkte hätten laut Pettifor jedoch kein Interesse daran, dass die Staaten die fossile Industrie mit einem Green New Deal „abwickeln“, weil die Finanzakteure mit Milliarden-Summen in diese fossile Industrie investiert sind. Auch deshalb hält Pettifor eine Finanzierung des Green New Deal unter Bedingungen freier Finanzmärkte für unmöglich.
Mit regulierten Finanzmärkten und einer umstrukturierten EZB stehen den Staaten neue Finanzquellen offen, so Pettifor. Die Finanzminister müssten sich nicht mehr vor Kapitalflucht fürchten und könnten vermehrt Anleihen zum Umbau der Wirtschaft ausgeben. Pensionsfonds und Versicherungen würden in diese Anleihen investieren. Die staatlichen Investitionen würden wiederum Steuerzahlungen generieren, mit denen die Zinsen der Anleihen gezahlt würden. Zusätzlich könnten die Zentralbanken Staatsanleihen aufkaufen, um die Zinsen, die der Staat auf die Anleihen zahlen muss, auf einem finanzierbaren Level zu halten. Aufgrund der Kapitalkontrollen könnten die Finanzakteure bei vermeintlich geringen Anleihe-Zinsen nicht mit dem Abzug ihres Kapitals drohen.
Doch Pettifor schreibt auch, dass ein Umbau des Finanzsystems nicht einfach wird. Die verantwortlichen Politiker hätten zu viel Respekt vor den Finanzmärkten und nutzten ihre Macht, um das System aufrechtzuerhalten. Leider geht Pettifor hier nicht ins Detail. In der EU sind ihre Ideen jedoch kurzfristig kaum umsetzbar. Die EU-Verträge verbieten es der EZB, Staaten zu finanzieren und müssten umgeschrieben werden, was sehr unwahrscheinlich ist. Pettifor schreibt weiter, dass Finanzakteure, die vom gegenwärtigen Finanzsystem profitieren – wie Private-Equity-Firmen, Vermögensverwalter, Banken, Pensionsfonds und Hedge-Fonds – alle Hebel in Bewegung setzen würden, um eine umfassende Reform der Finanzmärkte zu blockieren.
Auch wegen dieser Gegenwehr werde erst ein heftigen Schock – die Überflutung einer grossen Stadt infolge der Klimakrise oder eine neue Finanzkrise – ein Umdenken bei Politikern einleiten, prognostiziert Pettifor. Sie schrieb diese Prognose kurz vor der Corona-Pandemie, die als heftiger Schock gelten kann. Umso spannender wird es, zu beobachten, ob und in welchem Ausmass die kommenden Konjunkturprogramme zum Umbau der Wirtschaft genutzt werden oder ob – wie Pettifor voraussagt – Finanzinvestoren so einen staatlich finanzierten Umbau verhindern werden.