Emily Carr erging es wie vielen Künstler*innen: Zu Lebzeiten und vor allem in der Heimat treffen sie und ihre Kunst auf Unverständnis, während sie anderswo mit offenen Armen empfangen und geschätzt werden. Heutzutage allerdings wird Carr von den Kanadier*innen mitsamt ihrer Kunst, die stark von den indigenen Einflüssen der unterschiedlichen Völker der First Nations und deren Traditionen geprägt ist, sehr geschätzt. Seit 1996 ist ihre Kunst öffentliches Eigentum. Margaret Atwood antwortete zum Beispiel auf die Frage, wen sie gerne auf einer kanadischen Briefmarke sähe ganz klar: Emily Carr. Der Verlag das kulturelle Gedächtnis hat nun erstmals ein Buch von Emily Carr in deutscher Sprache veröffentlicht. Ein Glücksfall für uns Leser*innen.
Wechsel des Metiers
„Klee Wyck, die die lacht“ entstand in einer Phase, in der die Malerin ihrer Kunst aufgrund von Krankheit nicht nachgehen konnte. Darin sind 21 Kurzgeschichten und Wortskizzen versammelt, wie es in dem von Kathryn Bridge fundiert verfassten Vorwort heißt. Das Buch wurde nach seiner Veröffentlichung sehr gut aufgenommen. Ab 1951 sogar als Schulbuch – was Emily Carr, die bereits 1945 verstarb, nicht mehr erlebte. Allerdings wurde die Schullektüre mit extremen Kürzungen und Streichungen versehen, die dem, was Emily Carr mit ihren Texten erreichen wollte, krass entgegenstand:
„Ihr Ziel war es, diese Menschen auf würdevolle Art wieder aufleben zu lassen, ihnen eine Stimme und Individualität zu verleihen. Außerdem wollte sie mit ihren Geschichten zeigen, welche Folgen das Verhalten der Siedler für die First Nations gehabt hatte. Siedler, die den Eingeborenen ihre Kultur überstülpen wollten und deren rassistische Ansichten ihnen nicht nur die Augen vor den Werten dieser anderen Kultur verschlossen, sondern sie auch in ihrer Annahme bestärkten, diese Menschen seien eine aussterbende Rasse.“ (aus dem Vorwort von Kathryn Bridge)
Schmerzhafte Schönheit
Erst im Jahr 2003 sind die Texte wieder ungekürzt und in ihrer originalen Fassung erschienen – und nun in einer wunderschön gestalteten, feinfühlig von Marion Hertle ins Deutsche übertragenen Ausgabe auch für uns erhältlich. Ein großes Glück für uns Leser*innen.
Emily Carrs Sprache ist klar und direkt. Sie selbst befürchtete, dass die Geschichten bei den Leser*innen aufgrund der Tatsache, dass diese Ort und Menschen nicht kannten, flach erscheinen könnten. Das absolute Gegenteil ist tatsächlich der Fall. Ihre Sprache ist schnörkellos und geprägt vom ihrer Kunst, der Malerei und der dafür unerlässlichen scharfen Beobachtungsgabe. Die Details, die sie so in ihre Geschichten aufnimmt, prägen diese und verleihen ihnen eine manchmal schon schmerzhafte Schönheit. Schmerzhaft deshalb, weil die teils traurigen Ereignisse unmittelbar und direkt weitergegeben werden. Die Schönheit darin rührt von dem alles durchdringenden Wesen Emily Carrs, das ein großes Maß an Respekt den Traditionen und Lebensweisen der First Nations gegenüber zeigt. Dass sie so gewesen sein muss, zeigem ihr indianischer Name „Klee Wyck“ und die Tatsache, dass sie, nachdem sie von gewissen Vorstellungen der Indianer erfuhr, ihre Arbeitsweise umstellte. Ihr Interesse galt der Natur und den Traditionen der Ureinwohner Kanadas, die sie vor dem Vergessen retten und denen sie mehr Respekt angedeihen lassen wollte.
Reisen zu Totempfählen – Liebe zur Natur
„Das Knirschen des Kanus auf den Kieseln warnte die Stille, dass wir kommen und sie brechen würden.“
Wann immer es ihr möglich war, besuchte sie die ursprünglichen Wohnorte der Indianer und die dort noch vorhandenen Totempfähle, die sie besonders faszinierten. Diese Faszination, die starke Verbindung mit der Natur und das Erkennen dieser als eine universelle Verbundenheit, die die Indianer nicht zuletzt in ihren Bestattungsriten, die Carr in mehreren Geschichten beschreibt, leben, überstrahlen sowohl ihr malerisches als auch ihr schriftstellerisches Werk. Dabei spart sie nicht damit, das anzuprangern, was die christlichen Missionare den Ureinwohnern entgegenbrachten: Unverständnis, Rassismus, Respektlosigkeit. Christliches Verhalten ist anders.
„Dann waren die Missionare gekommen und hatten den Indianern gesagt, das sei alles töricht, dumm und heidnisch. sie holten die Indianer aus ihren alten Dörfern und von ihren Totempfählen weg und siedelten sie an neuen Orten an, wo das Leben einfacher war, wo man Dinge in einem Laden kaufte, anstatt sie sich aus der Natur zu holen.“
Respektvolles Erinnern
So wie Emily Carr alte Traditionen der Indianer mit der Kunstrichtung des Impressionismus in ihren Bildern verband, so verbindet sie in ihren Texten harte Realitäten mit Herzenswärme und schafft damit exakt das, was sie sich vorgenommen hatte: ein respektvolles Erinnern.
„Klee Wyck – die, die lacht“ ist ein Kleinod, eine grandiose Entdeckung und verdient – gerade in Zeiten wie unseren – breite Aufmerksamkeit. Mit großem Dank an den Verlag für diesen Schatz.
Klee Wyck – die, die lacht ist als gebundene Ausgabe im Mai 2020 im Verlag Das kulturelle Gedächtnis erschienen.