Die Bundesrepublik beteiligt sich zunehmend militärpolitisch am Machtkampf um die Arktis.
Die Bundesrepublik wird in Zukunft militärpolitisch enger mit den Staaten Nordeuropas kooperieren und damit in den Machtkampf um die Arktis eingreifen. Wie das Bundesverteidigungsministerium berichtet, hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ausführlich mit ihren Amtskollegen in Finnland, Schweden, Norwegen und Dänemark konferiert; die vier nordeuropäischen Staaten haben umfangreichere militärische Aktivitäten im Hohen Norden in Aussicht gestellt. Ursache ist, dass wegen des Klimawandels die Eismassen in der Arktis schmelzen und sowohl den Zugriff auf große Rohstofflagerstätten als auch neue Seewege freigeben. Laut Experten könnten die arktischen Gewässer schon 2030 im Spätsommer gänzlich eisfrei sein. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Rivalität um Einfluss in den Arktisregionen rasant an Schärfe. Während China sich um eine „Polare Seidenstraße“ bemüht, haben das Pentagon und jüngst auch die U.S. Air Force eine Arktisstrategie publiziert. Auch Russland mit seiner langen Nordküste ist involviert.
Rohstoffe und Seewege
Hintergrund der zunehmenden Machtkämpfe in der Arktis ist, dass das Polargebiet durch das Abschmelzen der dortigen Eismassen für Aktivitäten verschiedenster Art zugänglich wird. Schon im vergangenen Jahrhundert hat das Volumen des arktischen Eises um annähernd 75 Prozent abgenommen. Weil die Erwärmung durch den Klimawandel in der Arktis deutlich stärker ausfällt als im globalen Durchschnitt, halten Experten es mittlerweile für denkbar, dass die Region bereits im Jahr 2030 im Spätsommer komplett eisfrei sein wird.[1] Dies erlaubt den Zugriff auf neue Rohstofflagerstätten. Bereits heute werden weltweit rund zehn Prozent des Erdöls und 25 Prozent des Erdgases in der Arktis gefördert, der größte Teil davon in Sibirien und in Alaska. Laut einer Schätzung des U.S. Geological Survey könnten rund 13 Prozent der noch nicht erkundeten Erdöl- und rund 30 Prozent der noch nicht erkundeten Erdgasvorräte weltweit nördlich des Polarkreises lagern – der größte Teil davon unter dem Meer, allerdings in weniger als 500 Meter Wassertiefe. Dabei konzentrierten sich die Erdgasvorkommen vor allem unter russischen Gewässern, vermutet der U.S. Geological Survey.[2] Hinzu kommt, dass durch das Abschmelzen des Polareises neue Seewege in der Arktis befahrbar werden; dies eröffnet neue Handlungsoptionen – für den Welthandel, aber auch für das Militär.
Die Nordostpassage
Praktische Aktivitäten hat es bislang weniger bei der Rohstoffförderung gegeben. So hat etwa der Shell-Konzern Erkundungen in Alaska wegen mangelnder Erfolge eingestellt. Ein aussichtsreiches Projekt in der russischen Karasee, das Rosneft gemeinsam mit dem US-Konzern ExxonMobil gestartet hatte, musste im Jahr 2014 wegen der gemeinsamen Russlandsanktionen der Vereinigten Staaten und der EU eingestellt werden.[3] Erste Entwicklungen gibt es jedoch bei der Nutzung der arktischen Seewege. So legen seit 2014 jährlich 20 bis 30 Frachtschiffe die „Nordostpassage“ zurück – die Seeverbindung aus dem europäischen Nordmeer entlang der russischen Nordküste bis in die Gewässer Nordostasiens. Noch ist die Route wegen des bislang verbliebenen Eises und der schlecht ausgebauten Infrastruktur für den Handel nicht rentabel; allerdings zeichnet sich für sie inzwischen trotz aller Schwierigkeiten eine gewisse Perspektive ab – sie ist für den europäischen Ostasienhandel kürzer als die Strecke durch den Indischen Ozean und das Mittelmeer.[4] Hinzu kommt – besonders aus chinesischer Sicht -, dass sie helfen könnte, Meerengen wie die Straße von Malakka und den Suezkanal zu meiden, die im Konfliktfall von den Vereinigten Staaten gesperrt werden könnten.
Militärische Arktisstrategien
Trotz der noch vergleichsweise schwachen praktischen Nutzung der arktischen Gewässer ist in den vergangenen Jahren der Machtkampf um die Region deutlich schärfer geworden. China, seinerseits kein Arktis-Anrainer, hat sich zum „arktisnahen Staat“ erklärt, kooperiert mit Russland bei der Rohstoffförderung und strebt die Anbindung arktischer Regionen mit einer „Polaren Seidenstraße“ an; dazu gehört auch das Bemühen um Zusammenarbeit mit Island und Grönland.[5] Russland hält regelmäßig Manöver in arktischen Regionen ab; diese zielen nicht zuletzt darauf, die Schließung der „GIUK-Lücke“ (Greenland – Iceland – UK) und damit des Zugangs der russischen Nordflotte zum Nordatlantik durch die NATO zu verhindern.[6] Auch die Vereinigten Staaten und andere NATO-Mitglieder (Kanada, Norwegen, Dänemark) rüsten stärker für die Kriegführung in polaren Regionen auf. Das Pentagon hat im Juni 2019 eine eigene Arktisstrategie publiziert [7]; im Juli hat dies nun auch die U.S. Air Force getan [8]. Darüber hinaus streben die Staaten Nordeuropas – Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark – eine eigene, explizit gegen Russland gerichtete enge Militärkooperation mit Blick auf den Hohen Norden an.[9]
„Intensiver mit der Region befassen“
Daran knüpft nun die Bundesregierung an. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte, wie das Verteidigungsministerium berichtet, ursprünglich „im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine große Reise durch die nordischen Staaten geplant“, um bei ihnen für eine engere militärpolitische Kooperation zu werben.[10] Wegen der Covid-19-Pandemie musste die Reise durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt werden. In diesem Rahmen führte Kramp-Karrenbauer nicht nur Gespräche mit ihren nordischen Amtskollegen; sie nahm darüber hinaus an Onlineveranstaltungen außen- und militärpolitischer Think-Tanks in Helsinki, Stockholm, Oslo sowie Kopenhagen teil. „Mehrere große Tageszeitungen druckten Namensartikel der Ministerin“, berichtet das Bundesverteidigungsministerium, „um ihre Botschaften einem breiten Publikum zu vermitteln“. Die NATO müsse sich künftig „intensiver mit der Region befassen“, erklärte Kramp-Karrenbauer in einer Videokonferenz mit dem NATO Joint Warfare Centre im norwegischen Stavanger. In der Einrichtung sind laut Angaben des Verteidigungsministeriums rund 40 Soldaten der Bundeswehr aktiv. Geführt wird sie seit einem guten Jahr von Jan Christian Kaack, einem Konteradmiral der deutschen Marine.
Manöver mit der Bundeswehr
Auch die Bundeswehr bereitet sich schon längst auf potenzielle Operationen in der Arktis vor. Seit Jahren nehmen deutsche Soldaten an Kriegsübungen nördlich des Polarkreises teil (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Bei der Bundesregierung ist vom „gegenseitigen Erfahrungsaustausch“, von der „Inübunghaltung eigener Fähigkeiten unter besonderen klimatischen und geografischen Bedingungen“ die Rede.[12] Dieses Jahr beteiligten sich deutsche Militärs zunächst an dem Manöver „Cold Response 2020“ im Norden Norwegens, das Mitte März freilich wegen der Covid-19-Pandemie abgebrochen werden musste. Im Juli nahm die deutsche Marine vor der Küste Islands an der Kriegsübung „Dynamic Mongoose 2020“ teil, bei der unter anderem der „U-Boot-Krieg hoher Intensität“ geprobt wurde; er soll im Kriegsfall dazu beitragen, russische Kriegsschiffe an der Einfahrt in den Nordatlantik zu hindern (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Damit nimmt die Bundesrepublik am Machtkampf um die Arktis auch auf militärpolitischer Ebene teil.
[1] Simona R. Soare: Arctic Stress Test. Great power competition and Euro-Atlantic defence in the High North. EUISS Brief No. 9. 30.04.2020.
[2] Assessment of undiscovered oil and gas in the arctic. pubs.er.usgs.gov.
[3] Michael Paul: Arktische Seewege. Zwiespältige Aussichten im Nordpolarmeer. SWP-Studie 14. Berlin, Juli 2020.
[4] Simona R. Soare: Arctic Stress Test. Great power competition and Euro-Atlantic defence in the High North. EUISS Brief No. 9. 30.04.2020.
[5] China’s Arctic Policy. The State Council Information Office of the People’s Republic of China. January 2018. english.www.gov.cn.
[6] S. dazu Die NATO auf U-Boot-Jagd.
[7] Department of Defense Arctic Strategy. June 2019.
[8] The Department of the Air Force Arctic Strategy. July 2020.
[9] Gerard O’Dwyer: Nordic militaries rekindle old alliances, as Russia warms to the region. defensenews.com 22.06.2020.
[10] AKK: „Die Krise als Chance für Europa begreifen“. bmvg.de 09.07.2020.
[11] S. dazu Eiskalte Geopolitik (I) und Eiskalte Geopolitik (III).
[12] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/19973. 15.06.2020.
[13] S. dazu Die NATO auf U-Boot-Jagd.