So, wie es aussieht, wird man sich daran gewöhnen müssen, dass der Ausnahmezustand zu einer permanenten Einrichtung werden wird. Die Gründe dafür sind zahlreich. Da ist zum einen das, was gegenwärtig als Pandemie bezeichnet wird und dafür gesorgt hat, dass der Normalbetrieb im eigenen Wirkungskreis ebenso beeinträchtigt ist wie der internationale Reise- und Transportverkehr. Dann folgen die ökonomischen Krisen, die teils abhängig, teils unabhängig von der beschriebenen Pandemie viele Volkswirtschaften erschüttern.
Massenproteste als Routine
Manche Länder stehen bereits lange am Abgrund, wie zum Beispiel Argentinien, andere, wie Brasilien und die USA, trifft es besonders wegen der Pandemie und wiederum andere, wie zum Beispiel die Bundesrepublik, stehen vor dramatischen Verschiebungen innerhalb des sozialen Gefüges.
In Frankreich wie in den USA sind Massenproteste zur Routine geworden, und in beiden Ländern existieren heftige Debatten über die Frage, welche Form des Ausnahmezustandes der angemessene ist, um das Amalgam des Protestes, das sich gebildet hat, irgendwie in den Griff zu bekommen. Denn so vielfältig die Ursachen für die verschiedenen Formen des Ausnahmezustandes auch sind, genauso heterogen sind Träger wie Formen des Widerstandes.
„Mit aller Gewalt wird versucht, den Charakter des sich anbahnenden Widerstandes als das Werk von Scharlatanen darzustellen.“
Da sind diejenigen, die unter den Restriktionen, die die Pandemie verursacht, in besonderer Weise leiden, da sind diejenigen, die im informellen Sektor gearbeitet haben und quasi über Nacht ihrer Existenz beraubt worden sind.
Da sind diejenigen, die bereits vor der Krise im Billiglohnsektor gearbeitet haben und da sind die, die euphemistisch zum Mittelstand gezählt werden und deren Existenz bereits ausradiert wurde oder droht, bald perdu zu sein.
Und da sind immer mehr Menschen, die in dem jetzigen Prozess die finale Fortsetzung einer Ära sehen, die treffend mit dem Begriff des Wirtschaftsliberalismus bezeichnet wird und die den vorhandenen und produzierten Reichtum dieser Welt jenseits aller Scham verteilt hat.
Ausnahmezustand als Dauereinrichtung
Die Zustände, die jeweils das momentane Krisenmanagement begründen, stehen vor einer Struktur, die aus einer Dystopie stammen könnten, die entworfen wurde, als es den Wirtschaftsliberalismus mit seinem militanten Arm noch nicht gab: wenige Individuen besitzen mehr Güter, Geld und Regierungen, als Milliarden von Menschen auf der anderen Seite. Das ist, für alle, die dem blutigen 20. Jahrhundert entronnen sind, der Casus Belli.
„Der Ausnahmezustand ist die Dauereinrichtung eines Systems in der finalen Krise.“
Verdeckt werden konnte der skandalöse Zustand, weil die Massensteuerung einen Grad der Vervollkommnung erfahren hat, der vor wenigen Jahrzehnten ebenso wenig vorstellbar war wie der der Besitzverhältnisse. Die Individualisierung, unterstützt durch die technische Verfügbarkeit und Mobilität an und mit jedem Individuum, hat einen Status der Dauerüberforderung erzeugt, um die Flut von Informationen zu strukturieren und Mystifikation und Realität voneinander zu trennen.
Der Ausnahmezustand als Dauereinrichtung sorgt hingegen dafür, die von den existierenden politischen Parteien nicht mehr gewährleistete Samenhandlung von Menschen zu begründen und zu organisieren. Mit aller Gewalt wird versucht, den Charakter des sich anbahnenden Widerstandes als das Werk von Scharlatanen darzustellen. Die existieren, und abstruse Theorien sprießen aus der Erde wie die berühmten Glöckchen im Mai. Sie machen jedoch nicht das aus, was – man blicke nach Frankreich wie in die USA – sich auch hier anbahnt.
Vorboten der Revolte
Es sind die Vorboten einer Revolte gegen die Resultate einer Ära, in deren Folge Milliarden Menschen ihrer Existenz beraubt, die Natur systematisch zerstört, Staaten vernichtet und nicht mehr in der bekannten Arithmetik darstellbarer Reichtum erzeugt wurden.
Der Ausnahmezustand ist die Dauereinrichtung eines Systems in der finalen Krise. Das Ende der beschriebenen Ära wird nicht aus sich selbst heraus kommen. Die Mobilisierung der Geschädigten ist die Voraussetzung.