US-Außenminister fordert „breite Allianz“ gegen China. Europa reagiert verhalten.

Die Forderung von US-Außenminister Mike Pompeo nach der Gründung einer „breiten Allianz“ gegen China stößt in Europa bislang auf verhaltene Reaktionen. Einflussreiche deutsche Kommentatoren urteilen, „eine Strategie“ sei hinter dem aktuellen Vorgehen der Trump-Administration „nicht zu entdecken“; mit „unabgestimmten“ Maßnahmen wie der Schließung des chinesischen Konsulats in Houston „und anschließenden Forderungen an andere Staaten“ kämen die USA nicht weit. Der britische Außenminister Dominic Raab verwahrt sich gegen Pompeos Drängen, London solle umgehend Sanktionen gegen Beijing verhängen. In Deutschland stößt vor allem Washingtons Bestreben, eine ökonomische Entkopplung („decoupling“) zwischen den Vereinigten Staaten und China zu erzwingen, auf Widerspruch: Zwar erzielten nicht wenige deutsche Unternehmen „derzeit noch den größeren Teil ihres Umsatzes in den USA“, heißt es in der Wirtschaftspresse, „aber das Wachstum kommt aus Asien“. Das gilt umso mehr, als in China trotz Coronakrise wieder Profite erzielt werden – anders als in den USA.

„Breite Allianz gegen China“

US-Außenminister Mike Pompeo hat am Dienstag bei seinem Besuch in London die Schaffung einer „breiten Allianz“ gegen China gefordert. „Wir wollen es erreichen, dass jede Nation, die Freiheit und Demokratie versteht, die Bedrohung begreift, die die Kommunistische Partei Chinas für sie bedeutet“, erklärte Pompeo in einer Pressekonferenz.[1] Alle Demokratien sollten künftig „eine Koalition“ bilden, um gemeinsam gegen die Volksrepublik vorzugehen. Zur Begründung behauptete der US-Außenminister unter anderem, Beijing „drangsaliere“ fremde Länder. Die Behauptung ist für einen Vertreter eines Staates, der seinerseits regelmäßig fremde Länder völkerrechtswidrig mit Krieg überzogen hat und nach Belieben harsche Wirtschaftssanktionen gegen andere Staaten und deren Unternehmen verhängt, bemerkenswert. Nähere Hinweise dazu, wie die „Allianz“ gegen China ausgestaltet werden solle, gab Pompeo nicht. Schon jetzt existiert freilich eine internationale antichinesische Allianz auf Parlamentarierebene – die Inter-Parliamentary Alliance on China (IPAC), die Anfang Juni gegründet wurde und die eine schroffe Blockbildung gegen die Volksrepublik anstrebt. Ihr gehören mittlerweile Abgeordnete aus 16 Staaten an. In Deutschland sind insbesondere Grünen-Politiker involviert (german-foreign-policy.com berichtete [2]).

„Robust und ansatzlos“

Die Reaktion auf Pompeos Vorstoß ist in Europa bislang verhalten. In London stellten Beobachter fest, während Pompeo plump auf „die Kommunistische Partei Chinas“ eingedroschen habe, habe sich der britische Außenminister Dominic Raab konsequent „der diplomatischen Standardsprache“ bedient.[3] Während der US-Minister insinuiert habe, Großbritannien solle endlich Sanktionen gegen Beijing verhängen, habe sein Amtskollege aus dem Vereinigten Königreich darauf beharrt, man könne „nicht einfach so“ Zwangsmaßnahmen beschließen.[4] In Deutschland geben sich Leitkommentatoren führender Tageszeitungen skeptisch. So heißt es etwa distanziert, es entbehre „nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Außenminister der Macht, die seit gut drei Jahren multilaterale Bündnisse verächtlich macht“, jetzt „nach einer ‚breiten Allianz‘ gegen China ruft“: Wolle Washington Beijing eindämmen, dann „wird dies nicht mit unabgestimmten, publikumswirksamen Gesten“, etwa der Schließung des chinesischen Konsulats in Houston, „und anschließenden Forderungen an andere Staaten gelingen“.[5] „Die USA handeln … robust und ansatzlos“, urteilt ein anderer Kommentator: „Eine Strategie“ sei hinter ihrem aktuellen Vorgehen „nicht zu entdecken“.[6]

Entkopplung „geschieht bereits“

Auf Unwillen stößt insbesondere in Deutschland das Bestreben der Trump-Administration, die Volkswirtschaften des Westens und Chinas zu „entkoppeln“ („decoupling“) – mit dem Ziel, Beijing möglichst umfassend zu isolieren, um es leichter niederringen zu können. Vergangene Woche hat John Bolton, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, diesen Plan ausdrücklich bestätigt: Eine wirtschaftliche „Entkopplung“ sei „nicht nur möglich, erklärte er, „sie geschieht bereits“.[7] Bolton bezog sich unter anderem darauf, dass eine Reihe westlicher Unternehmen sich seit geraumer Zeit bemüht, Zulieferer aus China durch Zulieferer aus anderen Ländern etwa Südostasiens zu ersetzen. Die Entwicklung ist ursprünglich der Tatsache geschuldet, dass die Löhne in der Volksrepublik in den vergangenen Jahren gestiegen sind und deutlich über denjenigen in Ländern wie etwa Vietnam oder Indien liegen. Allerdings hat die Abwanderung Grenzen, weil China mit seiner riesigen, gut ausgebildeten Bevölkerung über ein herausragendes Potenzial an Arbeitskräften und mit seinen zahlreichen High-Tech-Unternehmen über ein kaum zu ersetzendes Zulieferumfeld verfügt. Die Trump-Administration nutzt deswegen Strafzölle sowie Sanktionen, um chinesische Zulieferer auszuschalten. Erst zu Wochenbeginn verhängte sie neue Sanktionen gegen elf chinesische Unternehmen, die bislang unter anderem Apple, Google und bekannte Modemarken, etwa Tommy Hilfiger und Hugo Boss, belieferten. Diese müssen sich jetzt neue Zulieferer suchen – ein weiterer kleiner Schritt in Richtung „decoupling“.[8]

„Wachstum kommt aus Asien“

Die deutsche Wirtschaft lehnt das „decoupling“ entschieden ab. „Europäische Firmen sind in einer Zwickmühle“, hieß es kürzlich im „Handelsblatt“ [9]: „Je nach Branchen machen viele von ihnen derzeit noch den größeren Teil ihres Umsatzes in den USA – aber das Wachstum kommt aus Asien.“ Es sei daher „ohne jede Alternative, hier in China zu bleiben“, wird der Chinachef von Volkswagen, Stephan Wöllenstein, zitiert. Tatsächlich gilt dies insbesondere für die deutsche Kfz-Branche, die schon heute laut Schätzungen zwischen 35 und 50 Prozent ihrer Gewinne in China macht.[10] Dabei ist die Volksrepublik für die deutschen Autohersteller nicht nur wegen der dort erzielten Profite unersetzlich, sondern auch aufgrund ihrer industriellen Dynamik. So boomt der Markt für Elektroautos, auf die die Branche weltweit umstellt, nirgends so stark wie in China. Dort wird unter anderem zunehmend auf modernste Cloudtechnologien gesetzt, die es ermöglichen, den Kunden „innerhalb von Sekunden Services anbieten zu können“, erläutert Marco Hecker, Leiter für den Kfz-Markt in China bei der Wirtschaftsberatung Deloitte; dabei „hängen die deutschen Hersteller sicher drei Jahre hinterher“.[11] Wolle man aufholen, sei man faktisch auf die Volksrepublik angewiesen: „In Deutschland hält man einen digitalen Entwicklungsprozess von vier bis sechs Monaten für schnell. Lokale Player in China können das fast innerhalb von einem Tag erledigen“.

Die Folgen der Coronakrise

Aktuell kommt hinzu, dass die Volksrepublik zu den Ländern gehört, die die Coronakrise bislang mit den geringsten Schäden überstanden haben und inzwischen wieder Wachstumschancen bieten. Die chinesische Wirtschaftsleistung ist im zweiten Quartal wieder um 3,2 Prozent gewachsen, während sie in Europa und Nordamerika dramatisch schrumpft. Die Folgen zeigen sich recht klar auf einzelbetrieblicher Ebene. So konnte Daimler seinen Umsatz in China im zweiten Quartal um beinahe 22 Prozent steigern; obwohl die Verkäufe in Europa und den USA stark schrumpften, genügte dies für ein globales Konzernwachstum um 0,4 Prozent. Daimler hat angekündigt, seine Produktionskapazitäten in den USA und Mexiko sowie womöglich auch in Brasilien zu kürzen; damit verschöben sich die Gewichte für das Unternehmen noch stärker nach China.[12] Nicht zuletzt gewinnt die Volksrepublik auch für den deutschen Gesamtexport noch größere Bedeutung. Aktuelle Angaben des Statistischen Bundesamts zeigen, dass der deutsche Export von Januar bis Mai insgesamt um 14,1 Prozent einbrach. Dabei kollabierte der Export in die Vereinigten Staaten um 15,5 Prozent, derjenige nach China nur um 10,1 Prozent. Weil die chinesische Wirtschaft mittlerweile wieder wächst, während die US-amerikanische unverändert am Boden liegt, wird die Differenz in den kommenden Monaten noch zunehmen – zugunsten Chinas, zu Ungunsten der Vereinigten Staaten. Dies wird die politischen Aggressionen der Trump-Administration wohl nicht abmildern.

[1] Guy Faulconbridge, Paul Sandle: U.S. wants to build coalition to counter China’s ‚disgraceful‘ menace, Pompeo says. reuters.com 21.07.2020.

[2] S. dazu Der grüne Kalte Krieg.

[3] Emilio Casalicchio: Mike Pompeo urges all nations to ‚push back‘ against China during UK visit. politico.eu 21.07.2020.

[4] Laura Hughes, George Parker, Katrina Manson: Mike Pompeo urges UK to join alliance against China. ft.com 21.07.2020.

[5] Peter Sturm: Allianz gegen Peking? Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.07.2020.

[6] Stefan Kornelius: China-Komplex. sueddeutsche.de 22.07.2020.

[7] Finbarr Bermingham: US-China decoupling is already happening, says Donald Trump’s former security chief John Bolton, also calling for open borders for Hongkongers. scmp.com 16.07.2020.

[8] Dan Strumpf, Liza Lin: Blacklisting of Chinese Firms Rattles American Supply Chains. wsj.com 21.07.2020.

[9] Dana Heide, Christian Rickens, Nicole Bastian, Ruth Berschens: Handel, Hongkong, Flugrechte: Die Entkopplung der Weltmächte. handelsblatt.com 03.06.2020.

[10] Stephen Wilmot: China Keeps Germany’s Car Makers in the Fast Lane. wsj.com 20.05.2020.

[11] Cornelia Meyer: In China sind E-Autos bereits Statussymbole – Experte erklärt, warum das für VW, Daimler und Co. zum Problem wird. businessinsider.de 23.07.2020.

[12] Franz Hubik: Daimler erwartet Gewinn im laufenden Jahr – Källenius nennt Fusionsgerüchte „völlig verfehlt“. handelsblatt.com 23.07.2020.

Der Originalartikel kann hier besucht werden