Wie französische Medien berichten, haben mehrere Verbände Klage gegen Nestlé eingereicht. Der Vorwurf: illegale Wasserbohrungen.
Tobias Tscherrig für die Online-Zeitung INFOsperber
In den französischen Gemeinden Vittel und Contrexéville wird Nestlé mit neuen rechtlichen Problemen konfrontiert: Nach der Ankündigung des Prozesses gegen eine lokale Mandatsträgerin wegen illegaler Bevorzugung zugunsten des Nahrungsmittel-Konzerns (Infosperber berichtete), ging bei den zuständigen Behörden Mitte Juni eine Klage gegen Nestlé wegen angeblich illegaler Wasserentnahmen ein. Das berichten französische Medien.
Verschiedene französische Umwelt- und Konsumenten-Verbände werfen dem Konzern vor, ohne Genehmigung mehr als eine Milliarde Liter Wasser abgepumpt und unter den Markennamen Contrex und Vittel verkauft zu haben.
Mit ihrer Klage wollen die Umwelt- und Konsumenten-Verbände auch aufzeigen, wie voreingenommen die Behörden reagieren würden, wenn es darum gehe, zwischen dem Wasserbedarf der Gemeinden und Nestlé zu vermitteln.
Nestlé spricht von «Fantasien»
Konkret werfen die Verbände «France Nature Environnement» (FNE), «UFC-Que Choisir Vosges» und «Association de sauvegarde des vallées et de prévention des pollutions» (ASVPP) dem weltweit tätigen Nahrungsmittel-Konzern mit Sitz in Vevey vor, in Vittel und Contrexéville «Bohrlöcher auszubeuten» und «Wasser ohne Genehmigung zu entnehmen». Gemäss dem französischen Online-Portal «mediapart», dem eine Kopie der Klage vorliegt, kann das Vergehen mit bis zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 75’000 Euro geahndet werden.
Die Verbände erwähnen in ihrer Klage insgesamt neun Bohrlöcher, die von Nestlé betrieben werden. Für diese sollen keine Bewilligungen zur Ausbeutung vorliegen. Von «mediapart» mit den Vorwürfen konfrontiert, wollte der Konzern – der sich in diesem heiklen Thema nun von einer auf Krisenkommunikation spezialisierten Pariser Kommunikationsagentur vertreten lasse – keine Stellung beziehen.
Inzwischen hat Nestlé Frankreich mit einer Medienmitteilung reagiert. Der Konzern betont seine «völlige Transparenz über die Existenz unserer Einzugsgebiete und die geförderten Mengen». Das Management von Nestlé Waters Frankreich bestreitet die Vorwürfe und stellt sich auf den Standpunkt, dass für die vor dem Gesetz von 1992 betriebenen Bohrungen eine «gesetzliche Vermutung der Ordnungsmässigkeit» gelte. Weiter erklärt Nestlé, dass man die vom Staat angeforderten Akten vorgelegt habe und schreibt von «Fantasien über die Befugnisse von Nestlé Waters». Man werde «es den Gerichten überlassen, zu entscheiden, ob es Gründe für eine Untersuchung und Strafverfolgung gibt.»
Entnahmen trotz fragilen Wasserressourcen
Die Umwelt- und Konsumentenorganisationen stützen sich bei ihrer Klage auf eine Antea-Studie von 2019, die die Tätigkeit von Nestlé in der Region analysiert. Darin sind die neun Bohrungen als bewilligungspflichtig aufgeführt.
Wie «mediapart» schreibt, habe Nestlé zwischen 2007 und 2017 ohne Genehmigung mehr als 900’000 Kubikmeter Wasser aus einer einzigen der betroffenen Quellen entnommen und es dann unter dem Namen «Contrex» verkauft. Bei einer anderen der neun Quellen seien zwischen 2013 und 2017 mehr als 600’000 Kubikmeter Wasser entnommen worden, das dann unter dem Markennamen «Vittel» zu Geld gemacht worden sei. Für Abfüll-, Kur-, und Bewässerungszwecke würde Nestlé zudem jedes Jahr Hunderttausende Kubikmeter Wasser entnehmen.
Präfektur ist informiert
Gemäss «mediapart» ist die Präfektur der Vorgesen seit mehreren Jahren über die aus Sicht der Klageparteien illegalen Wasserentnahmen informiert. Das zeige ein Erlass vom November 2016, den die Umwelt- und Konsumentenverbände als Beweis für die Vorzugsbehandlung sehen, welche die örtlichen Behörden Nestlé zukommen lassen würden. Im Erlass wird Nestlé aufgefordert, für die Entnahme von Proben aus den umstrittenen Bohrlöchern «innerhalb eines Jahres nach Unterzeichnung dieses Dekrets beim Präfekten einen Antrag auf Genehmigung gemäss Artikel L214-3 des Umweltgesetzes» zu stellen. Knapp vier Jahre später sei das Genehmigungsverfahren immer noch nicht abgeschlossen – und das Wasser fliesst weiter.
Die Präfektur der Vorgesen wiegelt gegenüber «mediapart» indes ab: Die Arbeit zur Regularisierung der Genehmigungen für die Bohrlöcher von Nestlé Waters sei bereits seit langer Zeit am Laufen. Es handle sich um einen komplexen technischen Prozess, da einige der Genehmigungen alt seien. Das Verfahren werde auf Grundlage der entsprechenden Reglemente durchgeführt, die wiederum auf Auswirkungsstudien beruhen, welche die Förderfähigkeit für die Umwelt bestätigen würden.
Argumente, die Jean-François Fleck, Leiter von FNE und Mitverfasser der Anzeige, gegenüber französischen Medien zurückweist: Dass schon so lange gebohrt werde, sei keine Entschuldigung. Vielmehr hätten die Bohrungen bereits 1993 regularisiert werden oder Gegenstand eines Antrags auf Bohrgenehmigung sein müssen.
Bevorzugung und Monopolisierung?
Um aufzuzeigen, dass die örtlichen Behörden Nestlé bevorzugt behandeln würden, verweisen die Umwelt- und Konsumenten-Verbände zudem auf die Bewirtschaftung des Muschelkalk-Grundwassers. In der Vogesen-Region ist dieses Wasser seit 2013 als alternative Wasserressource für die lokale Bevölkerung vorgesehen. Das wurde nötig, um das chronische Defizit im tiefen Grundwasserspiegel aus dem unteren Triasandstein (GTI) auszugleichen. Dieses ist seit den 1970er-Jahren rückläufig – auch wegen den vielen Wasserentnahmen.
Im Jahr 2016 wird das Muschelkalkwasser von der lokalen Wasserkommission (CLE) dann aber als Trinkwasser-Ersatz für die Gemeinden ausgeschlossen. Trotzdem sollen Nestlé gemäss «mediapart» im selben Jahr heimlich zwei Bohrungen bewilligt worden sein.
Eine technische Notiz, die «mediapart» vorliegt, soll ausserdem zeigen, wie sich der Konzern die Kontrolle über dieses Grundwasser gesichert habe. Demnach könne Nestlé den Präfekten bitten, die Arbeiten an neuen Bohrungen so lange auszusetzen, bis der Konzern «einen Antrag auf Erweiterung seines Schutzumfangs stellt und diesen erhält». «Mediapart» kommentiert dieses Vorgehen: «Wenn dem Schweizer Unternehmen ein Bohrvorgang nicht gefällt – obwohl er legal ist – kann es ihn aussetzen lassen.»
Für Fleck kommt diese Situation einer «Strategie der Monopolausbeutung des Grundwasserspiegels durch Nestlé Waters mit der Komplizenschaft des Staates» gleich.
Gemeinden darben weiter
Nun da die Kontroverse um die Bohrungen, die Nestlé während Jahren in den Vogesen gewährt wurden, immer grösser wird, öffnet die Präfektur der Vogesen zaghaft die Tür für die kommunale Nutzung des Muschelkalk-Wassers.
Während aber eine dauerhafte Lösung für die Wasserressourcen der Region noch immer aussteht, wird der Sommer in Ostfrankreich voraussichtlich erneut heiss und trocken. Bis zum Sommer 2018 nahm die Präfektur bereits 38 Gemeinden – Contrexéville und Vittel eingeschlossen – auf die Liste der von Dürre bedrohten Gemeinden auf. Tanklastwagen mussten die Gemeinden Lignéville und Dombrot-le-Sec mit Wasser versorgen, während der Schweizer Lebensmittel-Gigant vor ihrer Haustüre Wasser in Trinkwasserqualität bezieht, in Flaschen abfüllt und verkauft.