Die Welt produziert immer mehr Elektromüll, vor allem in reichen Ländern. Die pro Kopf grösste Menge fällt in Europa an.

Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber

Der Konsum von Elektronik ist Notwendigkeit und Statussymbol. Der Kühlschrank ist wie Herd und Handy im Alltag unverzichtbar. Alle ein bis zwei Jahre geht das Handy kaputt und muss entsorgt werden. In den letzten fünf Jahren wuchs der globale E-Müll-Berg um insgesamt ein Fünftel oder fast ein Kilogramm pro Kopf, listet der «Global E-Waste Monitor 2020» auf: Das sind viele Handys, Kühlschränke und Herde und es ist der bisherige Rekord. Weltweit werden jedes Jahr 2,5 Millionen Tonnen mehr Elektrogeräte gekauft als im Jahr davor, Solarpanele nicht mit eingerechnet.

Geräte, die immer noch grösstenteils im Müll landen. 2019 wurden weltweit 54 Millionen Tonnen Elektromüll weggeworfen, 7,3 Kilogramm pro Kopf und 9 Millionen Tonnen mehr als bei der letzten Zählung 2014. Nur ein kleiner Teil wird recycelt. Setzt sich diese Entwicklung fort, wird die Menschheit bis 2030 auf jährlich 74,7 Millionen Tonnen alten Elektrogeräten sitzen, schätzen die Autoren der Studie.

Europa wirft am meisten Elektromüll weg. In absoluten Zahlen ist Asien führend («Global E-Waste Monitor 2020»)

Steigender Wohlstand, Urbanisierung, die fortschreitende Industrialisierung ärmerer Länder sowie wachsende Mobilität verlangen nach immer mehr Gadgets. Konsumentinnen und Konsumenten kaufen nicht nur mehr von dem, was blinkt, kühlt, piepst und sendet, es wird auch für immer kürzere Zeit genutzt. Der Lebenszyklus innovativer Produkte wie «smarter» Kleidungsstücke ist relativ kurz, Kleinelektronik wie die elektrische Zahnbürste landen zu oft im Eimer.

Einwohner von Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen besitzen erwartungsgemäss deutlich mehr von allem, was Batterie oder Stecker hat. Den grössten Durchlauf hat dabei Europa, wo ganze 16,2 Kilogramm Elektroschrott pro Kopf und Jahr anfallen, in der Schweiz sogar satte 23,3 Kilogramm pro Kopf und Jahr. In absoluten Mengen ist Asien führend, gefolgt von Amerika.

Viele Geräte kann selbst der Fachmann kaum reparieren, lohnend ist es ohnehin nicht. Oft lässt sich nicht einmal der Akku austauschen, weil ein Gerät sich nicht öffnen lässt. Oder es werden bewusst Bauteile von schlechter Qualität verwendet, die schnell den Geist aufgeben. «Planned Obsolescence» nennt sich das. Die Hersteller bestreiten, dabei vorsätzlich vorzugehen.

Recycling wächst langsamer als die Produktion

Gerade einmal 17,4 Prozent des weltweit anfallenden Elektromülls wurden letztes Jahr recycelt, listet der Report auf. Die recycelten Mengen sind seit 2014 zwar leicht angestiegen, mit dem Wachstum des globalen Marktes kann Recycling aber nicht Schritt halten. Das heisst, die Recycling-Quote ist gesunken. Unter dem Strich landen also immer mehr Elektrogeräte – ja, wo eigentlich?

Acht Prozent gebrauchter Elektronik wird nachvollziehbar im Restmüll entsorgt und anschliessend verbrannt oder deponiert. Schätzungsweise 7 bis 20 Prozent werden legal oder illegal in weniger vermögende Länder exportiert. Von mehr als der Hälfte fehlt jede Spur. Verschwunden sind sie womöglich in anderen Müllströmen oder in der informellen Wiederverwertung (oder von der Mafia heimlich im Meer versenkt. Anm. der Red.)

In infrastrukturarmen Ländern wird Elektroschrott von Hand vom Müll getrennt. Oft nicht nur der eigene, sondern auch der importierte. Die nicht dokumentierte Recyclingquote ist nach Schätzung der Autoren relativ hoch. Die meist armen Müllverwerter in Afrika und Asien arbeiten oft mit Methoden, die für Sammler und Aufbereiter gesundheitsschädlich sind. Etwa, weil sie Gase einatmen, die beim Schmelzen oder Verbrennen von Müll entstehen. Die offizielle Recycling-Quote in Afrika ist niedriger als ein Prozent.

In der Schweiz wird ein sehr grosser Anteil gebrauchter Elektrogeräte wieder eingesammelt. (Daten: OECD 2017, Visualisierung: Global E-Waste)

Europäerinnen und Europäer verursachen pro Kopf nicht nur den meisten Elektronikschrott, sie sind nach bestätigten Zahlen auch E-Recycling-Weltmeister. Durchschnittlich 43 Prozent des europäischen E-Mülls werden wieder eingesammelt, in der Schweiz waren es nach OECD-Daten von 2017 sogar 63 Prozent. Swiss Recycling schätzt die Rückgabequote auf 95 Prozent. Wobei «Einsammeln» nicht das Gleiche ist wie «Wiederverwerten». Ein Teil dieses Mülls wird dennoch verbrannt oder exportiert.

Gefahr und Goldgrube

Elektroschrott enthält nicht nur Silizium und Plastik, sondern auch Eisen, Gold, Silber, Kupfer, Platin sowie seltene Stoffe wie Lithium und Kobalt. Laut «Planet Wissen» sind vor allem weggeworfene Handys eine Goldgrube. Eine Tonne Handyschrott enthält 240 Gramm Gold, zweieinhalb Kilogramm Silber, 92 Gramm Palladium, 92 Kilogramm Kupfer und 38 Kilogramm Kobalt mit einem Gesamtwert von rund 10’000 Euro.

Weltweit wurden im vergangenen Jahr Rohmaterialien im Wert von 57 Milliarden US-Dollar einfach weggeworfen. Den grössten Anteil an diesem Wert hatten Eisen, Gold und Kupfer. Selbst die niedrige Recycling-Quote von 17 Prozent rettete Sekundärrohstoffe im Wert von 10 Milliarden Dollar.

Weggeworfene Toaster, Lampen, Kabel und Kühlschränke enthalten neben Wertstoffen aber auch giftige oder umweltschädliche Bestandteile wie Flammschutzmittel, Quecksilber, Cadmium und FCKW. Diese landen im schlimmsten Fall in Luft, Gewässern und Boden und verursachen Gesundheitsschäden.

Die Gesetzeslage bessert sich

Um wertvolle Inhaltstoffe wiederzugewinnen und giftige unschädlich zu machen, braucht es nicht nur ein funktionierendes Recyclingsystem, sondern auch Gesetze. In dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahren viel getan. 71 Prozent der Weltbevölkerung leben in einem Land, in dem es eine grundlegende E-Abfallpolitik gibt, 2014 waren es nur 44 Prozent. Mehr als die Hälfte aller Länder hat aber noch immer keine politischen Instrumente, um mit Elektroschrott vernünftiger umzugehen.

Das Schweizer System der vorgezogenen Recycling-Gebühr gilt als vorbildlich. Dennoch wäre es sinnvoll, auch an anderer Stelle anzusetzen, wenn wir nicht in einigen Jahren an Elektroschrott ersticken wollen. Laut Rüdiger Kühr, stellvertretender Rektor der United Nations University Europe und einer der Autoren der Studie, ist es höchste Zeit für ein Umdenken, wie es beim Plastikmüll bereits begonnen hat. Sonst laufe man früher oder später auf «eine ganz grosse Krise» zu, sagte er zur «Zeit».

International diskutiert, um den Verbrauch von Elektronik nachhaltiger zu machen, werden beispielsweise Gesetze zur besseren Reparierbarkeit, zu längerer Lebensdauer sowie zur Anpassung der Gerätefertigung. Bestandteile von Elektrogeräten sollen besser voneinander getrennt werden können, im Idealfall sogar modular austauschbar sein.

Die Vereinten Nationen verlangten schon vor fünf Jahren, dass reiche Länder vermehrt gegen illegale Müllexporte vorgehen sollen. So mancher kaputte Fernseher wird als «Gebrauchtgerät» nach Afrika verschifft und vergiftet dort Mensch und Umwelt. Das haben Recherchen mit GPS-Sendern mehrfach bewiesen.