Es ist zu vermuten, dass das Phänomen allgemein bekannt ist. Man führt sein Leben, geht seiner Wege und denkt, so sei das im Allgemeinen. Der Schluss, dass die eigene Weise das sei, was als normal zu gelten habe, ist relativ logisch und nachvollziehbar. Nur trifft er, dass wissen wir auch alle, nur sehr selten zu.

Die Beziehung

Zu spezifisch sind die jeweils eigenen Lebensumstände und zu divers sind die Individuen, die auf sie treffen. Es deutet sich bereits an, dass die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft nicht unbedingt als unkompliziert zu bezeichnen sind. Hätten wir alle diese Erkenntnis vor Augen, wenn wir miteinander verkehrten, dann wäre vieles leichter. Aber dem ist nicht so.

Ganz im Gegenteil. Denn wie oft widerfährt es uns, dass wir den eigenen Weg, der uns zum Ziel geführt hat, anderen nicht nur empfehlen, sondern ihnen regelrecht aufzwingen wollen. Das ist oft gut gemeint, aber verheerend. Denn denjenigen, denen man die eigene Erfahrung nimmt und in eine Lösung zwingt, verlieren ihre Autonomie.

Was, so wird man sich fragen, resultiert denn daraus? Sollten alle immer wieder den sich wiederholenden Irrungen unterliegen und die gleichen Fehler machen? Das wäre doch fatal!

Und es kommt oft noch schlimmer! Diejenigen, die es wagen, nicht auf unseren Rat zu hören, stehen nicht nur unter strenger Observanz. Nein, sie werden in der Regel für alles gerügt, was sie tun und ihnen unterläuft. Den Chor der beleidigten Ratgeber kennen wir. „Hättet Ihr, wäret Ihr, müsstet Ihr nicht?! …“ Wir meinen, es besser zu wissen und mobilisieren unsere Gefühle gegen diejenigen, die das nicht einmal offen anzweifeln, aber es doch vorziehen, ihre eigenen Erfahrungen zu machen.

Was wir da an den Tag legen, wenn wir so handeln, ist so etwas wie der große Egoismus der eigenen Eitelkeit. Denn eigentlich ist es eine Bereicherung, wenn die Einsicht winkt, dass es außer meiner noch eine weitere Lösung gibt. Oder?

Die Enthauptung

Aber wir sind derweilen unbelehrbar und auf eine nahezu satanische Weise fehlgeleitet. Wir mutieren nämlich zu regelrechten Inquisitoren, wenn sich jemand, der oder die angeht, Erfolg zu haben, aus eigenen Stücken das Husarenstück fertig bringt, genauso wie wir, mit den gleichen Mitteln, vorzugehen. Dann sind wir nicht nur gekränkt, sondern wir avancieren zu Bestien, die das nicht verzeihen.

Und sollten dann noch Fehler auftauchen, die den unseren entsprechen, dann werden die Ungelehrigen zur Enthauptung freigegeben. Gnade ausgeschlossen.

Ja, manchmal treffen alte Weisen den Kern der Sache am besten. Wir sind alle keine Engel, heißt es in einer solchen. Für sich betrachtet eine mehr als triviale Aussage. Im Kontext der Beziehung von Individuum und Gemeinwesen jedoch eine fundamentale Erkenntnis, die allen Agierenden ständig bewusst sein sollte. Damit Kommunikation gelingt, bedarf es nicht nur einer gemeinsamen Intentionalität, einem gemeinsamen Willen, dass diese gelingt. Es bedarf auch der Einsicht in die Möglichkeit der Fehlbarkeit des eigenen Handelns. Sind diese beiden Voraussetzungen nicht erfüllt, dann wird es schwierig. Und manchmal sogar desaströs.

Die Perfidie

Anscheinend bewegen wir uns derzeit in Gefilden, in denen diese beiden Erkenntnisse keine Rolle spielen. Andere Kräfte als die menschliche Einsicht sind an der Macht. Es herrscht die Perfidie des Selbstbetrugs [1]. In dieser Hinsicht ist es tiefe Nacht. Hoffen wir auf das Morgengrauen.


Quellen und Anmerkungen

[1] Als Perfidie (oder auch Perfidität) werden Handlungen von einzelnen Personen oder vom Gruppe bezeichnet, die vorsätzlich das Vertrauen beziehungsweise die Loyalität einer anderen Person oder einer anderen Gruppe von Personen ausnutzen, um sich oder einer bestimmten Gruppe einen Vorteil zu verschaffen beziehungsweise diesen zu erlangen. Perfidie findet sich zum Beispiel in der Wirtschaft und im Politischen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden