Politik steckt während Hochphase den Kopf in den Sand
PRO ASYL forderte direkt zu Beginn der Pandemie einen Abschiebungsstopp. Auch wenn u.a. Bundesinnenminister Horst Seehofer am 18. März zugab, dass wohl de facto keine Abschiebungen stattfinden würden, wurde weder vom Bund noch von einzelnen Bundesländern ein formaler Abschiebungsstopp erlassen. Tatsächlich versuchten das Bundesinnenministerium und die Bundespolizei immer wieder, mit extra gecharterten Flugzeugen doch noch Personen abzuschieben, wie von PRO ASYL im Fall zweier Iranerinnen und einer Frau aus dem Togo öffentlich gemacht wurde. In beiden Fällen wurden die Abschiebungen schließlich aufgegeben. Wie mittlerweile bekannt ist, wurden aber vereinzelt auch während der Corona-Hochphase Menschen aus Deutschland abgeschoben.
Für die Betroffenen heißt das Fehlen eines klaren Abschiebungsstopps ein Leben mit ständiger Angst und Rechtsunsicherheit.
Für die Betroffenen heißt das Fehlen eines klaren Abschiebungsstopps ein Leben mit ständiger Angst und Rechtsunsicherheit. Auch wurden von Amtsgerichten mangels eines solchen Stopps Abschiebungshaftanträgen noch stattgegeben, da eine Abschiebung absehbar sei – nur um Tage oder Wochen später festzustellen, dass dies nicht der Fall war. Damit wurden die Betroffenen eingesperrt, obwohl eine Abschiebung absehbar nicht möglich war. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass Abschiebungshaft nur angewandt werden darf, wenn die Abschiebung innerhalb einer kurzen Zeit auch tatsächlich durchführbar ist. Auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, hatte Ende März die europäischen Staaten dazu aufgefordert, während der Corona-Pandemie noch inhaftierte Personen aus der Abschiebungshaft zu entlassen.
Von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt wurden erste Sammelabschiebungen bereits durchgeführt, darunter Ende Mai die einer achtköpfigen Roma-Familie mit einem behinderten Kind nach Serbien.
PRO ASYL, Landesflüchtlingsräte und Jugendliche ohne Grenzen fordern stattdessen ein Abschiebungsmoratorium! Dies fordert auch der europäische Flüchtlingsrat ECRE für die gesamte EU in einem neuen Policy Paper, das den passenden Titel trägt: »Abschiebungen sind während einer Pandemie keine notwendigen Reisen«.
Die Urlaubsflieger starten – damit auch grünes Licht für die Abschiebeflieger?
Seit dem 15. Juni gelten für EU-Länder keine Reisebeschränkungen mehr, die Reisewarnung für Drittstaaten soll bis Ende August bestehen bleiben. Es steht zu befürchten, dass in der Politik trotz der drastischen Konsequenzen der Pandemie in vielen Ländern nun auf ein schnelles »business as usual« in der Abschiebungspolitik gedrängt wird. Nicht umsonst steht das Thema Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Abschiebungen auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz, die vom 17.–19. Juni in Erfurt stattfindet. Das Land Berlin hat zudem angekündigt, dass ab dem 15. Juni keine Beschränkungen mehr für Abschiebungen weltweit bestehen würden (siehe Meldung im PRO ASYL Corona-Ticker vom 29.05.2020).
»Abschiebungen sind während einer Pandemie keine notwendigen Reisen«
ECRE, Policy Note, Juni 2020
Drastische Auswirkungen der Corona-Pandemie in anderen Ländern
Denn auch wenn in Deutschland die Infizierungszahlen stabil sind und Beschränkungen gelockert werden, heißt das nicht, dass die Pandemie bald vorbei ist. Im Gegenteil: Manche Länder, besonders im globalen Süden, stehen erst am Beginn einer möglichen Ausbreitung des Corona-Virus. Im Iran und Nordmazedonien droht laut Berichten je eine zweite und größere Infektionswelle, da Maßnahmen zu früh gelockert wurden. Außerdem hat die Pandemie in vielen Ländern viel weitreichendere Auswirkungen als in Deutschland.
Auch EASO legt in seinem ersten »Special Report: Asylum Trends and COVID-19« vom Mai 2020 dar, dass viele Herkunftsländer von Asylsuchenden in Europa sowohl sehr anfällig für eine Verbreitung des Virus sind als auch schlecht dafür aufgestellt sind, dieses zu bekämpfen und ihre Bevölkerung zu schützen. Als besonders problematisch sieht EASO die Lage im Fall der Ausbreitung der Pandemie in den Ländern Afghanistan, Somalia, Bangladesch, DR Kongo, Eritrea und Syrien. Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 können in solchen Ländern dramatische soziale Auswirkungen haben, da den Menschen plötzlich jedes Einkommen wegbricht, Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen und es keine staatliche Unterstützung gibt. Dazu kann eine solche Gesundheitskrise auch zu politischer Instabilität und Aufständen führen.
Manche Länder, besonders im globalen Süden, stehen erst am Beginn einer möglichen Ausbreitung des Corona-Virus.
Bereits Ende April warnte David Beasley, Exekutivdirektor des UN-Welternährungsprogrammes bei einer virtuellen Sitzung des UN-Sicherheitsrates mit eindringlichen Worten vor einer Corona-bedingten »Hungerpandemie«. Schon vor COVID-19 waren 135 Millionen Menschen mit schwerem oder extremem Hunger konfrontiert. Aufgrund der Pandemie geht das Welternährungsprogramm davon aus, dass diese Zahl bis Ende des Jahres 2020 auf 265 Millionen Menschen anwachsen wird und sich damit fast verdoppelt. So bestünde »die reale Gefahr, dass vielleicht mehr Menschen an den wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 sterben könnten als am Virus selbst«.
Die gravierenden Auswirkungen in Herkunftsländern zeigen sich auch an folgenden Beispielen:……weiter lesen