Am Wochenende beginnen Kriegsübungen auf der Ostsee unter Beteiligung der Bundeswehr.
Unter Beteiligung der Bundeswehr beginnt am Wochenende trotz anhaltender Einschränkungen des zivilen Lebens im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie eine große Kriegsübung auf der Ostsee. Im Rahmen des US-geführten Manövers BALTOPS 2020 werden Truppen aus 17 NATO-Staaten und zwei verbündeten Ländern für insgesamt neun Tage gemeinsam den Seekrieg proben. Die westlichen Mächte halten trotz der Coronakrise ebenso an der Übung fest wie an dem US-Großmanöver Defender Europe 20, das die Verlegung von US-Truppen in Divisionsstärke über den Atlantik in Richtung russische Grenze probt und in – pandemiebedingt – reduzierter Form unter der Bezeichnung Defender 20-plus weitergeführt wird. Dem BALTOPS-Manöver, das seit 1971 jährlich abgehalten wird, kommt vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen zwischen den westlichen Mächten und Russland eine erhöhte Bedeutung zu. In einem etwaigen Krieg zwischen der NATO und Russland wäre die Ostsee eine militärstrategische Schlüsselregion.
Kontinuität zum Kalten Krieg
Die BALTOPS-Manöver – das Kürzel steht für „Baltic Operations“ – sind eine Serie von Kriegsübungen, die die Vereinigten Staaten bereits 1971 gestartet haben, mitten im Kalten Krieg. Seitdem finden sie jährlich statt. Auch als das Militärbündnis sein Tätigkeitsfeld neu auslotete und seinen Fokus zunächst von einer möglichen Großmachtkonfrontation hin zu weltweiten Militärinterventionen verschob, hielt es dennoch an BALTOPS fest. Mit dem erneuten strategischen Schwenk zurück zur Großmachtkonfrontation, den die NATO seit 2014 offen vollzieht, kommt den BALTOPS-Manövern wieder eine größere Bedeutung zu. Sie sind die zentralen Seekriegsübungen der westlichen Mächte im Ostseeraum. Organisiert werden sie maßgeblich von den USA. Innerhalb der U.S. Army ist die „Second Fleet“ („Zweite Flotte“) für ihre Planung und Durchführung zuständig. Die Vereinigten Staaten hatten die Second Fleet nach dem Zweiten Weltkrieg mit Blick auf den Konflikt mit der Sowjetunion aufgebaut. Im Kalten Krieg war sie zuständig für die Ostküste der USA und den gesamten Nordatlantik, also die Verbindungslinie nach Europa. In Zeiten der relativen Entspannung in den transatlantisch-russischen Beziehungen hatte die US-Marine ihre Second Fleet im Jahr 2011 aufgelöst, um sie dann 2018 mit Blick auf die inzwischen wieder gestiegenen Spannungen zwischen Washington und Moskau erneut ins Leben zu rufen. Die Second Fleet ist dabei nur ein Beispiel für alte Militärstrukturen aus der Zeit des Kalten Krieges, auf die der Westen seit 2014 wieder vermehrt zurückgreift. Ergänzend werden neue Militärstrukturen aufgebaut, so zum Beispiel das Baltic Maritime Component Command, das die Bundeswehr in Rostock errichtet (german-foreign-policy berichtete [1]).
BALTOPS 2020
Dieses Jahr werden die westlichen Mächte im Rahmen von BALTOPS 2020 vom 7. bis zum 16. Juni den Krieg auf der Ostsee proben. Dazu werden 17 NATO-Mitglieder und zwei Partnerstaaten mit 29 Schiffen und 29 Flugzeugen sowie 3.000 Soldaten in die Region kommen.[2] Auch die Bundeswehr ist beteiligt. Wie bei Militärmanövern üblich, sind nur wenige Details über das zugrundeliegende Szenario bekannt. Die deutsche Marine teilt jedoch mit, gemeinsam mit ihren Verbündeten Luftoperationen, U-Boot-Krieg, Minenkampfführung und die Abriegelung von Gebieten trainieren zu wollen.[3] Dabei wird es zwei Phasen des Manövers geben: zunächst Gefechtsübungen, danach ein „force integration training“, bei dem die Streitkräfte der 19 teilnehmenden Staaten proben, gemeinsam zu kämpfen. Das ist auch vorrangiges Ziel der Übung: Die Interoperabilität und die Flexibilität der Truppen sollen nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebaut werden; es geht darum, die beteiligten Streitkräfte aufeinander abzustimmen und sie in die Lage zu versetzen, „in Krisenzeiten schnell zu reagieren“, und zwar gemeinsam.
Kriegsmeer Ostsee
Luftoperationen, U-Boot-Krieg, Minenkampfführung und die Abriegelung von Gebieten sind für militärische Operationen auf der Ostsee von großer Bedeutung. Das ergibt sich einerseits aus der Beschaffenheit des Meeres, andererseits aus seiner geographischen Lage an der neuen Frontlinie zwischen den Territorien der NATO-Mitglieder und Russland. Als sogenanntes Randmeer stellt die Ostsee andere Anforderungen an Kriegsschiffe als beispielsweise ein Einsatz auf hoher See – denn die Ostsee bietet nur wenige Seewege, auf denen zu manövrieren auch mit wendigen Schiffen als anspruchsvoll gilt. Da es nur wenige befahrbare Routen gibt, kann die Ostsee mit Seeminen und Raketen effektiv in Teilen oder ganz abgeriegelt werden. Genau dies wäre in einem Krieg mit Russland auf der Ostsee gefragt: Die Großmächte würden um die militärische Kontrolle über das Meer konkurrieren; beide Konfliktseiten würden versuchen, der anderen Seite den Zugang zur Ostsee zu verwehren, und zwar nicht nur den jeweiligen Kriegs-, sondern auch Handelsschiffen. Russland stehen dazu vor allem die in Kaliningrad stationierten Raketensysteme zu Verfügung. Die russische Exklave zwischen Polen und Litauen ist Strategen deshalb ein Dorn im Auge. Über die Ostsee verlaufen nicht nur militärische Nachschubrouten der NATO ins Baltikum, sondern auch wichtige Handelsrouten, von denen nicht zuletzt die Bundesrepublik abhängig ist.
Inzwischen ohne Russland
Auch wenn die detaillierten Szenarios der BALTOPS-Manöver nicht öffentlich zugänglich sind, gibt es doch einige klare Hinweise, dass die Manöver inzwischen wieder eindeutig gegen Russland gerichtet sind. Einige Jahre war Russland an der Übungsserie beteiligt. 2008, unmittelbar nach dem Georgienkrieg, luden die USA die russischen Streitkräfte jedoch wieder aus. Ab 2010 durften russische Soldaten zunächst wieder teilnehmen, bis die Vereinigten Staaten sie 2014 endgültig von der Übung ausschlossen.[4] Die Stimmen, die einen bewaffneten Konflikt mit Russland für nicht unrealistisch halten, mehren sich. So hieß es zum Beispiel vor einem knappen Jahr in der Fachzeitschrift „Europäische Sicherheit und Technik“ mit Blick auf BALTOPS 2019: „Kein Gebiet Europas ist so stark militarisiert wie der Ostseeraum, wo sich auf engem Raum NATO und Russland gegenüberstehen und wo ein möglicher Konflikt mit Russland durchaus greifbar erscheint“.[5] Höhepunkt von BALTOPS 2019 war ein amphibisches Landemanöver von NATO-Truppen in Litauen, nur wenige hundert Kilometer entfernt von der russischen Grenze. Der Kriegskurs gegen Moskau, den die NATO forciert, ist auch in offiziellen deutschen Strategiepapieren enthalten, in denen die Bundesregierung Russland offen als Rivalen benennt.[6] Die BALTOPS-Manöver sind ein praktischer Ausdruck davon.
Mehr zum Thema: Kriegsübung trotz Pandemie.
[1] S. dazu Führungsansprüche an der „nassen Flanke“.
[2] U.S. Navy to Join 18 Allied, Partner Nations in Annual Baltic Exercise. navy.mil 01.06.2020.
[3] BALTIC OPERATIONS 2020 (BALTOPS 2020). Pressemitteilung des Presse- und Informationszentrums der Marine. 03.06.2020.
[4], [5] BALTOPS 2019 – Multinationales Großmanöver in der Ostsee. esut.de 06.07.2019.
[6] Siehe zum Beispiel das Bundeswehr-Weißbuch von 2016 sowie die Konzeption der Bundeswehr und das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr von 2018. S. auch Deutschlands globaler Horizont (I).