Zwei Jahre nach dem historischen Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem nordkoreanischen Staatsratsvorsitzenden Kim Jong-un am 12. Juni 2018 in Singapur sind alle Hoffnungen auf eine nachhaltige Entspannung am 38. Breitengrad, gar eine formelle Beendigung des Koreakriegs, der sich seit 1953 lediglich im Waffenstillstand befindet, verflogen. Der koreanische „Friedensprozeß“ hat sich nicht vom katastrophalen Scheitern des zweiten Treffens zwischen Trump und Kim im Februar 2019 erholt, bei dem US-Außenminister Mike Pompeo und der damalige Nationale Sicherheitsberater John Bolton von den Nordkoreanern als Vorbedingung für die Lockerung amerikanischer Wirtschaftssanktionen den Verzicht auf sämtliche ABC-Waffen samt Trägersystemen verlangten. Das Gegenteil ist der Fall. Am 8. Juni hat Nordkorea sämtliche Kontakte zu Südkorea abgebrochen und sogar die telefonische Hotline zwischen den Generalstäben, mit der Mißverständnisse und Konflikte entlang der Demilitarisierten Zone (DMZ) vermieden werden sollten, gekappt.
Anlaß zu dem drastischen Schritt waren die wiederholten Aktionen nordkoreanischer Überläufer, die von der südlichen Seite der DMZ her immer wieder Hunderttausende Luftballons mit kleinen Plastikflaschen aufsteigen ließen, die Flugblätter mit Propagandabotschaften gegen Kim und sein „Regime“ enthielten. Bei den zwei Treffen Kim Jong-uns mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in im Jahr 2018 war der beiderseitige Verzicht auf jegliche Propagandamaßnahmen an der Grenze ein demonstratives Signal in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Seoul und Pjöngjang. Daß die nordkoreanischen Überläufer von konservativen Gegnern des linksliberalen Moon unterstützt werden, ist nicht nur den Regierungen in beiden Hauptstädten ein Dorn im Auge. Auch die südkoreanischen Gemeinden an der Grenze beschweren sich darüber, daß ihre Küsten, Flüsse und Bäche durch eine Flut kleiner Plastikflaschen vermüllt werden. Um den Spuk zu beenden, bereitet die Moon-Regierung ein gesetzliches Verbot derartiger Provokationen vor.
Doch ob dies die Gemüter in Pjöngjang besänftigen und die Annäherung der beiden Bruderstaaten kurzfristig wieder in Gang bringen kann ist fraglich. Zu sehr hängt der „Friedensprozeß“ auf der koreanischen Halbinsel vom Stand der Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA ab. Und die sind zur Zeit miserabel. Die Nordkoreaner haben das Gefühl, 2018 mit der Aussetzung provokanter Tests von Atombomben und Interkontinentalraketen eine Vorleistung erbracht zu haben, welche die Amerikaner nicht honorierten. Nicht nur ist die von Pjöngjang erwartete erste Lockerung der Wirtschaftssanktionen ausgeblieben, die Justizbehörden in Washington haben vielmehr am 29. Mai Anklage gegen 28 nordkoreanische und fünf chinesische Firmen und Individuen wegen mutmaßlicher Verstöße gegen die Sanktionsgesetze der USA erhoben.
Der Umfang der „illegalen“ Geschäfte, die an den amerikanischen Sanktionen vorbei abgewickelt wurden, wird laut der 50seitigen Anklageschrift auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt. Von einem „geheimen globalen Netzwerk“, das sich von Nordkorea und der Volksrepublik über Rußland, Libyen und Thailand erstreckt, ist die Rede. Am Pranger stehen nicht nur mehrere chinesische Großbanken, sondern auch die IT-Unternehmen Huawei und ZTE, die Hochtechnologie an Pjöngjang geliefert haben sollen, mit der Nordkorea seine Atomwaffenfähigkeiten verbessern könne. Mit dem zu erwartenden großen Tamtam haben US-Justizministerium, State Department und FBI die Bekanntgabe der Anklage gegen die chinesischen und nordkoreanischen Sanktionsbrecher publik gemacht. Entsprechend aufgeregt wurde am nächsten Tag in der Washington Post unter der Überschrift „U.S. brings massive N. Korean sanctions case, targeting state-owned bank and former government officials“ geklotzt.
Das muß aber nichts heißen. 2005 hat das Finanzministerium in Washington mit der Behauptung, die Nordkoreaner brächten über die Banco Delta Asia in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Macau gefälschte 100-Dollar-Noten in Umlauf, eine bei den „Sechser-Gesprächen“ unter Beteiligung Chinas, Japans, Nordkoreas, Rußlands, Südkoreas und der USA bereits beschlossene Einigung zur Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel mutwillig torpediert. Bekanntlich stellte sich später bei genauerer Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY) der spektakuläre Vorwurf aus der Feder des neokonservativen Staatssekretärs im US-Finanzministerium, Stuart Levey, als Schwindel heraus.
Entsprechend unversöhnlich klingen die Erklärungen der letzten Tage aus Pjöngjang. Ende Mai hat Kim Jong-un eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten Nordkoreas einschließlich eines Ausbaus des Atomwaffenprogramms angekündigt. Anfang Juni führte Rodong Sinmun, die staatliche Zeitung Nordkoreas mit der größten Auflage, die landesweiten Proteste gegen Polizeigewalt in den USA nach der Ermordung des schwarzen Bürgers George Floyd auf die Tatsache zurück, daß im Weißen Haus „eine Bande extremer Rassisten“ an der Macht sei. Und in der Erklärung, die Nordkoreas Außenminister Ri Song-gwon am 12. Juni zum zweiten Jahrestags des Gipfeltreffens von Singapur verlas, wurde Donald Trump als Falschspieler kritisiert, der mit seinen hohlen Versprechen die Hauptverantwortung dafür trage, daß „selbst der geringste optimistische Hoffnungsschimmer auf Frieden und Wohlstand auf der koreanischen Halbinsel zu einem finsteren Alptraum verblaßt“ sei.
In einem ermahnenden Kommentar, der am 1. Juni in der konservativen US-Zeitschrift National Interest erschienen ist, konstatierte der Ostasien-Experte Doug Bandow, es wäre „bedauerlich, wenn nicht gar tragisch, sollte die Chance, die Trumps Öffnung Nordkorea gegenüber geschaffen hat, verspielt werden“. Für eine Rettung dieser Öffnung scheint es heute, weniger als fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA, bereits zu spät zu sein.