In Zeiten, da die Covid-19 Pandemie das Ausmaß häuslicher Gewalt offenbart, lehnt die ungarische Regierung eine wichtige Gesetzesinitiative ab.
Während die Meldungen von häuslicher Gewalt durch die Covid-19-Ausgangssperren in verstörendem Ausmaß steigen, macht Ungarn bei dem Schutz von Frauen einen großen Schritt zurück. So verhinderte das Parlament, welches zu zwei Dritteln von der Regierungspartei Fidesz besetzt ist, am 5. Mai die Anerkennung der Istanbul-Konvention.
Diese Konvention, auch bekannt unter dem Namen „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, gibt einen vorbildlichen Standard für Inklusion vor. Demnach soll jede Person ein gewaltfreies Leben führen, unabhängig von der sexuellen Orientierung, der Geschlechteridentität, dem Aufenthaltsstatus oder anderen Eigenschaften. Es verpflichtet die Vertragsstaaten zur Einhaltung von Mindeststandards für den Schutz von Frauen, die Vorbeugung und die Verfolgung von Gewalt gegen Frauen.
Ungarische Politiker*innen werfen der Konvention vor, „Geschlechterideologie“ zu verbreiten. Diese untergrabe „traditionelle Familienwerte“ und fördere Homosexualität. Der in der Konvention garantierte Schutz von Migrantinnen und weiblichen Flüchtlingen stehe außerdem im Widerspruch zu Ungarns Anstrengungen, illegale Einwanderung zu unterbinden.
Regelmäßig greift die ungarische Regierung die Gleichstellung der Geschlechter und die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen, LGBT [engl. für „lesbian, gay, bisexual and transgender“, anm. d. Ü.], Menschen sowie von Asylsuchenden und Eingewanderten an. All dies trägt zu einem großen Rückschritt des Rechtsstaats in Ungarn bei.
Ungarns Justizministerin Judit Varga findet, dass die geltenden Gesetze bereits ausreichenden Schutz von Frauen gewährleisten. Mehrere Frauengruppierungen beschweren sich jedoch schon seit langer Zeit über unzureichende Angebote und die schlechte Reaktion der Polizei auf die vermehrt auftretende häusliche Gewalt.
Die politischen Manöver dieser Woche folgen einem verstörenden Trend: Bulgarien, die Slowakei und Litauen haben die Konvention ebenfalls nicht ratifiziert und Polen drohte bereits mit dem Rückzug. Zusätzlich lehnt die Slowakei die Einführung der Konvention in der Europäischen Union ab.
Nach öffentlichen Zahlen haben mehr als 20 Prozent aller Frauen in der EU häusliche Gewalt erfahren. In vielen Staaten werden 50 Prozent aller Morde an Frauen von ihren Partnern oder von Familienangehörigen verübt. Europaweit gibt es während der Covid-19-Pandemie vermehrt Meldungen von häuslicher Gewalt und Missbrauch. Staatliche Mittel, die zur Verhütung der Gewalt gegen Frauen eingesetzt werden und die Opfer unterstützen und schützen, können Leben retten. Es darf nicht länger gewartet werden.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission und die Kommissarin für Gleichheitspolitik haben die Priorität für die Einführung der Istanbul-Konvention erhöht. Beide sollten sich öffentlich dagegen aussprechen, wenn Mitgliedsstaaten absichtlich versuchen, die Ziele der Konvention und ihre Einführung zu sabotieren.
Die europäischen Regierungen sollten ihren Fokus auf den Schutz von allen Frauen setzen, anstatt mit aufrührerischer Rhetorik notwendige Maßnahmen zu blockieren.
Von Hillary Margolis
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Peter Bliß vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!