“Wir wollen nicht zurück in die Normalität, weil diese das Problem ist”. Anders gesagt, das Ende oder die vorübergehende Aufhebung des Ausnahmezustands (Phase 2 und 3) werden mit neuen Demonstrationen gegen die viel schlimmere Klima- und Umweltkrise einhergehen, die von einer Dringlichkeit ist, die allzu viele nur zu gerne zu verdrängen versuchen, aber auch gegen die unvermeidliche Wirtschaftskrise unvorstellbaren Ausmaßes, die auf uns zukommt.
Sicher, die Straßen werden sich wieder mit Autos und Smog füllen, da nur jetzt wegen Lockdown und Social Distancing die Kapazitäten des Verkehrs drastisch gesenkt sind. Aber glaubt wirklich jemand, dass die europäische Automobilindustrie, die um 80% eingebrochen ist – und für die italienische Betriebe einen großen Anteil der Zulieferer stellen – sich in einigen Monaten oder in einem Jahr so ohne weiteres wieder erholt? Oder dass die großen Kreuzfahrtschiffe – auf die sich Fincantieri (neben Kriegsschiffen) spezialisiert hat – einfach wieder auslaufen, nachdem man gesehen hat, wie sich diese schwimmenden Riesen in Gefängnisse, ja sogar in Gräber für diejenigen verwandeln, die sie für ihren Urlaub gebucht hatten? Oder dass – jetzt, wo sich auch H&M vom italienischen Markt verabschiedet – die Modebranche mit ihrer Massenproduktion, dem Prêt-à-porter, und von der die Modenschauen in Mailand und Florenz nur die sichtbare Spitze des Eisbergs sind, im gleichen irrsinnigen Tempo weitermachen kann? Oder auch dass der internationale Tourismus, ob Kunst- oder Pauschalreisen, jener, welcher „Devisen ins Land bringt“, schnell und mit voller Wucht zurückkehrt? Oder dass die Agrar- und Nahrungsmittelindustrie – auch und vor allem aus Klimagründen – eine weltweite Versorgungskrise riskiert, die selbst in den reichsten Ländern die Fähigkeit zur Ernährung der Armen gefährden würde?
Die bittere Erkenntnis für alle, die nun wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, oder die – unter hohem Gesundheitsrisikos für sich und ihre Familien – gezwungen waren, weiterzuarbeiten, wird jene sein, sich in wenigen Monaten in Kurzarbeit wiederzufinden oder aber ganz ohne Arbeit dazustehen: ohne neue Aufträge, bei ausbleibenden Nachlieferungen, ohne Kunden und ohne Geld. Die großen Liquiditätsspritzen, die die Regierung und vielleicht auch die EU vorsehen, sollen die Produktion und Industrien, die eigentlich keine Zukunft mehr haben, am Laufen halten. Sie werden aber nur ein paar Löcher stopfen, die insolvente Auftraggeber und ausbleibende Kunden gerissen haben, nur um alles gleich danach wieder in das schwarze Loch einer „produktiven Kontinuität“ zu stürzen, nur diesmal ohne Reserven.
Möglicherweise glauben einige wirklich, dass Groß- und Megaprojekte – allen voran die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon TAV, sowie auch der Bau von Autobahnen, Stadien, Hochhäusern, das Veranstalten von Olympiaden, der Blutsauger Mose (Sturmflutsperrwerk in der Lagune von Venedig) u.v.m. – Italien wieder „auf Vordermann bringen“ könnten, wie die Turiner Dämchen (wer erinnert sich schon an sie) einst daher schwatzen, die den heiligen Gral in einem Tunnel sahen. Man muss sich nur anschauen, wie die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, die dermaßen mit den Hilfen für in Schwierigkeiten geratene Bürger geizen, die eigentlich die Basis des Europäischen Paktes sein sollten, sich hingegen als allzu nachsichtig im Bezug auf die Finanzierungen der Kommission für Großprojekte wie die TAV erweisen, die uns letztendlich alle mit in den Abgrund reißen werden.
Tatsächlich besteht die einzige Möglichkeit, wahre “Kontinuität” bei Produktion und Beschäftigung zu erreichen, in der ökologischen Konversion des Großteils der italienischen Industrie: viele Unternehmen und Kompetenzen könnten so in kurzer Zeit und mit geringem Aufwand umgebaut werden. Doch diese Umstellung kann nicht jede Firma für sich bewerkstelligen. Ganze Bereiche müssen neu strukturiert werden: neue Supply Chains, neue Lieferketten und Absatzmärkte. In vielen Fällen müssen Ressourcen eines ganzen Bereichs umgeschichtet werden. Dazu braucht es ein neues Bewusstsein und die Zusammenarbeit aller – vom Management, über Ausbildungsstrukturen, zu Verbänden, Universitäten, lokalen Entscheidungsträgern – aber natürlich auch Führung und selbstverständlich Geld.
Wo es um öffentliche Arbeiten und Infrastruktur geht, muss die Handlungsfähigkeit und der finanzielle Spielraum der Gemeinden wiederhergestellt werden, um tausende kleiner Maßnahmen durchzuführen und die regionale und kommunale Daseinsvorsorge, insbesondere im Gesundheitsbereich sicherzustellen, an Stelle von wenigen unnützen und schädlichen Großprojekten. Und sie müssen unter breiter öffentlicher Beteiligung geschehen und unter die Kontrolle der Bürger gestellt werden.
Für die Umsetzung sollen der Gesellschaft – jeder Firma, jedem Stadtviertel, jeder Hausgemeinschaft, Schule, Behörde oder jedem Amt – Instrumente an die Hand gegeben werden, um die eigenen Potenziale im Bezug auf technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit zu erkennen und zu bewerten, damit sie am ökologischen Umbau, der grünen Wende, teilhaben können.
Wie das gehen soll? Indem man, allen voran im Energiesektor, multidisziplinäre Teams aus Ingenieuren, Architekten, Ökonomen und Soziologen zusammenstellt, die von den Kommunen bezahlt werden, einzeln oder in kleinen Konsortien, und dann Universitätsabsolventen und junge Akademiker einstellt, die unter der Führung der Experten aus den jeweiligen Bereichen Projekte und Ideen entwickeln, sie ökonomisch bewerten, Finanzierungsquellen ausfindig machen, die Zielrichtung vorgeben und schließlich die entsprechenden Firmen beauftragen.
Ähnlich kann die Revolutionierung des Transportsystems vollzogen werden, mit Carsharing, neuen Linien, abgestimmten Fahrplänen und „grünen“ Fahrzeugen für den ÖPNV. Dasselbe gilt auch für den Aufbau regionaler Vertriebsstrukturen für die Landwirtschaft. Eine Initiative, die tausende von qualifizierten Jobs für junge Leute schaffen und eine echte Wende in zentralen Bereichen des ökologischen Umbaus in Gang setzen könnte. Sicher, es wären kreative Prozesse, ohne auf den „Plan“ der Regierung zum Green New Deal zu warten, aber es würde zu konkreten Taten führen, um die dringend benötigte grüne Wende endlich einzuleiten.
Übersetzung aus dem Italienischen von Heidi Meinzolt und lektoriert von Evelyn Rottengatter vom ehrenamtlichen Pressenza-Team. Wir suchen Freiwillige!