LeaveNoOneBehind: In Sammelunterkünften und Flüchtlingslagern – hier und an den europäischen Außengrenzen – ist ein würdiges Leben nicht möglich, und Schutz vor Corona ebenfalls nich.
Während es seit Wochen ein Dauerthema ist, wie die Bevölkerung vor Corona geschützt werden kann, gerät in Vergessenheit, dass es viele Menschen gibt, die weder geschützt werden noch sich selbst schützen können. Wer in Lagern oder Massenunterkünften ausharren muss, kann kein menschenwürdiges Leben führen und ist von Ansteckung bedroht. Selbst wenn die staatliche Fürsorge ernst gemeint wäre, dann gilt sie offensichtlich nicht für alle.
In einer Pressekonferenz legten kürzlich die Landesflüchtlingsräte, PRO ASYL und die Seebrücken-Bewegung dar, dass keine*r zurückgelassen werden dürfe und dass alle Lager geschlossen werden müssten, egal ob Moria auf der griechischen Insel Lesbos oder Halberstadt in Sachsen-Anhalt.
Die Situation im Lager Moria sei ein einziger Albtraum: „Bei Essensausgaben müssen Menschen Stunden in langen Warteschlangen verharren.“ Selbst „simple Präventionsmaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen können nicht eingehalten werden. Risikogruppen, etwa ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, können sich zum Schutz nicht selbst isolieren.“
Viele Menschen dort haben Angehörige hier. Tareq Alaows von Seebrücke: „Es ist unerträglich, dass Familien getrennt sind, während Länder und Bund sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Wir fordern deshalb gemeinsam ad-hoc-Maßnahmen zur Aufnahme durch die Bundesländer“.
Keine Massenunterbringung
Helen Deffner vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt berichtete: „Wir beobachten derzeit eine bewusste Gefährdung der Gesundheit, nämlich, dass eine Durchseuchung in Kauf genommen wird.“ Zu Hunderten würden Geflüchtete auf engstem Raum untergebracht und seien „dadurch zwangsläufig dem gefährlichen Virus ausgesetzt.“ Das Corona-Virus mache deutlich, dass die Landesregierungen Konzepte für die Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen erarbeiten müssten und nicht weiter auf Massenunterbringung setzen dürften.
Für Berlin hatte bereits am 23. April ein neues Berliner Bündnis #LeaveNoOneBehindNowhere in einem Offenen Brief an den Berliner Senat einen „10 Punkte Soforthilfeplan“ zur Unterbringung und zum Schutz wohnungsloser Menschen vorgelegt. Denn von den gesundheitsgefährdenden Bedingungen in Sammelunterkünften sind Wohnungslose mit und ohne Fluchtbiografie betroffen. Auf einer Onlineveranstaltung am 29. April diskutierte das Bündnis die Forderungen nach dezentraler Unterbringung mit der Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke).
Kinder Retten
Am 12. Mai forderten die NaturFreunde mit einer Aktion vor dem Bundeskanzlerinnenamt, die Kinder aus den Lagern in Griechenland zu retten: „Leben retten – Lager schließen – Kinder und Familien nach Deutschland holen!“ Denn noch immer „sitzen mehr als 42.000 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen in völlig überfüllten Lagern hinter Stacheldrahtzaun fest.“ Im berüchtigten Lager Moria gebe es kaum mehr fließendes Wasser und 1.300 Menschen müssten sich ein Waschbecken teilen.
Die NaturFreunde kamen mit 12 leeren Kinderwagen vors Kanzlerinnenamt, jeder Wagen trug einen Buchstaben, so dass der Schriftzug „Kinder retten“ zu lesen war. Mit den 12 Kinderwagen sollten auch die 12 Berliner Bezirke symbolisiert werden. Uwe Hiksch von den NaturFreunden Berlin forderte die Bundesregierung auf, sofort die mehr als 8.000 Kinder und die vielen hunderte Familien mit Kindern, sowie alleinreisende Frauen aus den Lagern nach Deutschland zu holen. Er betonte: „Die NaturFreunde Berlin halten es für notwendig, dass Lager wie Moria sofort geräumt und die Menschen auf die Staaten der Europäischen Union verteilt werden.“
Für die Initiative „Eltern ohne Grenzen“ sprach Heike Dierbach: „Jeden Tag, wenn die Bilder aus den Lagern zu sehen sind, wird überdeutlich, dass wir nicht schweigen dürfen. Dies ist eine zutiefst moralische Angelegenheit, Kindern nicht solchen unverantwortlichen Zuständen zu überlassen.“
Berlin muss endlich handeln
Uwe Hiksch begrüßte die Aussage von Justizsenator Dirk Behrendt, dass Berlin kurzfristig 500 bis 1.500 Flüchtlinge aufnehmen könne. Jugendsenatorin Sandra Scheeres habe erklärt, dass die Stadt angesichts der aktuellen Corona-Lage Kapazitäten für bis zu 300 geflüchtete Kinder in der Jugendhilfe habe. Die NaturFreunde fordern, dass aus den Worten sofort Taten folgen: „Wir erwarten vom Berliner Senat, dass er mit einer humanitären Geste eine Vorbildfunktion für die anderen Bundesländer übernimmt und sich bereit erklärt, sofort mindestens 1.500 Geflüchtete aufzunehmen.“
In einer gemeinsamen Presseerklärung forderten ebenfalls am 12. Mai Respekt für Griechenland e.V., Willkommen im Westend und der Flüchtlingsrat Berlin e.V.: „Herr Geisel, lassen Sie endlich Ihren Worten Taten folgen, tun Sie etwas, um die Geflüchteten aus den griechischen Lagern zu retten“. Sie fordern den Berliner Senat auf, „nicht nur auf den Bund zu warten, sondern unverzüglich selbst alle Spielräume für die Aufnahme aus Griechenland zu nutzen und in konkrete Taten umzusetzen.“ Berlin müsse eine Aufnahmeanordnung nach dem Aufenthaltsgesetz vorlegen und „mit Nachdruck das Einvernehmen des Bundes einfordern“. Mit griechischen Behörden, dem Internationalen Flüchtlingshilfswerk UNHCR und zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort müssten konkrete Vorbereitungen getroffen, und gemeinsam mit anderen Bundesländern beim Bund darauf gedrängt werden „dass die Aufnahme zügig umgesetzt wird“. Daneben müssten alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt werden, um Familienzusammenführungen zu ermöglichen.
Die NaturFreunde werden als nächste Aktion vor dem Roten Rathaus den Berliner Senat an seine Verantwortung erinnern, denn: „Mehrere Rechtsgutachten haben bereits aufgezeigt, dass die Bundesländer die skandalöse Politik der Bundesregierung nicht tatenlos hinnehmen müssen und Menschen in Not aufnehmen können.“
Verknüpfungen im Sinne von #unteilbar
Die geschilderten Forderungen und Aktionen wecken den #unteilbar-Gedanken, sich nicht auseinanderdividieren oder gar gegeneinander ausspielen zu lassen. Diese Solidarität unterscheidet nicht zwischen wohnungslosen Menschen mit und ohne Fluchtbiografie, in Obdachloseneinrichtungen oder Flüchtlingslagern, hier oder in anderen Ländern.
Auch Umweltschützer*innen treten für die Rechte von Menschen auf der Flucht ein. Auf die Frage, warum sich die NaturFreunde als Umweltverband für geflüchtete Menschen einsetzen, erläutert Uwe Hiksch: „NaturFreunde sind seit ihrer Gründung vor mehr als 110 Jahren aktiver Teil der antifaschistischen und heute auch antirassistischen Bewegungen. Die NaturFreunde sind als linker Freizeit- und Umweltverband, der in der ehemaligen Arbeiter*innenbewegung gegründet wurde, immer auch für die Rechte von Benachteiligten und sozial Ausgegrenzten aktiv geworden.“
Artikel und Fotos von Elisabeth Voß