Unter tatkräftiger Einmischung des in der englischsprachigen Welt politisch enorm einflußreichen Medienmoguls Rupert Murdoch entwickelt sich Australien in den letzten Jahren zum Frontstaat Nummer 1 in der sich zuspitzenden Konfrontation zwischen der schwächelnden Supermacht USA und dem wiedererwachten „Reich der Mitte“ China. 2010 wurde Premierminister Kevin Rudd auf Betreiben von Barack Obamas Außenministerin Hillary Clinton von seiner sozialdemokratischen Partei geschaßt, nur weil er sich für eine Vermittlerrolle Canberras zwischen Peking und Washington stark gemacht hatte. 2018 mußte der konservative Premierminister Malcolm Turnbull seinen Hut nehmen, weil Murdoch und US-Präsident Donald Trump mit seiner Entscheidung, keine australischen Kriegsschiffe zur Teilnahme an den äußerst provokativen „Navigationsfreiheitsoperationen“ der amerikanischen Kriegsmarine im Südchinesischen Meer zu entsenden, nicht einverstanden waren.
Turnbulls Nachfolger, der evangelikal-fundamentalistische Scott Morrison, hat aus den Stolpersteinen der Vorgänger gelernt und sich voll und ganz dem Anti-China-Kreuzzug der Trump-Administration verschrieben. Am 21. April sprach sich Morrisons Außenministerin Marisa Payne für eine „internationale Untersuchung“ der Frage aus, ob das Corona-Virus, das seit Anfang des Jahres durch die Lungenkrankheit COVID-19 weltweit Hunderttausende Menschen das Leben gekostet sowie wirtschaftliches und gesellschaftliches Chaos angerichtet hat, nicht aus einem chinesischen Biowaffenlabor stammt. Mit der Behauptung, das Corona-Virus sei von den Chinesen entweder absichtlich oder aufgrund fehlender Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen freigesetzt worden, gehen Trump und sein Außenminister Mike Pompeo seit Wochen hausieren. Fast zeitgleich mit dem durchsichtigen Vorstoß Paynes schickte das Pentagon mehrere Kriegsschiffe, die von einer australischen Fregatte begleitet wurden, in einen Teil des Südchinesischen Meers, der sowohl von Malaysia als auch von China beansprucht wird und wo zwischen beiden Seiten aktuell ein Streit um Bohr- und Fischereirechte tobt.
Nachdem er zuvor mit den Regierungschefs mehrerer westlicher Staaten, darunter Angela Merkel in Berlin und Emmanuel Macron in Paris, Boris Johnson in London und Justin Trudeau in Ottawa telefoniert hatte, erneuerte Morrison die Forderung Canberras nach der Einrichtung eines von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „unabhängigen“ Expertengremiums, das für Aufklärung des Ursprungs des neuartigen Corona-Virus sorgen sollte. Dabei versäumte es Turnbull nicht, der Regierung der Volksrepublik „mangelnde Transparenz“ zu unterstellen, ganz als hätten die Chinesen der „internationalen Gemeinschaft“ etwas zu verheimlichen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Trump bereits die Zusammenarbeit der USA mit der WHO wegen deren angeblich „pro-chinesischen“ Tendenzen abgebrochen, während im Washingtoner Kongreß seine republikanischen Gewährsleute die Forderung nach finanzieller Entschädigung von China in einer Höhe von einer Billion Dollar erhoben.
In China ist man im höchsten Maße verärgert über den aggressiven Opportunismus, mit dem dieser Tage die Regierung in Canberra die Australien von Washington zugedachte Rolle eines Hilfssheriffs der USA im westpazifischen Raum auszufüllen versucht. In Peking empfindet man das Verhalten der Australier als unglaublich undankbar. Kein zweites Land hat mehr vom wirtschaftlichen Aufstieg Chinas in den letzten Jahrzehnten profitiert als Australien. Die Volksrepublik ist mit Abstand der größte Abnehmer australischer Rohstoffe wie Eisenerz und landwirtschaftlicher Produkte wie Wein. Dazu kommt, daß chinesische Studierende mit ihren Studiengebühren Australiens Hochschulen enorm profitabel gemacht haben. Chinesische Auslandsstudenten gehören zu den Leidtragenden der Corona-Krise in Australien. Viele von ihnen haben die Gelegenheitsjobs in der australischen Gastronomie beispielsweise als Kellner wegen der wirtschaftlichen Umbrüche verloren. Für sie gibt es keinerlei Überbrückungshilfe seitens des australischen Staats. Statt dessen droht ihnen die Abschiebung in die Volksrepublik.
In einem Leitartikel vom 28. April bei der in Peking erscheinenden englischsprachigen Global Times wurde Morrison „gefährliches Abenteurertum“ vorgeworfen, das die guten, für beide Seiten profitablen Beziehungen der letzten Jahrzehnte zu zerstören drohe. Die Vorstellung des sinophobischen Klüngels in Politik und Medien Australiens, Canberra gewinne durch seine Angriffe auf Peking an „internationalem Gewicht“, sei nicht nur „lachhaft“, sondern „abwegig“, so die Global Times. Unterstützung erfuhren die Chinesen am 28. April von Andrew Forrest. Der Chef des größten Bergbauunternehmens in West Australia hielt an diesem Tag in Perth zusammen mit Long Zhou, dem chinesischen Konsul der Hafenstadt, eine Pressekonferenz ab, um die Sicherung von zehn Millionen Corona-Testkits Made in China für den Gebrauch in australischen Krankenhäusern bekanntzugeben. Dabei bezichtigte Forrest Premierminister Turnbull, leichtfertig die mühsam aufgebauten Beziehungen zwischen Australien und China aufs Spiel zu setzen. Wegen dieser Äußerungen regte die sozialdemokratische Opposition im Bundesparlament zu Canberra allen Ernstes an, Forrest wegen „Parteinahme für eine ausländische Macht“ strafrechtlich zu belangen.
Am 2. Mai wartete Murdochs Boulevardblatt Australian Daily Telegraph mit einem reißerischen Bericht zum „Wuhan-Virus“ auf. Die Zeitung zitierte aus einer angeblich fünfzehnseitigen Analyse der „Five-Eyes“-Geheimdienste aus den USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland, derzufolge das Corona-Virus in der Tat aus einem staatlichen Labor in der Stadt Wuhan stamme und China dies mit allen Mitteln zu vertuschen versuche. Das deckt sich mit Äußerungen Trumps und Pompeos, die beide Einblick in entsprechendes, streng vertrauliches Geheimdienstmaterial erhalten haben wollen. Am 5. April stellte der seriöse Londoner Guardian nach Rücksprache mit den eigenen Quellen innerhalb der Five-Eyes-Allianz die Telegraph-Enthüllung als „Räuberpistole“ bloß. Am selben Tag zog sich Morri- son plötzlich von seiner bisherigen Linie zurück und behauptete, er stelle lediglich Fragen und habe niemals behauptet, das Corona-Virus stamme aus einem chinesischen Labor. Mit dieser Geste dürfte Australiens Regierungschef die einstigen „Partner“ in Peking kaum besänftigen. Denn aus ihrer Sicht ist die nächste Beißattacke des australischen Schoßhunds längst vorprogrammiert, und sie wird kommen, sobald der Herr in Washington dies befiehlt.