Wir wollen auf Pressenza den Stimmen von Aktivisten und Aktivistinnen Raum geben, die schon immer aktiv waren und die sich nun an die Einschränkungen im Zuge des Notstandes anpassen mussten. Deswegen werden wir ein „kollektives“ Interview in einzelnen Teilausgaben herausbringen, das anderen Kraft und Inspiration geben soll. Es geht darum, Mut zu fassen, nach vorne zu blicken und neue Formen des Aktivismus zu teilen.
Das Interview besteht aus zwei Fragen, die für alle gleich sind, und für diejenigen, die es realisieren können, aus einem etwa 30 Sekunden langen Video mit einem – gerne auch konkreten Appell – bezüglich dessen, was jedermann tun kann, um die Aktivität der Gruppe oder des Vereins in dieser Zeit zu unterstützen.
Wir beginnen mit Anita Sonego von Casa delle Donne in Mailand.
Der durch die Corona Pandemie ausgelöste Notzustand hat für alle eine neue Situation geschaffen und Gewohnheiten sowie Gewissheiten durcheinander gebracht. Für Aktivistinnen und Aktivisten jedoch bedeutete er auch, dass Initiativen, die seit langer Zeit geplant wurden oder noch realisiert werden sollten, abgesagt sind. Wie ist es Dir dabei ergangen und wie geht es Dir damit heute?
Diese Pandemie hat mich etwa zwanzig Tage lang fassungslos gemacht. Für jemanden wie mich, die sich meistens draußen aufhält, um politischen Verpflichtungen nachzugehen oder Freundschaften zu pflegen, war es unwirklich, im Haus eingeschlossen zu sein. Die Selbstisolation bedeutete, den Alltag neu zu organisieren, ohne dass dieser Versuch mir jedoch besonders gelang, vor allem nicht in den ersten Tagen. Zum Glück gibt es aber die elektronischen Kommunikationsmittel und vor allem soziale Medien, die trotz Analphabetismus die Kommunikation ermöglichen, sowohl mit Freunden als auch denjenigen, die das Haus der Frauen in Mailand leiten und organisieren.
Das Frauenhaus, in dem ich Mitvorsitzende und gesetzliche Vertreterin bin, befand sich in einer ziemlich schwierigen Lage, da nach dem Ablaufen des Leihmietvertrages, der vor 6 Jahren mit der Stadtverwaltung abgeschlossen worden war, vorgeschlagen wurde, die Räumlichkeiten unseres Hauptsitzes öffentlich auszuschreiben, deren Miete für unseren Verband nicht tragbar wäre. Alle unsere Aktivitäten basieren in der Tat auf ehrenamtlicher Arbeit, und wir können die Verwaltungskosten nur durch Ausschreibungen, Mitgliedsbeiträge und einige wenige Spenden durch die „5x mille“ (Zuwendung für gemeinnützige Vereine über die Steuererklärung; Anm.d.Red.) bezahlen.
Die geplanten Aktivitäten – Italienisch Unterricht für Migrantinnen, Wellness-Kurse, Themen-Dinner, Fotoausstellungen, Buchpräsentationen und vor allem eine große Party zum Jahrestag der Gründung des Hauses – sind abgesagt, und das Haus steht seit etwa einem Monat leer.
Welche neuen und kreativen Ansätze hat Deine Organisation gefunden, um ihre Tätigkeit trotz der durch diese Notsituation auferlegten Einschränkungen fortzusetzen?
Das Haus der Frauen lebt hauptsächlich von den 18 Gruppen, die es zu dem machen, was es ist. Aufgrund dessen sind viele Frauen, obwohl nicht in der Lage, die Aktivitäten wie üblich auszuführen, in Kontakt miteinander geblieben; so wie jene, die an den Wellness-Kursen (Yoga, Feldenkrais usw…) durch Stunden über WhatsApp teilnehmen, oder andere, die miteinander in Kontakt sind und sich über ihre Ängste, Befürchtungen und Hoffnungen austauschen.
Die Leiterinnen der Gruppe „Kommunikation“ haben erste Schritte initiiert, um die Website interaktiver zu gestalten. Sie haben ausgiebig darüber diskutiert, neue Räume für Austausch zu schaffen, durch das Verschicken von Schriften, Gedichten und Vorschlägen. Die Mitglieder wurden gebeten, auf Artikel oder Videos zu verweisen, die den Standpunkt von Frauen, auch auf internationaler Ebene, zu der katastrophalen Notlage, die die ganze Welt erlebt, zum Ausdruck bringen.
Auf der Startseite unserer Website wurde neben den Nummern von Anti-Gewalt-Zentren eine violette Taste angebracht, um mit Frauen unseres Vereins mündlich kommunizieren zu können, die sich zur Verfügung gestellt haben, um zuzuhören und psychologische Hilfe anzubieten sowie über die in der Stadt vorhandenen Dienste für Probleme, die Frauen betreffen, zu informieren.
Kurzum, nach einigen Tagen der Reglosigkeit und Stille sind wir in die Gänge gekommen und arbeiten nun daran, unsere Beziehungen reicher und offener für die unterschiedlichsten Erfahrungen zu gestalten. Wir haben von zahlreichen Frauenverbänden, mit denen wir über die „internationale“ Gruppe in Kontakt waren und sind, Unterstützung zugesagt bekommen.
Die Frauennetzwerke, denen wir angehören, haben jetzt mehr Vorschläge und Initiativen denn je, von kurdischen Frauen über „Non Una di Meno“ („Nicht eine Weniger“) bis hin zum Netzwerk „No Muri No Recinti“ („Keine Mauern, keine Zäune“).
Wir haben nicht nur die Interviews mit Vandana Shiva oder Naomi Klein auf der Website veröffentlicht, sondern auch die Reflexionen unserer Mitglieder. Diese Pandemie hat die Annahmen bestätigt, die wir seit vielen Jahren hegen: Das Thema „Pflege“, das nicht Opfer und Hingabe bedeutet, sondern Achtsamkeit für das Leben in all seinen Erscheinungsformen – Respekt für die Umwelt, Würdigung von kultureller, religiöser und geschlechtlicher Vielfalt, sowie der Gesundheit, des Alters und der finanziellen Lage – steht mehr denn je auf der Tagesordnung.
https://www.casadonnemilano.it/
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Katharina Stobbe vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!