Einen Monat habe ich die Region Tolima in Kolumbien bereist und viele schöne Orte besuchen dürfen. Einer davon hat sich allerdings nicht durch seine Schönheit in mein Bewusstsein gegraben, sondern durch den Schrecken, den er seit den 13. November 1985 in sich birgt. Es ist das Städtchen Armero.
An einem der heißesten Tage meines Aufenthaltes in Kolumbien, brechen wir am frühen Vormittag, von Ibagué in Richtung Honda auf. Wir wollen uns die Stadt Honda am Magdalena Fluss ansehen.
Es geht zunächst auf einer gut ausgebauten Landstraße in die “tierra caliente” (heißes Land), vorbei an Reis- und Baumwollfeldern.
Der Begriff “tierra caliente” kommt nicht von ungefähr, denn es wird immer heißer im Auto, gegen 10:30 morgens zeigt das Thermometer im Auto eine Außentemperatur von 32 Grad an. Zu allem Überfluss ist die Klimaanlage im Auto kaputt und es ist, wie sollte es auch anders sein, von schwarzer Farbe. Wir fahren bei offenen Fenstern, doch der Fahrtwind bringt keine Linderung. Was da durch die Fenster dringt, vermittelt einem eher das Gefühl, in einem Heißluftofen zu stecken.
Reifenpanne mit Punktlandung
Wir durchfahren gerade den Ort Lerida, als plötzlich seltsame Geräusche von Außen ins Auto dringen. Blinker gesetzt und rechts rangefahren. Nach einem kurzen Blick stellen wir fest, dass wir einen Platten haben. Na prima! Und das in dieser “Affenhitze”. Doch wir haben Glück im Unglück, wir sind genau vor einer der vielen kleinen Autowerkstätten zu stehen gekommen, die auch Reifen reparieren und nebenan gibt es auch eine Kneipe, in der man etwas kaltes zu trinken bekommt.
Nach einer kurzen Verhandlung, einigt man sich auf einen sagenhaften Reparaturpreis von 8000 kolumbianischen Pesos, das sind grob umgerechnet 2 €! Man stelle sich das in Deutschland vor! Nach ca. einer Stunde ist der Reifen repariert,wieder montiert und wir können weiterfahren.
Die Hitze nimmt weiter zu, das Thermometer im Auto zeigt eine Außentemperatur von 41 Grad an. Es bleibt uns nichts weiter übrig, als diese Hitze auszuhalten. Selbst als wir rechts ranfahren und unter den Bäumen Schutz suchen, ist kaum eine Linderung zu spüren. Also weiter geht´s.
Einige Kilometer weiter tauchen rechts und links der Straße einige Flachbauten auf, die verlassen wirken. Auf meine Frage hin, was das sei, bekomme ich fast beiläufig die Antwort:”Och, das ist Armero, oder das was davon übrig gebliebenen ist.”
Ich erinnere mich sofort, damals, im November 1985 war mein Vater sehr besorgt, denn der Nevado del Ruiz war ausgebrochen und hatte die kleine Nachbarstadt von Ibagué ausradiert. Mein Vater hatte damals sofort in Kolumbien angerufen um bei der Familie anzufragen, ob alles in Ordnung sei.
Und nun stehen wir vor dem schrecklichen Ergebnis der Nacht zum 13. November 1985! Ein beklemmendes Gefühl überkommt uns alle, als wir aus dem Auto aussteigen, um die Szenerie etwas genauer in Augenschein zu nehmen, es wird kaum gesprochen.
Die Szenerie ist gespenstisch. In einem ersten Impuls will ich mich weiter von der Straße entfernen und die Geisterstadt betreten, doch als wie aus dem Nichts ein Fahrradfahrer auftaucht, der mit lauter Videos über die Katastrophe beladen ist um sie zu verkaufen, verkneife es mir lieber. Irgendwie erscheint es mir pietätlos. Ich sehe auch so genug.
Die Natur hat schon vor längerer Zeit damit begonnen, den einst verlorenen Raum zurück zu erobern. Überall wuchert es in in den Häusern. Überall da, wo nichts mehr von den Häusern übrig geblieben ist, erinnern Kreuze mit den Namen der einstigen Bewohnern.
Man möchte sich nicht vorstellen, welche Tragödien sich in der Nacht vom 13. auf den 14. November 1985 in den Straßen ereigneten, als tausende Menschen ihr Heim Hals über Kopf verlassen mussten. Viele konnten sich nur noch auf die Dächer flüchten und mussten das grauenvolle Schicksal, das Nachbarn, Freunde und Familienangehörige ereilte, hilflos mit ansehen.
Im Nachhinein wurde den Behörden Untätigkeit vorgeworfen, weil es wohl eine Katastrophe mit Ansage war. Wissenschaftler hatten vorher schon davor gewarnt, dass der Vulkan alarmierende Tätigkeit zeigte. Die Warnungen wurden anscheinend nicht ernst genommen und so fanden 25.000 Menschen in einer Nacht den Tod. Die meisten von ihnen liegen heute noch unter einer Meter dicken Lava und Schlammschicht.
Wir verlassen den Ort und fahren weiter. Es wird im Auto kaum gesprochen. Für mich persönlich, da bin ich mir sicher, ist es ein bleibender Eindruck. Trotz aller technologischen Fortschritte die der Mensch gemacht hat, die Natur lässt sich einfach nicht beherrschen. Sie ist mit Respekt zu behandeln, andernfalls ist sie in der Lage, jederzeit und an jedem Ort, zuzuschlagen.
35 Jahre nach dieser Katastrophe gilt mein tiefstes Mitgefühl immer noch den Opfern und ihren Angehörigen.
Fotos, wo nichts anderes angegeben ist: Anabel Gomez Garcia und Jairo Gomez