Prof. Nils Melzer ist Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte an der Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights und Professor für Internationales Recht an der University of Glasgow. Am 1. November 2016 übernahm er den Posten des UN-Sonderberichterstatters für Folter und sonstige grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung.
Nils Melzer in London
Am 4. Februar 2020 sprach Nils Melzer bei einer von der „Kampagne gegen die Auslieferung von Julian Assange“ organisierten öffentlichen Veranstaltung im Royal National Hotel in London über den Fall Julian Assange, über psychische Folter, echte Kriegsverbrechen, schwere Menschenrechtsverletzungen, Rechtsbrüche unter der Maske des Rechts, die vielen Morde und die unkontrollierte Macht.
Nils Melzer: „[…] Ich möchte mit einer Metapher beginnen, die ich schon gestern und bei anderen Veranstaltungen verwendet habe, und die uns meines Erachtens besser verstehen lässt, was hier vor sich geht. In diesen großen Raum hier passen mehrere Elefanten hinein. Aber sagen wir einmal, wir haben nur einen einzigen Elefanten im Raum. Wir machen das Licht aus; es ist stockdunkel. Der Elefant ist da drüben in der Ecke und jetzt nehme ich eine Taschenlampe und richte sie in diesen dunklen Raum. Ich nehme sie und leuchte damit in die andere Ecke. Wo werden sie alle hinsehen? In die andere Ecke, nicht wahr?
Nun, Julian Assange hat in diesem dunklen Raum die Taschenlampe genommen und sie auf den Elefanten gerichtet. Den Elefanten der Kriegsverbrechen. Den Elefanten der Rechtsbrüche unter der Maske des Rechts. Den Elefanten der schweren Verletzung der Menschenrechte und der Straffreiheit dafür. Er hat den Strahl der Lampe auf den Elefanten gerichtet und der Elefant war wie ein Hirsch im Scheinwerferlicht einige Augenblicke lang, einige Wochen lang starr vor Schrecken.
Alle Welt diskutierte über die Bloßstellung des Elefanten, aber dann griff sich der Elefant die Lampe und machte sie zum Scheinwerfer. Er wendete ihn in die andere Richtung und richtete sein Licht auf Julian Assange. Der Raum wurde dunkel und das einzige, was wir in dem Raum noch sehen konnten, war Julian Assange in der Ecke und der Strahl des Scheinwerfers, der auf ihn gerichtet war. Und nun diskutierte alle Welt über den Charakter Julian Assanges und sein privates Verhalten.
Trug er während seiner Videokonferenzen lange oder kurze Hosen? Fuhr er in der Botschaft Ecuadors in London Skateboard? Fütterte er seine Katze richtig? Schmierte er irgendwelche Sachen an die Wände der Botschaft? Also über vollkommen triviale Dinge, verglichen mit den Enthüllungen, die er gemacht hatte.
Wer sind diejenigen, die hier den Scheinwerfer haben? Ganz gewiss der Staat und die Medien. Die Medien sind das Verbindungsglied. Die Medien sind diejenigen, die für uns ein Auge auf die Regierungen werfen und von denen wir erwarten, dass sie uns informieren und ermächtigen und nicht bloß unterhalten. Aber wenn die Medien über Skateboards reden, wollen wir auf einmal nur noch über Skateboards lesen.
Wir sehen nicht mehr auf den Elefanten im Dunkeln. Und genau darum geht es meiner Meinung nach hier. Genau darum diskutieren alle darüber, ob Julian Assange ein guter oder ein schlechter Mensch ist, und ob das, was er getan hat, gut oder schlecht war. Hat er dabei möglicherweise jemanden in Gefahr gebracht? Niemand hat irgendeinen Hinweis darauf, dass seine Enthüllungen je jemanden geschädigt haben, aber das könnte ja immerhin theoretisch sein, also müssen wir ihn ausliefern, damit ihm der Prozess gemacht wird. Aber niemand spricht über die Leute, die bei laufender Kamera ermordet wurden. Sie wurden nicht nur in Gefahr gebracht, sie wurden ermordet. […] Die Zeit ist gekommen, uns darüber klar zu werden, worum es hier geht: Wir können uns keine Staaten mit unkontrollierter Macht erlauben.“
Zur vollständigen Mitschrift der Rede von Nils Melzer
Link zur englischsprachigen Version des Videos mit Nils Melzer: https://youtu.be/FQrlJOk2YMo