Joseph Stiglitz ist ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, der 2001 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Stieglitz ist ehemaliger Senior Vice President und Chefökonom der Weltbank. In den vergangenen Jahren war er ein vehementer Kritiker des globalisierten Neoliberalismus – den er als „Fundamentalismus der freien Marktwirtschaft“ bezeichnet – sowie der internationalen Institutionen, beispielsweise dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Nicht schlecht für einen System-Insider.
Sein letztes vom Guardian veröffentlichtes Werk zu diesem Thema beschreibt in unmissverständlicher Weise, wie: „Jahrzehnte der marktwirtschaftlichen Orthodoxie der Demokratie ihren Tribut abverlangt haben“:
„Nach 40 Jahren des Neoliberalismus gingen die Früchte des Wachstums an die wenigen an der Spitze“ – so lautet sein Fazit. Das Vertrauen des Neoliberalismus an einen uneingeschränkten Markt als sicherster Weg zum gemeinsamen Wohlstand hängt heute am Tropf. Und so sollte es auch sein. Das gleichzeitige Schwinden des Vertrauens in den Neoliberalismus und in die Demokratie ist kein Zufall oder eine bloße Korrelation. Der Neoliberalismus hat die Demokratie seit 40 Jahren untergraben.
„Die vom Neoliberalismus vorgeschriebene Art der Globalisierung hat Individuen und ganze Gesellschaften geradezu unfähig gemacht, einen wichtigen Teil ihres eigenen Schicksals zu kontrollieren, wie Dani Rodrik von der Harvard-Universität erklärt und wie ich in meinen jüngsten Büchern „Die Schatten der Globalisierung“ und „Der Preis des Profits“ argumentiere.“
„Die Auswirkungen der Liberalisierung des Kapitalmarktes waren fürchterlich: Wenn ein führender Präsidentschaftskandidat in einem Schwellenland die Gunst der Wall Street verlor, zogen die Banken ihr Geld aus dem Land. “ Die Wähler standen dann vor der Wahl: der Wall Street nachgeben oder sich einer schweren Finanzkrise stellen. Es war, als ob die Wall Street mehr politische Macht hätte als die Bürger des Landes.“
„Sogar in reichen Ländern wurde den Bürgern gesagt: „Du kannst nicht einfach die Politik vorantreiben, die du willst“ – ob angemessener sozialer Schutz, anständige Löhne, progressive Besteuerung oder ein gut reguliertes Finanzsystem – „denn das Land wird an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, Arbeitsplätze werden verschwinden und du wirst darunter leiden“.
Nun hat Stieglitz der Wahl des Wirtschaftsministers durch die neue argentinische Regierung seinen Segen gegeben. In Anerkennung der katastrophalen Wechselwirkung zwischen der Macri-Regierung und dem IWF schreibt er: „Argentinien wählt den richtigen Mann zur richtigen Zeit, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.“
Martín Guzmán ist ein führender Experte für Staatsschulden und die daraus resultierenden Schwierigkeiten.
„Als der ehemalige Präsident Mauricio Macri sein Amt übernahm, gab sein Wirtschaftsteam offen zu, dass sie zwar viele Probleme geerbt hatten, aber mit einem großen Vorteil begonnen hatten: einem niedrigen Schuldenstand. Sie setzten auf eine Reihe von Maßnahmen – z.B. die unnötig hohe Senkung der Exportsteuern, die Tilgung von Altschulden mit sogenannten Geier-Fonds, die mit unverschämt hohen Renditen einhergehen, sowie die Aufnahme neuer, hochverzinslicher, langfristiger, auf Dollar lautender Schulden. Alles in der Hoffnung, dass diese marktfreundlichen Signale zu einem Ansturm wachstumsfördernder Auslandsinvestitionen führen würden. Selbst damals hielt ich es für ein törichtes Glücksspiel.“
„Der Rest ist Geschichte. Es klappte nicht, und als es immer brenzliger wurde, hat Macri die Probleme noch vergrößert. Mehr Kreditaufnahme, einschließlich eines 57 Milliarden Dollar Programms mit dem Internationalen Währungsfonds. Sparmaßnahmen. Fehlgeleitete Sterilisationsbemühungen zur Verhinderung von Inflation, die einen Schuldenüberhang aufbauten. Die unerfreulichste aller Szenarien stand bald bevor: mehr Inflation (fast 60% im laufenden Jahr), höhere Arbeitslosigkeit (bereits zweistellig und steigend) und die Wiedereinführung der Devisenkontrollen, deren Beseitigung Macri zu Beginn seiner Regierung als Eckpfeiler seiner Wirtschaftspolitik angepriesen hatte.
„Wie Fernández es formuliert hat, löst man das Problem der Überschuldung nicht, indem man mehr Schulden aufnimmt“.
„Als Konsequenz daraus erbt Fernández eine weitaus schlechtere wirtschaftliche Situation als Macri mit zu kämpfen hatte: höhere Inflation, höhere Arbeitslosigkeit und nun eine Verschuldung, die über die Fähigkeit Argentiniens zur Bedienung dieser hinausgeht. Ein Ebenbild dieser gescheiterten Politik wird nicht funktionieren; auch eine Rückkehr zu dem, was vor ihr lag, wird nicht funktionieren. Deshalb ist es so wichtig, dass Fernández einen sachkundigen Wirtschaftswissenschaftler ernannt hat, der jugendliche Tatkraft mit einer Weitsicht verbindet, die weit über seine 37 Jahre hinausreicht“.
Weniger offenkundig äußert sich Stiglitz darüber, dass der Großteil der Gelder, die der Macri-Regierung geliehen wurden, nicht zur Behandlung der strukturellen Probleme des Landes verwendet wurde. Dieser ging an die üblichen korrupten Mitglieder der Verwaltung und viele internationale Investoren, die von den inzwischen gut etablierten bizarr hohen Renditen der argentinischen Wirtschaft profitieren.
Seine positive Sichtweise auf den neuen Wirtschaftsminister, den er persönlich kennt und mit dem er zusammengearbeitet hat, eröffnet interessante Möglichkeiten.
Es geht nicht darum, die neue Regierung zu idealisieren. Es können sich Schwierigkeiten aus diesem Mischmasch von neu ernannten Vertretern ergeben. Und die alten Feinde, die rechten Medien, aber auch die US-Außenpolitik, werden zweifellos mit neuer Energie gegenüber progressiven lateinamerikanischen Regierungen zum Zuge kommen.
Hoffen wir, dass Stiglitz und Co., wenn sie bereit sind zu helfen, erkennen, dass die Boom- und Bust-Zyklen des Landes keine „Unfälle“ sind, sondern eine gut geplante Strategie für ein Land, das nachweislich in der Lage ist, sich von jeder Krise des gestohlenen Reichtums zu erholen und während der progressiven Regierungen mehr Reichtum produziert hat – wobei sich zu diesem Zeitpunkt die Kleptokraten auf einen weiteren Zyklus des Diebstahls und der Entmenschlichung der Sozialpolitik vorbereiten.
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, bedarf es sowohl einer guten lokalen Strategie als auch internationaler Unterstützung.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!