Mit Hilfe starker russischer Unterstützung kündigt die Bundesregierung für diesen Sonntag eine internationale Libyen-Konferenz in Berlin an. Offizielles Ziel ist es, den Krieg in Libyen zu beenden und auswärtige Militärhilfen für die beiden großen Kriegsparteien zu beenden. Faktisch sucht sich Berlin in dem Konflikt als vorgeblich nicht interessegeleiteter Mittler Einfluss auf die weitere Entwicklung in dem Land zu sichern.

Weil die Bundesrepublik nicht über genügend Einfluss vor Ort verfügt, muss sie sich bei ihren Bemühungen auf Russland und indirekt auf die Türkei stützen, die jeweils eine der Kriegsparteien fördern. Libyen ist traditionell einer der wichtigsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik; es lag 2018 in der deutschen Importstatistik auf Rang drei hinter Russland und knapp hinter Norwegen. Die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall fördert seit 1958 Erdöl in dem Land und gehört zu Libyens größten Ölproduzenten. Sie klagt bereits seit Jahren, dass sie kriegsbedingt auf ihren Erdöllfeldern in der ostlibyschen Wüste Verluste schreibt.

Der „Berliner Prozess“

Die Bundesregierung hat ihren „Berliner Prozess“ Anfang September vergangenen Jahres gestartet. Offizielles Ziel ist es, den Krieg in Libyen zu beenden und Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien in dem Land einzuleiten. Darüber hinaus sollen auswärtige Förderer der beiden großen Kriegsparteien dazu veranlasst werden, Waffenlieferungen sowie weitere Militärhilfen für ihre libyschen Verbündeten zu stoppen. Zur Vorbereitung fanden seit September 2019 mehrere Treffen im Berliner Kanzleramt sowie im Auswärtigen Amt statt. Schon im Herbst war dabei eine internationale Libyen-Konferenz angekündigt worden [1]; sie musste jedoch mehrfach verschoben werden. Zuletzt hatte sich Außenminister Heiko Maas am 7. Januar mit seinen Amtskollegen aus Frankreich, Italien und Großbritannien getroffen, um den Berliner Prozess voranzutreiben. Am vergangenen Freitag ließ er sich dann von seinen EU-Amtskollegen offiziell den Auftrag geben, im Namen der Union in Sachen Libyen zu vermitteln.[2] Die Libyen-Konferenz soll nun am Sonntag in der deutschen Hauptstadt abgehalten werden. Eingeladen sind neben den zwei maßgeblichen Konfliktparteien auch Frankreich, Italien, Großbritannien, Russland, die Türkei, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Damit sind sämtliche Länder involviert, die auf den Libyen-Krieg Einfluss zu nehmen versuchen. Nicht beteiligt sind die Vereinigten Staaten.

Russische Hilfestellung

Bei alledem wäre die für Sonntag anberaumte Konferenz in der deutschen Hauptstadt wohl kaum zustande gekommen, hätten nicht Russland und indirekt auch die Türkei maßgeblich Hilfestellung geleistet. Ankara unterstützt die „Einheitsregierung“ in Tripolis unter Ministerpräsident Fayez al Sarraj; Moskau fördert Sarrajs Gegner Khalifa Haftar und seine Libyan National Army (LNA). Beide sind deshalb in der Lage, erheblich Druck auf die beiden großen Kriegsparteien auszuüben – anders als Berlin und Brüssel, die bisher lediglich die libysche Küstenwache und einzelne Milizen gestärkt haben, um sie für ihre Flüchtlingsabwehr einzuspannen. Russland und die Türkei haben maßgeblich den Waffenstillstand durchgesetzt, der seit Sonntag in Kraft ist und einigermaßen hält; die Regierungen beider Länder haben am Montag mit Sarraj und Haftar über ein Abkommen verhandelt, das den Waffenstillstand auf Dauer stabilisieren soll. Sarraj hat es bereits am Montag unterzeichnet; Haftar weigerte sich zunächst. Es schien dabei unklar, ob er seinen Angriff auf Tripolis fortsetzen wollte. Um ihn daran zu hindern, kündigte Ankara gestern die Entsendung weiterer türkischer Soldaten nach Libyen an.[3]

Maas in Benghazi

Nach den Gesprächen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel am vergangenen Samstag in Moskau mit Russlands Präsident Wladimir Putin führte und die sich maßgeblich um Vorbereitungen für die Berliner Libyen-Konferenz drehten (german-foreign-policy.com berichtete [4]), hat am gestrigen Donnerstag Außenminister Heiko Maas in Benghazi mit Haftar verhandelt. Bereits vorab hatte Maas bekundet, er hoffe, „dass die Parteien diese Gelegenheit wahrnehmen, die Zukunft Libyens wieder in libysche Hände zu nehmen“: Es öffne sich gegenwärtig „ein Fenster, den Konflikt von internationaler Einflussnahme zu befreien“.[5] Die Äußerung ist bemerkenswert für einen Minister eines Staates, der sich seit je nach Kräften in fremden Ländern einmischt; sie erklärt sich allerdings daraus, dass Berlin zur Zeit nur geringen Einfluss in Libyen hat und nach Gelegenheiten sucht, seine auswärtigen Konkurrenten aus dem Land herauszudrängen. Wie Maas nach seinem Gespräch mit Haftar mitteilte, habe dieser zugesagt, den Waffenstillstand auch weiterhin einzuhalten. Er sei darüber hinaus prinzipiell bereit, an der Berliner Libyen-Konferenz teilzunehmen.

Drittgrößter Erdöllieferant

Die Bundesrepublik, die sich als angeblich unparteiische Mittlerin im Krieg in Libyen präsentiert, hat tatsächlich starke Wirtschaftsinteressen in dem Land. Libyen ist traditionell ein bedeutender Erdöllieferant der Bundesrepublik; nach großen, kriegsbedingten Schwankungen seit 2011 stieg es im Jahr 2018 mit Exporten in einem Volumen von 7,26 Millionen Tonnen wieder zum drittgrößten Lieferanten nach Russland und Norwegen auf. Hinzu kommt, dass das Land einst auch ein dankbarer Abnehmer deutscher Produkte war: 2010, im letzten Jahr vor Kriegsbeginn, konnten deutsche Unternehmen Waren im Wert von fast einer Milliarde Euro dorthin verkaufen. Der Krieg hat das Geschäft drastisch reduziert; im Jahr 2018 erreichten die deutschen Ausfuhren nach Libyen nur noch gut 300 Millionen Euro. „Sollte sich die Situation in Libyen jedoch wieder normalisieren und das Land den Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Infrastruktur beschließen, hat Libyen das Potential, wieder zu einem wichtigen Partner der deutschen Wirtschaft heranzuwachsen“, wird Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) zitiert.[6]

Probleme bei der Ölförderung

In der libyschen Erdölförderung ist seit 1958 die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall aktiv; sie gehört neben der italienischen ENI und der französischen Total zu den bedeutendsten Investoren in dem Land und hat dort insgesamt über zwei Milliarden US-Dollar angelegt. Die Firma hält einen Anteil am Offshore-Feld Al Jurf vor der westlibyschen Küste, das ohne besondere Schwierigkeiten Öl produziert. Probleme gibt es allerdings seit Kriegsbeginn im Jahr 2011 mit der Förderung aus acht Ölfeldern in der ostlibyschen Wüste; dort musste die Förderung immer wieder reduziert oder ganz eingestellt werden – teilweise über längere Zeiträume. Der Konzern berichtet von Verlusten in Höhe von durchschnittlich zehn Millionen Euro im Jahr.[7] Hinzu kamen Auseinandersetzungen mit der staatlichen libyschen National Oil Corporation (NOC), mit der Wintershall Dea – die Firma ist inzwischen mit Dea fusioniert – bei der Förderung in der ostlibyschen Wüste kooperiert. Erst im Dezember ist es gelungen, die Streitigkeiten beizulegen – unter Mithilfe der Bundesregierung.[8]

„Lösung für das Migrationsproblem“

Kämen stärkerer Einfluss der Bundesregierung, eine Beendigung des Krieges und umfangreiche Wiederaufbaumaßnahmen Winterhall Dea zugute, so sollen letztere laut Ghassan Salamé, dem UN-Sondergesandten für Libyen, „auch die Lösung für das Migrationsproblem sein“: „Es gibt in Libyen Raum für anderthalb bis zwei Millionen ausländische Arbeiter, die dringend für den Wiederaufbau des Landes gebraucht würden.“[9] Insbesondere blieben sie dann aus Europa fern.

[1] S. dazu Der dreistufige Berlin-Prozess.
[2] Berliner Libyen-Konferenz. auswaertiges-amt.de 14.01.2020.
[3] Turkey’s Erdogan says country sending troops to Libya. france24.com 16.01.2020.
[4] S. dazu Der deutsch-russische Schatz.
[5] Christian Feld: Was will General Haftar? tagesschau.de 16.01.2020.
[6] Libyen kann wieder wichtiger Handelspartner werden. faz.net 16.01.2020.
[7] Klaus Stratmann, Thomas Sigmund, Bert Fröndhoff, Jürgen Flauger: Wintershall Dea droht mit Rückzug aus Libyen. handelsblatt.com 24.09.2019.
[8] EPSA-Verträge mit Libyens NOC unterzeichnet. wintershalldea.com 12.12.2019.
[9] „Der Konflikt ist nicht allein Sache der Libyer“. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.01.2020.

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