Mit einem Treffen der Außenminister*innen und deren Vertretungen von 29 Ländern Lateinamerikas und der Karibik gab Mexiko am 8. Januar den Startschuss für die Wiederbelebung der Gemeinschaft der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC). Der Eröffnungstag wurde mit der Teilnahme von Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador abgerundet, der im Laufe des Jahres 2020 formell den Vorsitz pro tempore der Organisation übernehmen wird.
An der Eröffnungssitzung, die hinter verschlossenen Türen im Iberoamerikanischen Saal des mexikanischen Bildungsministeriums stattfand, nahmen vier Nationen nicht teil: Brasilien, das De-facto-Regime von Bolivien – das laut dem mexikanischen Außenminister Marcelo Ebrard eingeladen war – und zwei weitere Länder, die aufgrund von witterungsbedingten Schwierigkeiten nicht anreisen konnten.
Laut Ebrard war es in der anschließenden Pressekonferenz „ein herzliches und respektvolles Treffen“, das sich nicht auf die politischen Themen konzentrierte, „die bereits in anderen Foren und Instanzen diskutiert werden“, sondern auf konkrete Aspekte, in denen Übereinstimmung und gemeinsames Interesse besteht. Die Tatsache, dass wir nach längerer Zeit ohne gemeinsame Treffen zusammenkommen und einander zuhören konnten, sei an sich schon ein Erfolg, sagte er.
Jahre, die wie Jahrhunderte erscheinen
Auf ihrem zweiten Gipfel in Havanna vor fünf Jahren hatte die CELAC Lateinamerika und die Karibik zur Zone des Friedens erklärt.
In der Präambel dieser bahnbrechenden Proklamation wurde folgender Zweck dieser Integration bekräftigt: Sie sollte ein Mittel zur Schaffung einer gerechten internationalen Ordnung sein, die eine Kultur des Friedens fördert, und die die Anwendungen von Gewalt und nicht-legitimen Verteidigungsmitteln, einschließlich Massenvernichtungswaffen und insbesondere Atomwaffen, ausschließt.
Damals vereinbarten die Nationen Grundsätze wie die „Verpflichtung, sich weder direkt noch indirekt in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen und die Grundsätze der nationalen Souveränität, der Gleichberechtigung und der Selbstbestimmung der Völker zu beachten“. Außerdem befürworteten sie die Achtung des „unveräußerlichen Rechts eines jeden Staates, sein politisches, wirtschaftliches, soziales und kulturelles System selbst bestimmen zu können, als wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung des friedlichen Zusammenlebens der Nationen“.
Nur fünf Jahre nach diesem Kongress wird jedoch deutlich, dass die hohen Maßstäbe dieser Grundsatzerklärung von den Regimes der kontinentalen Rechten verraten wurden. Dies zeigt sich vor allem in den gemeinsamen Regierungsdeklarationen der „Lima-Gruppe“ (Bündnis von 14 amerikanischen Staaten, gegründet aufgrund der Krise in Venezuela) und der OAS („Organisation Amerikanischer Staaten“).
Schlimmer noch ist die eklatante Verletzung nicht nur dieser CELAC-Erklärung, sondern aller geltenden Grundsätze des Völkerrechts, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Charta der Vereinten Nationen selbst und einiger anderer Instrumente, die durch den Staatsstreich in Bolivien ausgelöst und durch die OAS selbst unterstützt und gebilligt wurde.
Ebenfalls schlimm ist die Art, wie Washington das Drehbuch für die Machenschaften eigens ernannter Handlanger schreibt, die dann von Komplizenregierungen ratifiziert werden und von internationalen Medien ohne journalistische Integrität und Ethik anerkannt werden.
Die Neugestaltung der engen politischen Beziehungen all dieser Regierungen mit der US-Administration spricht Bände über die planerische, logistische und finanzielle Unterstützung des regionalen rechten Denkens durch die USA.
Laut einem kürzlich erschienenen Dokument des Kommunikationsforums für die Integration Unseres Amerikas („Foro de Comunicación para la Integración de NuestrAmérica“, kurz FCINA) sind diese Aktionen Teil eines mehrdimensionalen Krieges gegen die demokratischen Emanzipationsprojekte: Um seine einst unumstrittene Vormachtstellung nicht zu verlieren, führt der Norden einen unerbittlichen Kampf und hat einen wütenden Angriff gegen regionale Integrationsmechanismen gestartet, wie die „Union Südamerikanischer Nationen“ (UNASUR), die „Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerikas – Handelsvertrag der Völker“ (ALBA-TCP), das Abkommen „PetroCaribe“ für Erdöllieferungen zum Vorzugspreis von Venezuela an einige Karibikstaaten und die CELAC.
Vor dem Hintergrund dieses Bruchs von intraregionalen Beziehungen, der Rekolonialisierung und der Auferlegung von wirtschaftlichen und sozialen Programmen, die sich am Kapital orientieren, ist eine Welle des Aufstands in Bewegung geraten. Eine Welle, die in Mexiko und Argentinien zwei neue Regierungen mit nationalem und volksnahem Charakter auf die institutionelle Bühne geworfen hat und deren Flut weiterhin für Überraschungen im heutigen Kräfteverhältnis sorgen wird. Denn viele politische Kräfte stehen dem effektiven Fortschritt der Völker entgegen.
In dieser Situation übernimmt Mexiko unter der Führung von Andrés Manuel López Obrador die Präsidentschaft pro tempore der CELAC.
Der mexikanische Vorschlag für CELAC 2020
Wie bereits im November von Außenminister Ebrard angekündigt, schlägt Mexiko für diesen Zeitraum vor, „an der Stärkung und Institutionalisierung der Gemeinschaft zu arbeiten und neue Kraft in der Einheit zu erreichen“. Der Aufruf, „konkrete Ergebnisse zu erzielen, die unserer Gemeinschaft auf praktische und wirksame Weise zugutekommen, indem die regionale Integration in Lateinamerika und der Karibik mit präzisen Schritten gefördert wird“, lässt bereits einen pragmatischen Ansatz erahnen. Dieser zielt darauf ab, politisch und ideologisch entfernte Länder zu gewinnen und sie einander anzunähern.
Das auf der laufenden Ministerkonferenz festgelegte Aktionsprogramm enthält 14 Ziele, die während der 12-monatigen mexikanischen Präsidentschaft erreicht werden sollen. Sie alle beziehen sich auf multilaterale Synergiemöglichkeiten in verschiedenen Bereichen, unter anderem der Zusammenarbeit in der Luft- und Raumfahrt, der Schaffung eines Innovationsnetzwerks und eines wissenschaftlichen Netzwerks sowie eine gemeinsame Agenda der Universitäten zur Erleichterung der akademischen Mobilität und des akademischen Austauschs.
Darüber hinaus ist ein Aktionsprogramm im Bereich des Katastrophenrisikomanagements und die Organisation von Sammelkäufen – zum Beispiel von Medikamenten – vorgesehen, um bessere Bedingungen zu erhalten. Unter den zu vereinbarenden Punkten sind außerdem die Entwicklung einer Antikorruptionsmethode, die Abhaltung eines CELAC-China-Forums für die zweite Jahreshälfte sowie die Durchführung einer Plenarsitzung im Rahmen der jährlichen Tagungseröffnung der Vereinten Nationen im September.
Gleichzeitig soll eine neue Etappe in der Institutionalität der CELAC eingeleitet werden. Dafür wird ein Rotationsverfahren für die Pro-Tempore-Präsidentschaft festgelegt und der Austausch mit der „Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik“ (CEPAL) verstärkt, um die Beteiligung der verschiedenen sozialen Schichten zu erleichtern. Dazu wird eine virtuelle Plattform geschaffen, die eine ständige Beobachtung und Erfassung der Fortschritte bei Vereinbarungen online ermöglicht.
Im Rahmen der verschiedenen Initiativen wird vorgeschlagen, einen CELAC-Preis gegen Ungleichheit und Armut zu schaffen, die nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen zu fördern und eine Tourismusdiplomatie voranzutreiben, um Veranstaltungen zur Förderung des regionalen Images durchzuführen.
Einer der wichtigsten Punkte des Vorschlags – der am ehesten dem Gründungscharakter der Gemeinschaft entspricht, die 33 lateinamerikanische und karibische Nationen ohne Beteiligung der Vereinigten Staaten und Kanadas umfasst – ist die regionalpolitische Einigung und das geschlossene Auftreten in multilateralen Foren.
Felipe Solá, der neue argentinische Außenminister und neben Mexiko ein weiterer wichtiger Akteur bei der Neubelebung der CELAC, erklärte derweil in seinen sozialen Netzwerken: „Lateinamerika und die Karibik müssen ihre regionalen Organisationen als Mechanismen der wirtschaftlichen Integration und der politischen Vermittlung bei Konflikten zurückgewinnen“. Er signalisierte damit den Neuauftritt seines Landes auf der Integrationsbühne nach dem großen Rückschritt, den die Regierung von Mauricio Macri verursacht hatte.
Ein weiteres Thema war die wirtschaftliche und soziale Stagnation in der Region. Insofern war die Anwesenheit der Exekutivsekretärin der „Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik“, Alicia Bárcena, von Bedeutung. Sie wies unter anderem darauf hin, dass die Ungleichheit in Lateinamerika und der Karibik in den letzten zwei Jahrzehnten keineswegs abgenommen, sondern zugenommen hat.
In den bilateralen Gesprächen wurde die Frage einer möglichen Ablösung an der Spitze des Generalsekretariats der „Organisation Amerikanischer Staaten“ erörtert. Eine Frage, die zwar nicht für die Zwecke der CELAC direkt relevant, jedoch für die Länder der Region von Bedeutung ist. Viele von ihnen, möglicherweise die notwendige Mehrheit, werden den Versuch unterstützen, eine weitere katastrophale Verwaltung an der Spitze dieser Organisation, wie die von Luis Almagro, zu vermeiden.
Solange die OAS weiterhin zu mehr als 60% von den Vereinigten Staaten finanziert wird und ihr Hauptquartier nur wenige Schritte vom Weißen Haus entfernt ist, bleibt ihr kolonialer Charakter in jedem Fall unverändert.
Angesichts der turbulenten Weltlage und ihrer Auswirkungen auf die Region ist zu hoffen, dass die Außenminister der CELAC die 2014 in Havanna erklärte Entscheidung zum Friedenserhalt in Lateinamerika und der Karibik vorbehaltlos unterstützen werden. So unterstrich es auch der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez Parrilla in seiner Rede.
Der strategische Zweck der CELAC und der regionalen Integration
Abgesehen von der Dynamik, die die Organisation durch ein relativ ideologiefreies, kurzfristiges und auf praktische Erfolge ausgerichtetes Programm gewonnen hat, ist es legitim, über den strategischen Zweck der CELAC und im weiteren Sinne über die regionale Integration nachzudenken.
In diesem Zusammenhang ist es unvermeidlich zu fragen, was die Völker Lateinamerikas und der Karibik verbindet.
Die geographische Nähe ist trotz der Erleichterung des Handelsaustausches und der fortschreitenden Beseitigung der Grenzen nicht der einzige und auch nicht der entscheidende Faktor, der die Nationen der Region verbindet.
Die Sprache ist es auch nicht, denn neben Spanisch, Englisch, Portugiesisch, Kreol und Niederländisch werden in der Region mehr als 420 native Sprachen gesprochen.
Wird die Kultur als ein Faktor des Zusammenhalts betrachtet, so gibt es zwar Gemeinsamkeiten, doch Lateinamerika und die Karibik sind ein zutiefst multikultureller Raum, in dem die Einflüsse der einheimischen Völker, der afrikanischen Wurzeln und der europäischen, nahöstlichen und asiatischen Migrationsbewegungen zusammenfließen.
Eine strategisch politische Einheit zu erreichen, um sich den geopolitischen Herausforderungen zu stellen, ist sicherlich eine Notwendigkeit für ressourcenreiche Nationen. Denn diese stellen ein Ziel für die Begierden eines dekadenten Kapitalismus dar, der verzweifelt nach Gewinn und Akkumulation strebt.
Aber das Entscheidende ist in den historischen Prozessen zu finden. Sie machen deutlich, dass die Völker Lateinamerikas und der Karibik eine tiefe gemeinsame Prägung durch Kolonialisierung, Ausbeutung und Diskriminierung teilen. Eine Wunde, die sie nicht mit den Vereinigten Staaten und ihrem Partner Kanada teilen, da diese zwar ebenfalls Kolonien waren, aber ab dem 20. Jahrhundert jeweils die Rolle der imperialistischen Macht bzw. des Anhangs übernommen haben.
Daher kann ein echtes regionales Integrationsprojekt, das auf einem soliden historischen Fundament aufbaut, nur das Ziel der Dekolonisierung verfolgen und der Schaffung gleicher Bedingungen für die Völker in einem neuen geopolitischen Kontext multilateraler Gleichheit dienen.
Genau das ist das Wesen der CELAC, die seit ihrer Gründung ungeachtet der Komplikationen und Hindernisse der gegenwärtigen Situation einen emanzipatorischen und revolutionären Charakter in sich trägt. Sie fördert so die Neuausrichtung internationaler Beziehungen, die heute noch, wenn auch nicht mehr lange, in den Machtmechanismen des letzten Jahrhunderts verankert sind.
Frieden, Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den Völkern, die Verteidigung der entrissenen Souveränität, die Ablehnung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kolonialisierung, die Wiedergutmachung jahrhundertelanger Demütigungen, die Lösung von Streitigkeiten durch Dialog und die Integration der Vielfalt in einer Nation ohne Grenzen sind ein klares Ziel für die Zukunft, das die Menschen, die dieses Gebiet bewohnen, verdienen.
Die Völker Lateinamerikas und der Karibik müssen wieder eine aktive Rolle gegenüber dieser universellen menschlichen Nation spielen, die das Ende von Vormachtstellung und Unterwerfung einläutet. Zu diesem Zweck ist die CELAC ein äußerst wertvolles Organ.
Die Übersetzung aus dem Spanischen wurde von Laura Schlaphorst vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!