Während die Speerspitzen des Liberalismus und der Privatisierung nun – angesichts der gesellschaftlichen Zuspitzung – über die Möglichkeiten der Krise räsonieren, bereiten sich andere im Stillen für neue Foren politischer Bündnisse wie Entscheidungsfindung vor.
Der badische Putschist war dieser Tage auf einem Podium zu vernehmen, wie er sich ausmalte, dass die bevorstehende existenzielle Krise für viele Menschen vieles auch möglich mache, nämlich das Durchdrücken des seit Jahrzehnten bereits waltenden Zerstörungsprinzips. Gut, er hat wichtige Marionetten bereits platziert wie die neue EU-Kommissionspräsidentin. Aber es wird nicht ausreichen, denn es regt sich etwas.
Der Vorteil einer parteilichen Berichterstattung liegt in dem Wahrnehmungsphänomen, das nicht ist, was nicht sein darf. International ist das bereits lange auffällig. Der seit einem Jahr in Frankreich tobende Bürgerkrieg existiert für unsere „Anstalten“ nicht, aber dennoch ist er da und er verändert die Welt.
Aktion als tägliche Routine
Frankreich ist bereits am berühmten Tipping-Point, alles, was der Beau des Liberalismus im Präsidentenamt anfasst, ist zur Machtfrage geworden. In Frankreich gibt es kein „Wait and see!“ mehr, dort ist die Aktion zur täglichen Routine geworden. Aber östlich des Rheins findet das alles gar nicht statt!
Auffällig ist auch, dass der Fokus auf internationale Ereignisse und Bewegungen kongruent ist zu den Interessen der gegenwärtig Herrschenden. Egal wo, ob in Venezuela, Bolivien, Chile oder Hongkong, immer geht es um das Narrativ der Couponschneider, die den Weg der Politik bestimmen.#
Und auch die so gewürdigte Bewegung gegen die menschenverursachten Klimaschäden trägt bereits das Stigma der Instrumentalisierung. Die Kräfte, die die Verbindung herzustellen versuchen gegen Militarismus und Krieg, sind scheinbar in der Wahrnehmung der Informationsproduzenten nicht vorhanden, aber es gibt sie.
Global Parliament of Mayors
Ähnlich ergeht es einer anderen Bewegung, die konsequent so weit wie möglich ignoriert wird, wahrscheinlich weil sie eine Erosion im eigenen Lager beschreibt. Es sind die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der großen Städte, weltweit, die sich zunehmend zusammenschließen, weil sie die politischen Existenzbedingungen, die nationalstaatliche Verhandlungen unter sich führen, nicht mehr für auskömmlich halten, um ihre Probleme zu lösen und sich weiter zu entwickeln.
Der Gedanke der Kommune ist wieder da, aber auf einem anderen, neuen Niveau. Die Themen, die auf diesem Plateau diskutiert werden und an denen gearbeitet wird, reichen von der sozialen Frage bis zu Ökologie und Kultur. Alles, was diese Städte anfassen, ist wesentlich konkreter und innovativer als die abstrakten Rhetorik-Sequenzen der internationalen Foren.
Eine tragende Rolle spielt dabei das Global Parliament of Mayors, in dessen Direktorat, das aus fünf Mitgliedern (Oberbürgermeister der Städte Durban, Mannheim, Columbia, Hoima und Braga) besteht, übrigens ein deutscher Oberbürgermeister vertreten ist, das noch keinen offiziellen Status bei den Vereinten Nationen hat, aber dort angesiedelt ist.
Sieht man sich die Aktivitäten der dort engagierten Städte an, so weisen sie in eine vielversprechende Richtung. Sie handeln strategisch und wissen, wo sie in vor ihnen liegende Dekaden stehen wollen.
Pact of Free Cities
Und die Kommunen beginnen sich so langsam umzudrehen gegen die eigenen Regierungen. Die Erklärung der Visegrad-Oberbürgermeister von Budapest, Warschau, Prag und Bratislava gegen den Populismus ihrer Regierungen, ist ein beredtes Beispiel dafür, wo das Zentrum des zu entwickelnden systemischen Widerstandes liegen wird [1, 2, 3].
Die Kommune ist wieder da: Neu, innovativ, mit einer Vision. Darüber berichtet wird wenig, was ein Ausweis für die dort anzutreffende Qualität zu werten ist.
Quellen und Anmerkungen
[1] Salzburger Nachrichten: Visegrad-Bürgermeister organisieren sich gegen Regierungen. Auf https://www.sn.at/politik/weltpolitik/visegrad-buergermeister-organisieren-sich-gegen-regierungen-80752192/amp (abgerufen am 16.12.2019).
[2] The China Post: Central Europe mayors against populism sign free cities pact. Auf https://chinapost.nownews.com/20191217-907181 (abgerufen am 17.12.2019).
[3] Bloomberg: Eastern EU’s Capitals Join Forces Against Populist Leaders. Auf https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-12-16/east-eu-s-capitals-join-forces-against-populist-national-leaders (abgerufen am 17.12.2019).
Gerhard Mersmann studierte Politologie und Literaturwissenschaften, war als Personalentwickler tätig und als Leiter von Changeprozessen in der Kommunalverwaltung. Außerdem als Regierungsberater in Indonesien nach dem Sturz von Haji Mohamed Suharto. Gerhard Mersmann ist Geschäftsführer eines Studieninstituts und Blogger. Auf Form7 schreibt er pointiert über das politische und gesellschaftliche Geschehen und wirft einen kritischen Blick auf das Handeln der Akteure.